# taz.de -- Trans Frauen in Honduras: „Die Justiz darf nicht weggucken“ | |
> In Honduras werden Verbrechen gegen trans Frauen kaum geahndet. Ein | |
> symbolischer Gerichtsprozess soll darauf aufmerksam machen. | |
Bild: In Honduras sind trans Frauen besonders gefährdet | |
TEGUCIGALPA taz | Bessy Ferreira fährt sich mit dem Daumen über die Kehle. | |
Dann deutet sie auf die wulstige rund fünfzehn Zentimeter lange Narbe | |
unterhalb ihres Schlüsselbeins. „Ein Freier wollte nach dem Sex nicht | |
zahlen und hat mir von hinten versucht, die Kehle durchzuschneiden“, sagt | |
die trans Frau. „Nur weil er das Messer zu tief ansetzte, sitze ich noch | |
hier“, sagt sie und lacht bitter. | |
Fast verblutet sei sie damals, konnte sich aus dem Hinterhof gerade noch | |
auf die Straße schleppen, wo jemand einen Krankenwagen rief. Die mit groben | |
Stichen genähte Narbe erinnert sie bei jedem Blick in den Spiegel an den | |
Angriff. In einem der Hinterhöfe rund um den Parque El Obelisco im Zentrum | |
von Tegucigalpa war es. Handwerksbetriebe und mobile Verkaufsstände | |
dominieren das Straßenbild hier tagsüber, nachts dreht sich alles um Sex. | |
Homosexuelle und trans Personen gehen mitten in der honduranischen | |
Hauptstadt der Sexarbeit nach. „In Honduras hat man als trans Frau keine | |
Chance auf einen regulären Job. Was bleibt, ist für viele von uns nur die | |
Prostitution“, sagt Ferreira. Sie streicht sich eine rotblond gefärbte | |
Strähne aus der Stirn. | |
Abfinden will sie sich mit der alltäglichen Diskriminierung und Verfolgung | |
nicht. Deshalb [1][engagiert sie sich bei Arcoíris]. Die 2003 gegründete | |
LGBTIQ-Organisation hat ihr Büro nur ein paar hundert Meter entfernt vom | |
Parque El Obelisco. Kameras zeichnen alles auf, was rund um das | |
zweistöckige Gebäude im Stadtviertel Concepción geschieht. Dort, im ersten | |
Stock des unscheinbaren Hauses, treffen sich die „Muñecas de Arcoíris“, d… | |
Püppchen von Arcoíris, jeden Dienstag. | |
## Rechte werden vorenthalten | |
„Kaum jemand von uns weiß genau, was für Rechte wir haben. Was frau nicht | |
weiß, kann sie auch nicht verteidigen“, sagt Ferreira. Daran will sie etwas | |
ändern und ist deshalb bei Arcoírs eingestiegen. Erst als Freiwillige, | |
mittlerweile als Stellvertreterin von Paola Flores. Die schmale trans Frau | |
ist das Gesicht der Muñecas de Arcoíris. | |
Vor ein paar Jahren hat Flores angefangen, rund um den Parque El Obelisco | |
[2][trans Frauen] anzusprechen, sie über ihre Rechte im Umgang mit Freiern, | |
aber auch der Polizei aufzuklären. Die eigenen Rechte sind zentrales Thema | |
bei den wöchentlichen Treffen, aber auch die Probleme, denen sich trans*, | |
bi-, homosexuelle und andere queere Menschen Honduras gegenüber sehen. | |
„Wir werden ausgegrenzt, diskriminiert, gedemütigt, vergewaltigt und | |
ermordet“, zählt Flores mit leiser Stimme auf. 38 Morde wurden von den | |
LGBTIQ-Organisationen des Landes im Laufe des Jahres 2018 dokumentiert, im | |
Vorjahr waren es ähnlich viele. Überproportional hoch ist dabei der Anteil | |
von trans Personen. „Wir sind deutlich sichtbarer“, sagt sie. Sie sitzt | |
unter der Regenbogenfahne im Aufenthaltsraum von Arcoíris. „Honduras ist | |
eine christlich verbrämte Machogesellschaft in der Rechte der anderen nicht | |
geachtet werden.“ Hinzu komme ein nicht funktionierendes Justizsystem, sagt | |
sie. | |
## Musterprozess als Leitfaden | |
Straftaten gegen LGBTIQ-Personen würden nicht geahndet, monierte auch die | |
[3][Menschenrechtskommission der Organisation für Amerikanischer Staaten | |
(OAS)] bei ihrer letzten Visite im August 2018. Laut der Kommission habe es | |
in den letzten fünf Jahren 177 Morde gegeben, von denen kaum einer | |
aufgeklärt worden sei. Einer der Gründe dafür sei, meint Paola Flores, dass | |
bei den Verbrechen aus Hass nicht richtig ermittelt werde. „Das beginnt bei | |
