| # taz.de -- Türkischer Ministerpräsident in Köln: Erdogan abgefeiert | |
| > Zehntausende protestieren gegen die Rede des türkischen | |
| > Ministerpräsidenten. Erdogans Fans feiern euphorisch – sind aber in der | |
| > Unterzahl. | |
| Bild: Köln: Fans feiern Erdogan. | |
| KÖLN taz | Der Kölner Ebertplatz ist überfüllt. Der Andrang ist weitaus | |
| größer, als die Veranstalter erwartet haben. Mehr als 50.000 Menschen sind | |
| nach Köln gekommen, um gegen den Auftritt des türkischen | |
| Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu demonstrieren. Viele sind mit | |
| Bussen aus Belgien, den Niederlanden, der Schweiz oder einem anderen | |
| europäischen Land gekommen. So wie die Frau in mittleren Jahren, die mit | |
| 100 anderen aus Großbritannien angereist ist. „Erdogan ist ein Diktator“, | |
| sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Er hat unsere Kollegen | |
| umgebracht“, sagt sie und meint damit die mehr als 300 Arbeiter, die beim | |
| Grubenunglück in Soma ums Leben kamen. | |
| Das denken hier wohl fast alle. Um das zu zeigen, tragen viele gelbe | |
| Sicherheitshelme. Einige habe sich die Gesichter schwarz gemalt – um an die | |
| getöteten Bergarbeiter zu erinnern. Die Stimmung am Ebertplatz ist | |
| angespannt. Immer wieder stimmen Demonstranten Sprechchöre auf türkisch an, | |
| in denen sie Erdogan als Diktator beschimpfen oder zum Rücktritt | |
| auffordern. Seit dem Morgen sammeln sich hier die Erdogan-Kritiker. Auf der | |
| anderen Rheinseite kommen ebenfalls seit dem Vormittag die Erdogan-Anhänger | |
| zusammen, die die Rede des türkischen Ministerpräsidenten in der Kölner | |
| Lanxess-Arena hören wollen. Zusammenstöße zwischen den beiden Lagern gab es | |
| nach Angaben der Kölner Polizei nicht. | |
| In den Tagen vor der Veranstaltung aus Anlass des zehnjährigen Bestehens | |
| der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die Erdogans AK-Partei | |
| nahesteht, sah es so aus, als würden Anhänger und Gegner des türkischen | |
| Ministerpräsidenten etwa gleich viele Leute mobilisieren können. Doch davon | |
| kann keine Rede sein. Die Kritiker sind heute auf der Straße klar in der | |
| Überzahl. Das war bei den Demonstrationen der beiden Lager nach der | |
| Niederschlagung der Gezi-Park-Proteste nicht so. „Zehntausende sind hier, | |
| um für Demokratie und Gleichberechtigung zu demonstrieren“, freut sich | |
| Melek Yildiz, stellvertretende Generalsekretärin der Alevitischen Gemeinde | |
| in Deutschland auf der Abschlusskundgebung der Erdogan-Gegner. „Wir sagen | |
| Nein zu Erdogan“, ruft sie. | |
| Aber auch die Anhänger Erdogans sind zahlreiche gekommen. Mehr als die | |
| Arena im rechtsrheinischen Deutz fassen kann. Der Auftritt des türkischen | |
| Premiers ist für kurz nach 18 Uhr Uhr angekündigt, doch schon zwei Stunden | |
| vorher erschallt für die vor der Halle Wartenden die Durchsage, für sie sei | |
| kein Platz mehr. Mehr als 15.000 sind drinnen, etwa Tausend müssen draußen | |
| bleiben. Die Stimmung bei denen, die umsonst gekommen sind, schwankt | |
| zwischen Wut und Enttäuschung. | |
| ## Frenetischer Jubel | |
| Um 17.20 Uhr betritt Erdogan gemeinsam mit seiner Frau die Halle. Sie | |
| setzen sich in die erste Reihe. In ihrem Gefolge haben sie einen ganzen | |
| Tross von Regierungsmitgliedern und AKP-Abgeordneten dabei. Frenetischer | |
| Jubel brandet auf, Türkeifahnen werden geschwenkt. Dann wird erstmal | |
| gemeinsam gebetet. Um 18.25 Uhr ist es endlich soweit. Erdogan betritt die | |
| Bühne. Der Lärm seiner Fans ist ohrenbetäubend. Sie vergöttern ihn. „Allah | |
| sei mit Euch“, begrüßt er seine Anhänger. „77 Millionen Brüder und | |
| Schwestern grüßen euch!“ | |
| Nicht nur bei den ausgewiesenen Erdogan-Gegnern im Rechtsrheinischen, auch | |
| bei viele deutschen Politikern, ist der Auftritt auf Ablehnung gestoßen. Am | |
| Samstag gibt es kritische Stimmen. „Es wäre besser gewesen, wenn Herr | |
| Erdogan im Vorfeld erkannt hätte, dass er im Moment in der Türkei | |
| wichtigere Aufgaben hat als einen Wahlkampfauftritt in Köln“, sagt der | |
