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# taz.de -- Tugend-Posting auf Social Media: Aktivismus ist Handarbeit
> Was machen wir eigentlich, wenn wir auf Instagram Haltung zeigen? Und vor
> allem: Für wen machen wir das? Es geht um Reichweite – aber nicht nur.
Bild: Eine Alternative zur virtuellen Ohnmacht? Schild bei der Demonstration �…
Im Sommer 2020 verwandelte sich mein Instagram-Feed für einen Tag in ein
Meer schwarzer Quadrate – auch ich war kurz davor, eins zu posten. Unter
dem Hashtag [1][#BlackoutTuesday] zeigten Millionen Nutzer:innen ihre
Solidarität mit der „Black Lives Matter“-Bewegung. Doch ausgerechnet damit
blockierten sie gleichzeitig die Informationskanäle, über die
Aktivist:innen heutzutage Demos, Spendenaufrufe und Hilfsangebote
koordinieren.
Fünf Jahre später quellen die Timelines über vor Karussell-Posts,
Sharepics und Aktivismus in Trendfarben. Während im Gazastreifen Hunger
herrscht, demonstrieren Millionen virtuell ihre Haltung. Likes und
Story-Shares gelten als moralische Währung, während die Menschen vor Ort
davon keinen einzigen Bissen abbekommen.
Dieses Tugend-Posting wird auch „virtue signaling“ genannt. Ein Klick, und
schon zeigt der Feed Haltung. Man heftet sich damit ein moralisches
Abzeichen an die Brust, das vor allem nach innen glänzt: Es fühlt sich wie
ein aktiver Schritt auf die richtige Seite an, ohne dabei etwas zu
riskieren. Statt echten Einsatz zu leisten, inszenieren wir uns als Teil
einer Bewegung, jedoch ohne Konsequenz.
Mal ehrlich: Wenn wir keine Promis oder Creator:innen mit Reichweite
sind – für wen posten wir unsere Betroffenheit auf unseren kleinen,
unscheinbaren Social-Media-Accounts? Rütteln wir damit unseren
Freundeskreis wirklich wach oder holen sie unter ihrem ignoranten Stein
bevor? Die meisten sehen täglich Dutzende solcher Shares. Doch was folgt
daraus? [2][Aufmerksamkeit – und dann?]
## Alle W-Fragen beantwortet
Mag sein, dass meine wenig politisierte Schulfreundin noch nichts von der
Demo gegen rechts weiß. Mit einem Sharepic in meiner Story beantworte ich
ihr ungefragt alle W-Fragen: Ort, Datum, Uhrzeit, Zweck. Im besten Fall
kommen dadurch ein paar Leute mehr, vielleicht entsteht sogar ein erstes
politisches Bewusstsein. Das ist die Stärke von Social Media: Reichweite,
Sichtbarkeit, das Gefühl, nicht allein zu sein.
Doch alles, was darüber hinausgeht, streichelt nur unser Gewissen. Für die
Menschen, auf die wir aufmerksam machen wollen, wird unser Mitgefühl erst
relevant, wenn der Aktivismus den Bildschirm verlässt: bei einer Demo,
einer Spende, bewussterem Konsum oder einem Ehrenamt. Das wäre die echte
Alternative zur virtuellen Ohnmacht.
Klar, nicht jede:r hat Zeit für Verpflichtungen – aber auf Moral im
Quadrat kann sich jede:r ausruhen. In Deutschland ist das harmlos,
anderswo kann politisches Posten schon riskant sein.
Hierzulande sind manche dafür umso eifriger, anderen das Schweigen
vorzuhalten. Als ich im Juni beruflich und privat in Israel war,
überraschte uns der Angriff Israels auf den Iran. Stundenlang saßen mein
Freund und ich mit seiner israelischen Familie in Schutzräumen, während
iranische Raketen einschlugen. Krieg hatte ich bis dahin nie erlebt. Alles
war neu und beängstigend. Um Freunde und Familie auf einmal zu beruhigen,
postete ich ein Foto der Nichte meines Freundes: frisch geduscht,
bettfertig, mit Kopfhörern, wie sie im Schutzraum eine Serie schaut.
Harmlos, dachte ich.
Doch eine Followerin fand es scheinheilig: Kinder in Gaza hätten kein
Essen, kein Wasser, keine Schutzräume – wie heuchlerisch von mir, über
meine eigene Situation zu posten, wo ich doch privilegiert geschützt sei.
## Druck, das „Richtige“ zu posten
Natürlich widerspricht meine eigene Angst nicht meinem Mitgefühl für
Palästinenser:innen, aber ich habe das öffentlich nicht gezeigt – das war
mein Fehler. Nur sitzt sie in einem sicheren europäischen Zuhause und
erklärt mir als Betroffene, ich sei scheinheilig. Nach heutiger Logik
bekommt sie aber das moralische Abzeichen – und ich gehe leer aus.
Ich selbst teile bewusst keine politischen Inhalte auf meinem Account und
vermisse nichts. Doch viele spüren scheinbar den Druck, zu jedem Konflikt
das „Richtige“ zu posten. Wer denkt dabei noch an die Hungersnot im Sudan,
wo schon vor der Eskalation Millionen Kinder mangelernährt waren? Wenn wir
jetzt alle dazu posten, versinkt auch dieser Aktivismus im Rauschen.
Denn wir sind keine „One-Person-Amnesty-Internationals“, die mit unseren
mickrigen Accounts etwas bewirken könnten. Das schaffen nicht mal die
[3][offenen Briefe von 367 Prominenten]. Am Ende signalisieren wir nur,
dass wir noch etwas fühlen – und deswegen die Guten sind. So wird aus
Haltung eine Pose.
2 Sep 2025
## LINKS
[1] /Protest-Trends-auf-Instagram/!5700402
[2] /Migration-auf-Social-Media/!5824671
[3] /Promi-Unterschriften-fuer-Gaza/!6102592
## AUTOREN
Clara Nack
## TAGS
Instagram
Aktivismus
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Kolumne Diskurspogo
Propaganda
Feminismus
Schwerpunkt Stadtland
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