der Spurensicherung und endet im Gerichtssaal – wenn es denn überhaupt so | |
weit kommt.“ | |
Wie ein Musterprozess laufen sollte, worauf bei der Spurensicherung, bei | |
der Gerichtsmedizin, aber auch bei der Zeugenvernehmung und im Gerichtssaal | |
geachtet werden muss, wollen die Muñecas anhand eines realen Falles | |
aufzeigen. „Eines Kapitaldeliktes wie Vergewaltigung oder Mord“, so Flores, | |
die derzeit mit Jurist*innen, Ermittler*innen und Gerichtsmediziner*innen | |
im Gespräch ist, um das beispielgebende Tribunal vorzubereiten. | |
Ende Februar, vielleicht auch erst im Lauf des Märzes solle es in | |
Tegucigalpa stattfinden, gefilmt und ins Netz gestellt werden, um so etwas | |
wie einen Leitfaden für den Umgang mit Verbrechen gegen LGBTIQ-Personen zu | |
liefern. „Das ist überfällig und positiv, dass wir die Zusage über die | |
Finanzierung aus einem EU-Justizfonds haben“, erklärt Flores. | |
Weniger positiv ist allerdings, dass das Geld immer noch nicht eingegangen | |
ist und die Vorbereitungen zum symbolischen Gerichtsprozess deshalb auf | |
Sparflamme laufen. Nichts Neues für die Aktivist*innen von Arcoíris, die | |
nur punktuell Spenden aus dem Ausland erhalten und bei ihren Bemühungen | |
Vorurteile aufzubrechen oft auf sich allein gestellt sind. | |
## Die Liebe der Familie fehlt | |
Oft werden Homo- genauso wie Bisexuelle und trans Personen von ihren | |
Familien verstoßen, sagt Paola Flores und reibt sich die narbige Wange. Sie | |
hat seit dem Mordangriff auf sie die Unterstützung ihrer Familie, während | |
ihre Kollegin Bessy Ferreira Waise ist und von den Pflegeeltern vor die Tür | |
gesetzt wurde, als sie sich outete. So landete sie in der Prostitution und | |
für sie ist Arcoíris so etwas wie ein zweites Zuhause. | |
Paola Flores hingegen hat es vor allem ihrer Mutter zu verdanken, dass der | |
Kontakt zur eigenen Familie nicht abriss, obwohl mehrere Familienangehörige | |
evangelikalen und katholischen Kirchen angehören. Die verteidigen die | |
Heterosexualität als das Nonplusultra und machen mobil gegen alle Anläufe, | |
die gleichgeschlechtliche Ehe in Honduras auf den Weg zu bringen. | |
Folge dieser rigiden Positionierung sind tiefe Gräben, die sich durch viele | |
Familien ziehen. Erst hielt nur noch die Mutter zu ihr, „doch das änderte | |
sich mit dem Überfall“. Der ereignete sich im Juni 2009 und Paola Flores | |
hat ihn nur knapp überlebt. „Drei Männer haben mich in meiner Wohnung, dort | |
wo ich mich sicher fühlte, überfallen, zusammengeschlagen, mit Benzin | |
übergossen und angezündet.“ Die trans Frau deutet auf die Transplantate, | |
die rechts und links vom Kinn zu sehen sind. | |
## Die Täter bleiben straffrei | |
Sie hat um ihr Leben gekämpft, sich gewehrt, geschrien, überlebt. Zwei | |
Monate im Koma, neun Monate im Krankenhaus, schließlich ein Jahr im Exil in | |
Mexiko. „Was mir passiert ist, kann allen passieren. Dagegen kämpfe ich und | |
deshalb bin ich zurückgekommen“, sagt Flores mit fester Stimme und zupft | |
das Halstuch zurück, mit dem sie die Narben am Hals verbirgt. | |
Die drei Männer gingen bisher straffrei aus, genauso wie der Freier, der | |
Bessy Ferreira umbringen wollte. Typisch in Honduras, wo über 90 Prozent | |
der Gewaltdelikte gegen LGBTIQ-Menschen nicht geahndet werden. Die Fotos | |
von ermordeten Arcoíris-Aktivist*innen, die im Treppenhaus neben denjenigen | |
hängen, die sich engagieren, zeugen davon. | |
Das soll sich ändern und der symbolische Prozess der Muñecas de Arcoíris | |
soll dazu beitragen. „Die Justiz darf nicht mehr weggucken“, fordern die | |
beiden. Sie hoffen auf Leute im Justiz- und Ermittlungsapparat, die | |
Menschenrechte achten, und sie hoffen auf internationale Unterstützung. | |
10 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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