| stellvertretenden Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas | |
| Strobl. | |
| Sein Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte (CDU), darf als | |
| erster Parteivertreter bei der Abschluss der Erdogan-Gegner am | |
| Albrecht-Dürer-Platz auf den Wiesen zwischen Aachener Weiher und | |
| Vogelsanger Straße reden. Er verzichtet auf scharfe Angriffe gegen Erdogan. | |
| Er nutzt die Gelegenheit, Deutschland und seine Meinungs- und | |
| Versammlungsfreiheit zu loben. „Sie sind ein Teil dieses Deutschlands und | |
| darauf können sie stolz sein“, sagt er. | |
| Der Hinterbänkler hat Humor: Er wolle vor den nächsten Wahlen in | |
| Deutschland seinen Fraktionschef Kauder bitten, zu den 70.000 Deutschen in | |
| der Türkei zu sprechen, kündigt er an. Nach Hirte spricht der grüne | |
| Bundestagsabgeordnete Volker Beck, wie sein Vorredner ein Kölner. „Merhaba | |
| Köln“ begrüßt er die Zehntausenden, unter denen nur wenige deutschstämmige | |
| sind. „Erdogan denkt in den letzten Jahren nur an seinen Machterhalt, | |
| deshalb ist er in Köln“, ruft er. | |
| ## Schlichtes Weltbild | |
| Das Weltbild, das Erdogan seinen Anhängern in der Arena vermittelt, ist ein | |
| schlichtes. Es gibt Gut und Böse, dazwischen nichts. Gut ist er und seine | |
| Regierung, die die Stimme des Volkes sprächen. Böse sind diejenigen, die | |
| ihn und seine Regierung kritisieren – ob in der Türkei oder außerhalb. | |
| Wenn er von seinen Kritikern spricht, redet er von „gewissen Kreisen“, | |
| „Marionetten internationaler Kreise“, „arroganten Gruppen“ oder einfach… | |
| „Terroristen“. Sie seien in einer „sehr negativen Allianz verbunden“, | |
| würden „schwarze Propaganda“ betreiben und die Türkei beschimpfen. Er sei | |
| hingegen der Garant von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. „Wenn ein | |
| Diktator wirklich vorhanden wäre, könnte doch keiner in der Opposition so | |
| reden“, ruft er in den Saal. „Wir werden entschlossen unseren Weg | |
| fortsetzen“, droht er. | |
| Als Erdogan zu reden begonnen hat, haben die meisten seiner Gegner im | |
| Linksrheinischen längst den Heimweg angetreten. Einige werden, wie die | |
| Kölnerin Gülcan Kuzey, seine Rede am Fernseher verfolgen. „Wir sind für die | |
| moderne Türkei auf der Straße“, sagt sie am Nachmittag und hält ihr Schild | |
| in die Höhe. „Scher dich zum Teufel“, steht unter dem Erdogan-Bild auf dem | |
| Schild. | |
| ## Deutsch-Türken als Untertanen | |
| Das sehen die Leute in der Arena ganz anders. Sie hängen ihrem Star an den | |
| Lippen. Immer wieder wird Erdogans rund eineinhalbstündige Rede von | |
| begeisterten Sprechchören unterbrochen. Er erzählt zwar auch etwas von | |
| Integration und dass es wichtig sei, die deutsche Sprache gut zu lernen. | |
| Aber er lässt keinen Zweifel daran, dass er die Deutsch-Türken für seine | |
| Untertanen hält. „Ihr seid Angehörige einer großen Nation“, ruft er ihnen | |
| entgegen. Am Ende hält er vier Finger in die Höhe. Jeder Finger stehe für | |
| die vier Grundprinzipien seiner Bewegung: eine Nation, eine Staatsfahne, | |
| eine Heimat und ein Staat. Zum Abschluss wird kurz vor 20 Uhr ein Loblied | |
| auf Erdogan gespielt, das Auditorium singt inbrünstig mit. | |
| Mit Karacho nicht nur gegen Erdogan, sondern auch gegen deutsche Politiker | |
| geht es bei Sevim Dagdelen zu, Bundestagsabgeordnete der Linken. | |
| „Heuchlerisch“ findet sie die Kritik an seinem Auftritt von Politikern, die | |
| Erdogan über Jahre tatenlos einfach zugesehen haben, wie er nach und nach | |
| die Demokratie zurückgedrängt und Minderheiten immer weiter unterdrückt | |
| hat. „Die AKP-Regierung kann weiter machen wie bisher, damit muss Schluss | |
| sein“, ruft sie der Menge zu. „Wir sind nicht einverstanden mit dem | |
| Schulterschluss der Bundesregierung mit der Erdogan-Regierung.“ Das habe | |
| nichts mit deutsch-türkischer Freundschaft zu tun. „Das ist infame | |
| Kumpanei.“ | |
| 24 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
| Anja Krüger | |
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