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# taz.de -- Türkische Angriffe auf Kurden in Syrien: Kein bisschen Frieden
> Der türkische Präsident Erdoğan fühlt sich nach dem Sturz Assads als
> Sieger. Nun plant er einen Angriff, der die Region destabilisieren würde.
Bild: In der Türkei lebende Syrer feiern nach dem Sturz von Baschar al-Assad
Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan ist gut gelaunt. Der Sturz des
Assad-Regimes in Syrien und die internationalen Reaktionen darauf haben ihn
darin bestärkt, dass seine Strategie von Anfang an richtig war. Nach Jahren
des Krieges, in denen er die islamistische Syrische Nationale Armee (SNA)
unterstützte, um Assad zu stürzen, geht er nun als Sieger hervor.
Der frisch gewählte US-Präsident Donald Trump hat bereits auf Erdoğan als
treibende Kraft hinter den Rebellen verwiesen und Erdoğans Engagement mit
einem typischen „Er ist ein sehr kluger Kerl (…) sehr tough“ gelobt. Nach
einem Jahrzehnt unpopulärer und wenig erfolgreicher Beteiligung an
ausländischen Konflikten feiern Erdoğan und die Pro-Erdoğan-Presse derzeit
einen Triumph. Manch türkischer Kolumnist fordert sogar den
Friedensnobelpreis für ihn.
Doch der Friede ist in weiter Ferne. Die Lage in Syrien ist kompliziert.
Tahrir al-Scham (HTS) ist die Milizengruppe, die Damaskus eingenommen hat.
Die Syrische Nationale Armee (SNA), die von der Türkei unterstützt wird,
gewinnt im Norden des Landes an Boden. Die beiden Gruppen haben in der
Vergangenheit gegeneinander gekämpft. Auch wenn es nach Jahrzehnten der
Baath-Herrschaft berechtigte Hoffnungen unter den Syrern gibt, macht es die
Einmischung vor allem der Türkei und Israels schwer, nicht zynisch zu
werden.
Die Türkei verfolgt in Syrien mehrere Ziele, über die Erdoğan am Dienstag
mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Ankara sprach. Bei
der Pressekonferenz mit von der Leyen strahlte Erdoğan vor Stolz, als er
seine Forderungen für die beschriebene „Win-win-Formel“ vortrug: seine
Grenzen gegen Terroristen schützen, die Souveränität und territoriale
Integrität Syriens bewahren und die Infrastruktur Syriens wieder aufbauen.
Das heißt: die kurdischen Milizen loswerden, die Gebiete im Nordosten des
Landes kontrollieren. Ursula von der Leyen antwortete, dass es vorrangig
sei, Syrien zu einem sicheren Land zu machen, damit die Syrer zurückkehren
könnten. Dies wäre eine Win-win-Situation für die EU.
## Unterdrückung durch die SNA
Wenn es um die Zukunft eines friedlichen Syriens geht, scheint es niemanden
zu kümmern, dass die von der Türkei finanzierten SNA-Rebellen [1][die
Menschen in den von ihnen kontrollierten Gebieten seit Jahren
unterdrücken].
Ein Bericht von Human Rights Watch vom Februar zeigte, dass diese Regionen,
in denen 1,4 Millionen Menschen leben, von Menschenrechtsverletzungen,
„Gesetzlosigkeit und Unsicherheit“ geprägt sind. Der Bericht dokumentiert
weit verbreitete Plünderungen und Beschlagnahmungen. Erschwerend hinzu
kommen interne Machtkämpfe innerhalb der SNA. Diese Gesetzlosigkeit droht
nun auf Betreiben der Türkei auch auf den Rest Syriens überzugreifen.
Von der Leyen betonte, dass die EU das Recht der Türkei, ihre Grenzen zu
verteidigen, verstehe und respektiere, und erwähnte vage, dass auch die
Rechte von Minderheiten geschützt werden müssten, ohne die Kurden explizit
zu nennen. Die EU-Kommissionspräsidentin lobte dann noch den Handel
zwischen der EU und der Türkei, der auf Rekordniveau gestiegen sei.
Kein Wunder, dass Erdoğan gut gelaunt ist. Denn im schlimmsten Fall wäre
die EU über türkische Militäroperationen „tief besorgt“. Tiefe Besorgnis
schadet und hilft niemandem. Erdoğan hat mit Neid und Wut beobachtet, wie
Israel erfolgreich Militäroperationen im Ausland durchführt, begleitet von
Äußerungen „tiefer Besorgnis“.
Neben den „Sicherheitsbedenken“ geht es ihm vor allem um Land und
Ressourcen. Er will die Kontrolle über die Ölfelder in al-Hassaka und Deir
al-Sor, türkischen Einfluss und die Verwendung der türkischen Lira in ganz
Syrien. Er will ausländisches Geld für den Wiederaufbau des Landes, das er
über lukrative Verträge an seine Gefolgsleute verteilen kann. Win-win-win.
## Feuergefechte und Truppenbewegungen
Während sich Erdoğan und von der Leyen die Hände schütteln, liefern sich
die SNA und die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) – vor allem die
kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG/J – bereits Feuergefechte.
US-Beamte „befürchten“, dass die Türkei und ihre Milizenverbündeten Trup…
an der Grenze zusammenziehen, um eine groß angelegte Invasion in
SDF-Gebiete vorzubereiten.
Die SDF setzen ihrerseits auf die USA, [2][um die laufenden Angriffe zu
stoppen]. Am Dienstagabend gab das US-Außenministerium bekannt, dass in
Manbidsch ein Waffenstillstand bis Ende der Woche vereinbart worden sei. Es
scheint unwahrscheinlich, dass er anhält. Türkische Fernsehsender
beschuldigten die SDF bereits am Mittwoch, den Waffenstillstand mit einem
Drohnenangriff gebrochen zu haben.
Die SDF wirft der Türkei vor, den Prozess zu sabotieren, und befürchtet
eine Offensive auf Kobane. Die SNA hat erklärt, die Region Ain al-Arab, zu
der auch Kobane gehört, um jeden Preis von den kurdischen Milizen „säubern�…
zu wollen.
Die Zeit scheint gekommen, die Träume der türkischen Nationalisten und
Islamisten zu verwirklichen: Die kurdische Bedrohung ein für alle Mal zu
beenden und ehemals osmanische Gebiete zurückzugewinnen.
Nach Jahren des Krieges in Syrien mag das, was jetzt geschieht, wie ein
Endspiel erscheinen, ein letzter Krieg, um Frieden zu schaffen, wie das
Klischee sagt. Doch was passiert, wenn sich mit Israel und der Türkei zwei
kriegslüsterne Staaten in Syrien in einem Stellvertreterkrieg zwischen SNA
und SDF gegenüberstehen? Erdoğan stürzt die Türkei in ein weiteres blutiges
Abenteuer, das die Region auf Jahre destabilisieren wird.
19 Dec 2024
## LINKS
[1] /Tuerkische-Besatzung/!6057608
[2] /Kurdische-Gebiete-unter-Beschuss/!6051859
## AUTOREN
Ali Çelikkan
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