# taz.de -- Taliban in Afghanistan: Chaos am Flughafen in Kabul | |
> In der Nacht begann die Evakuierung deutscher Staatsbürger. Am Flughafen | |
> feuern US-Soldaten Warnschüsse ab, damit das Rollfeld nicht gestürmt | |
> wird. | |
Bild: Wartende Menschen auf dem Rollfeld des Flughafens Kabul am 16. August | |
DOHA/WUNSTORF/KABUL dpa/rtr | Nach dem [1][Einmarsch der | |
militant-islamistischen Taliban in Kabul] hat die Evakuierung deutscher | |
Staatsbürger aus der afghanischen Hauptstadt begonnen. In der Nacht zu | |
Montag landeten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 40 | |
Mitarbeiter der deutschen Botschaft mit einem US-Flugzeug in Doha im | |
Golfemirat Katar. | |
Wenige Stunden später startete am frühen Morgen die erste | |
Bundeswehr-Militärmaschine mit deutschen Soldaten an Bord, die die | |
Evakuierung absichern sollen. Die Fallschirmjäger der Division Schnelle | |
Kräfte sind speziell für solche Einsätze ausgebildet. Zudem sind deutsche | |
Militärpolizisten („Feldjäger“) und Bundeswehrsanitäter beteiligt. | |
Es ist der bislang wohl größte Evakuierungseinsatz der Bundeswehr – und ein | |
besonders brisanter. „Fest steht: Es ist ein gefährlicher Einsatz für | |
unsere Soldatinnen und Soldaten“, schrieb das Verteidigungsministerium am | |
Montag auf Twitter. Die Bundeswehr war erst Ende Juni nach einem | |
20-jährigen Einsatz aus Afghanistan abgezogen. | |
Die Taliban hatten in den vergangenen Tagen in einem rasanten Tempo eine | |
Stadt nach der anderen teilweise kampflos eingenommen, waren am Sonntag | |
auch in die Hauptstadt Kabul eingedrungen und haben bereits den | |
Präsidentenpalast unter ihrer Kontrolle. Präsident Aschraf Ghani war kurz | |
zuvor ins Ausland geflohen. | |
## Plan der Bundesregierung: Luftwaffe soll 2.000 Afghanen aus Kabul | |
ausfliegen | |
Die Bundesregierung will zudem bis Ende des August rund 2.000 Ortskräfte | |
über eine Luftbrücke aus Afghanistan ausfliegen lassen und plant dafür den | |
Einsatz mehrerer hundert deutscher Soldaten ein. Einen entsprechenden Plan | |
stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend den Chefs der | |
Bundestagsfraktionen vor, wie die Nachrichtenagentur afp am Montag von | |
Teilnehmern erfuhr. Der Bundestag soll für den Einsatz kommende Woche | |
nachträglich ein Mandat erteilen. | |
Über die Luftbrücke sollen einheimische Helfer deutscher Einrichtungen aus | |
Afghanistans Hauptstadt Kabul ausgeflogen werden – und zusätzlich auch | |
„besonders gefährdete Frauen, Menschenrechtler und weitere Mitarbeiter von | |
Nichtregierungsorganisationen“, wie in dem Briefing mitgeteilt wurde. Die | |
Bundesregierung schätze die Gesamtzahl auf etwa 2000, wie gegenüber afp | |
verlautete. Dafür solle der Bundestag den Einsatz von „einigen hundert | |
Soldaten“ genehmigen. | |
Nach Konsultation mit dem Verbündeten USA gehe die Bundesregierung von | |
einem „Operationsfenster bis zum 31. August“ aus, hieß es weiter. Die | |
Regierung wollte aber nicht ausschließen, dass sich dieses Fenster für die | |
Evakuierungseinsätze der Bundeswehr früher schließt. | |
## UN-Sicherheitsrat befasst sich mit Lage | |
Am Montag befasst sich der UN-Sicherheitsrat mit der brisanten Lage in dem | |
Krisenstaat. Auf Antrag Estlands und Norwegens kommt das Gremium an diesem | |
Montagvormittag in New York (10.00 Uhr Ortszeit) zu einer Sondersitzung | |
zusammen. | |
UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich tief besorgt und rief die | |
islamistischen Aufständischen sowie alle anderen Konfliktparteien zu | |
„äußerster Zurückhaltung“ auf. Die Vereinten Nationen seien weiter | |
entschlossen, zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts beizutragen | |
