# taz.de -- Symposium über Tiere und Kunst: Posthumane Selbstfindung | |
> In den Berliner Sophiensälen ging es um die auffällige Häufung von | |
> Mensch-Tier-Begegnungen in zeitgenössischen Performances. | |
Bild: Tierisch: „Animal Dances“ von Martin Nachbar (2013) | |
Eine Katze liegt auf einem Sofa, die Vorderläufe baumeln entspannt über die | |
Lehne. Sie schaut eine „Performance for Pets“. Dieses mythenumrankte (weil | |
ausschließlich in den Privaträumen der Tiere und ihrer Bezugspersonen | |
dargebotene) Format haben die in Wien lebenden Künstler*innen Krõõt Juurak | |
und Alex Bailey in den letzten drei Jahren entwickelt. | |
Vom Hundefrisör über den All-Inclusive-Haustier-Urlaub zur theatralen | |
Unterhaltung kann es nicht weit sein, haben sie sich gedacht. Nun stellen | |
sie „Performances for Pets“ im Rahmen des zweitägigen Symposiums „Animal | |
Dances – Menschen Tiere Relationen“ (kuratiert von Martin Nachbar und | |
Maximilian Haas) erstmals in den Berliner Sophiensaelen vor. Und zwar | |
anhand der Smartphone-Videos, die von den Bezugspersonen der | |
Zuschauer*innen gemacht wurden. | |
Zwei Kategorien gibt es bislang: eine für Hunde, eine für Katzen. Letztere | |
hätten ein überraschend menschenähnliches Zuschauerverhalten, mit einer | |
Ausnahme: Wenn sie zu mehreren sind, wechseln sie sich beim Zugucken ab. | |
Die meisten Komposita der Aufführungen wurden im Trial-and-Error-Verfahren | |
entwickelt. Zunächst dachten Juurak und Bailey etwa, dass Katzen mehr mit | |
zeitgenössischer Kunst (konzeptuelle Rätsellandschaft zum Selbstentdecken) | |
anfangen können, und Hunde traditionelle Unterhaltungsformate bevorzugen, | |
also konservativer seien. Bis sie zu einer Tierpsychologin gingen, die das | |
widerlegte. | |
Hunde könnten beispielsweise nicht gut mit Stille in Form von angehaltener | |
Bewegung umgehen, das mache sie nervös, konservativ seien sie deswegen | |
nicht. Seitdem gilt der stilistische Anspruch: Katzen mehr, Hunde weniger | |
Spångberg – ein Running-Gag von Juuraks und Baileys Präsentation, der sich | |
auf die extreme Spannungslosigkeit des schwedischen Performers Mårten | |
Spångberg bezieht. Nach dieser Sortierung lässt sich dann allerdings auch | |
menschliches Publikum in Katzen und Hunde unterteilen. | |
## Es geht nicht um die „Cute“-Ästhetik der Social Media | |
„Performances for Pets“ ist die radikalste Version des derzeitigen | |
Tier-Interesses in der tanzbezogenen Performance-Szene. Gemeinsam ist den | |
meisten Arbeiten der empathische Zugang zur anderen Spezies. Ihren | |
Bezugspunkt hat diese aktuelle Fluidität im Bezug auf verschiedene | |
Körperlichkeiten jedoch weniger im Tieraktivismus (und auch nicht in der | |
„Cute“-Ästhetik der Social Media) als in identitätspolitischen | |
Fragestellungen: „Animal Dances“ als Einübung in den Zustand eines | |
„posthuman animal“ oder einer nicht mehr vordefinierten Körperlichkeit. | |
Einige Beispiele: Antonia Baehr erschafft sich ihre Alter Egos in | |
“Abecedarium Bestiarium“ (2013) aus den Eigenschaften ausgestorbener Tiere; | |
Xavier Le Roy lässt seine Performer*innen in den wortwörtlichen „low | |
pieces“ im Sinne Jacques Derridas nicht-bewusste Nacktheit erleben; in | |
„Balthazar“ (2015) gestaltet David Weber-Krebs (im Stil von Joseph Beuys’ | |
„I like America and America likes Me“) mit wenigen Mitteln einen | |
Bühnendialog zwischen einem untrainierten Esel und menschlichen | |
Performer*innen; und Martin Nachbar verschlankt seine „Animal Dances“ von | |
2013 für das Symposium zum Freiluftsolo mit dem Fokus auf die Integration | |
tierischer Prothesen. | |
Die Berliner Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter entwickelt diese | |
Haltung der Empathie in ihrem Eröffnungsvortrag aus einer Gegenüberstellung | |
moderner und zeitgenössischer Techniken. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts | |
habe das Tier als Symbol für das Andere gegolten. Seine Bewegungsmuster | |
wurden, ganz in der Linie rassistischer Rezeptionsgewohnheiten, wie Tänze | |
nicht-europäischer menschlicher Kulturen imitiert und exotisiert. | |
## Ist die Domestizierung umkehrbar? | |
Der heutige Zugang sei dagegen ein (hier) von Derrida und Donna Haraway | |
abgeleiteter Versuch „verkörperlichter Kommunikation“ – auf die Beispiele | |
angewendet: kein Sprechen über, sondern ein Sprechen mit einerseits, ein | |
„Animal Drag“ andererseits. Dass dabei jedoch die Unterwerfung nicht | |
umkehrbar sei, das bleibt (vorerst?) Fazit in ihrem Vortrag wie in den | |
Diskussionsrunden. | |
Eine Gegenutopie gibt es allerdings auch, schwungvoll hereingeschleudert | |
vom in Linz lehrenden Kunst-Philosophen Fahim Amir. Sein Material versteht | |
sich als Vorbereitung auf „eine Geschichte der Tiere als eine Geschichte | |
des Widerstands“. Aus der Vogelperspektive: vom bürgerlichen Kampf gegen | |
die etwa 20 000 freilaufenden New Yorker Schweine in den 1820ern zur | |
Entwicklung der menschlichen Fließbandarbeit im Chicago der 1870-90er – als | |
Folge des Scheitern industrieller Tötungs- und Ausnehmmaschinerien, | |
wiederum in erster Linie an Schweinen. Die Folgejahrhunderte stehen noch | |
aus. | |
Im Gesamten geht es dem Wochenendsymposium, trotz Amirs Ausflug in | |
aktivistische Konzepte, jedoch tatsächlich mehr um ästhetische | |
Einfühlungstechniken im Sinn einer posthumanen Selbstfindung als um Fragen, | |
die beim Schwein-auf-der-Bühne-zerlegen entstehen. Ethische Fragen sind bei | |
diesem unaufgeregt fragenden und beobachtenden Symposium implizit, ohne | |
kategorisch zu werden. Oder, wie die Kulturtheoretikerin Karin Harrasser | |
(in ihrem wunderschönen Vortrag zur Stimmigkeit) von Alexander Kluge | |
ableitet: Das Recht, mit all seinen Körperteilen wenigstens so sorgfältig | |
behandelt zu werden wie eine Schraube, nämlich mit Gefühl, sollte für alle | |
gelten. | |
25 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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