sowie die Menschenrechte aller Afghanen, insbesondere die von Frauen und | |
Mädchen, zu fördern. Überdies gelte es, lebensrettende humanitäre Hilfe und | |
wichtige Unterstützung für Zivilisten in Not zu leisten, sagte er. | |
Die USA wollen Medienberichten zufolge angesichts des rasanten | |
Eroberungszugs der Taliban rund 1.000 weitere Soldaten nach Afghanistan | |
schicken. Damit würde die Zahl der US-Militärangehörigen, die in Kabul oder | |
auf dem Weg dorthin sind, auf rund 6.000 steigen. Ihre Hauptaufgabe sei die | |
Sicherung des internationalen Flughafens, von dem etwa Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeiter verschiedener Botschaften ausgeflogen werden. | |
Am Flughafen spielten sich seit Sonntag dramatische Szenen ab. Hunderte | |
Menschen sind zum Flughafen gefahren und versuchen, auf Flüge zu kommen, | |
wie in sozialen Medien geteilte Videos und Bilder zeigen. Menschen | |
kletterten über Drehleitern, um in ein Flugzeug zu gelangen. Auch Afghanen, | |
die nicht einmal Reisepässe hätten, würden ihr Glück versuchen, sagten | |
Bewohner von Kabul. Es gab zudem am Sonntag erste noch unbestätigte | |
Berichte, dass Menschen am Flughafen zu Tode gekommen seien. | |
## US-Soldaten feuern am Flughafen Warnschüsse ab | |
Am Montag verbreiteten sich in Kabul zudem Gerüchte, dass jeder, der es zum | |
Flughafen schaffe, evakuiert werde, sagte ein Bewohner der Stadt. Es gibt | |
jedoch keinerlei Hinweise, dass diese Gerüchte zutreffen. Die deutsche | |
Botschaft warnte auf Twitter sogar davor, ohne Aufforderung zum Flughafen | |
zu fahren. Dies könne gefährlich sein. | |
Nach Berichten der Nachrichtenagentur reuters feuerten US-Soldaten am | |
Flughafen Warnschüsse in die Luft. Man wolle damit Hunderte Afghanen davon | |
abhalten, das Rollfeld zu stürmen, um an Bord von Militärflugzeugen zu | |
gelangen, sagt ein US-Vertreter. Die militärischen Flüge seinen nur für | |
Diplomaten, Botschaftspersonal und einheimische Ortskräfte der Botschaft | |
gedacht. | |
Die Gesamtzahl deutscher Staatsbürger, die bis Sonntag noch in Kabul waren, | |
wurde auf mehr als 100 geschätzt. [2][Um wieviele Ortskräfte es geht, war | |
bis zuletzt unklar]. Es ist auf jeden Fall eine Zahl im vierstelligen | |
Bereich. Alleine in der staatlichen Entwicklungshilfe waren zuletzt noch | |
1.100 Afghanen in deutschem Auftrag tätig. Hinzu kommen tausende ehemalige | |
Ortskräfte der Bundeswehr oder der Bundesministerien. | |
Die Taliban wollen ein „Islamisches Emirat Afghanistan“ errichten, so wie | |
schon vor dem Einmarsch der US-Truppen im Jahr 2001. Damals setzten sie mit | |
drakonischen Strafen ihre Vorstellung eines „Gottesstaats“ durch: Frauen | |
und Mädchen wurden systematisch unterdrückt, Künstler und Medien zensiert, | |
Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. | |
## Lokale Medien berichten, Ghani sei in Tadschikistan | |
Der geflohene Präsident Ghani schrieb zur Begründung seiner Flucht auf | |
Facebook, andernfalls wären zahlreiche Landsleute getötet und die Stadt | |
Kabul zerstört worden. „Ich entschied mich zu gehen, um dieses | |
Blutvergießen zu verhindern.“ Die Taliban hätten ihre Macht mit | |
Waffengewalt errungen und seien nun dafür zuständig, das Leben, das | |
Vermögen und die Ehre der Bürger zu schützen. | |
Der Vorsitzende des Nationalen Rats für Versöhnung, Abdullah Abdullah, | |
äußerte sich empört. Er sagte in einer Videobotschaft, Gott möge Ghani zur | |
Rechenschaft ziehen. Auch das Volk werde über ihn richten. Angaben dazu, | |
wohin Ghani abreiste, machte Abdullah nicht. Lokale Medien berichteten, er | |
sei nach Tadschikistan geflogen. | |
16 Aug 2021 | |
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