# taz.de -- „Summer of Scandals“ auf Arte: Skandale zusamengematscht | |
> Der TV-Sender Arte versucht es in diesem Jahr mit dem „Summer of | |
> Scandals“. Die Macher verheben sich so manches Mal daran. | |
Bild: Tanya Tagaq: Inuit, gegen Fracking, für Robbenjagd – und Teil des „S… | |
Wenn Wolfgang Bergmann, der Arte-Programmkoordinator des ZDF, sagt, die | |
Zeit der „guten alten Skandale“ sei vorbei, klingt das erst einmal | |
nostalgiegetränkt. Tatsächlich handelt es sich um einen nüchternen Befund. | |
Als Elvis Presley 1956 im Fernsehen lasziv Hüften und Hintern bewegte oder | |
zwei Jahrzehnte später die Sex Pistols einen Moderator beschimpften, war | |
das noch geeignet, das Establishment zu erschüttern. | |
Doch solche Skandale, „die das Zeug hatten, die Gesellschaft zu verändern“, | |
wie Bergmann sagt, gibt es längst nicht mehr. Heute dagegen werden jeden | |
Tag mehrere Skandale produziert oder ausgerufen, die zwei Tage später schon | |
vergessen sind. | |
Die Bedeutung des Skandals für die Popkultur will Arte nun mit seiner Reihe | |
„Summer of Scandals“ aufzeigen, die am kommenden Wochenende startet und an | |
sechs Wochenenden zu sehen ist. „Summer of Scandals“ ist der zehnte | |
popkulturhistorische Sommer-Schwerpunkt des Senders. Außen vor bleiben | |
politischen Skandale. | |
„Der Skandal in der Kunst, der Grenzen ausloten soll, ist ja etwas anderes | |
als der politische Skandal, bei dem etwas herauskommt, was nicht | |
herauskommen soll“, erläutert Bergmann. Das ist durchaus eine plausible | |
Differenzierung, und dennoch wird der Begriff Skandal in diesem | |
Sommersonderprogramm sehr weit gefasst – etwa in der Überblicksdarstellung | |
„Pop Scandals“, die Arte am 30. Juli in zwei Teilen zeigt. | |
Das Spektrum reicht bis zu den Skandalen, die die Affären zwischen Marilyn | |
Monroe und John F. Kennedy sowie Bill Clinton und Monica Lewinsky | |
auslösten. Gewiss, Monroe war eine popkulturelle Figur, aber Clinton und | |
Lewinsky ja nun eher nicht. | |
## „Ein Jahr nach Marilyns Tod“ | |
In mehrere Jahrzehnte umfassenden Rundumschlägen zur Pop-Geschichte erweist | |
es sich generell als Problem, dass Personen und Phänomene, die wenig | |
miteinander zu tun haben, irgendwie miteinander in Beziehung gesetzt werden | |
müssen. So klingen die Übergänge manchmal völlig abstrus: „Ein Jahr nach | |
Marilyns Tod“ habe es „die nächste Provokationsstufe“ gegeben, erzählen… | |
die Autorinnen Nicole Kraack und Sonja Collison. Gemeint ist die | |
„Beatlemania“. Was haben die „Provokationen“ der Beatles denn mit denen | |
Marilyn Monroes zu tun? | |
Schnell kommt dann John Lennons skandalträchtige Äußerung, die Beatles | |
seien „größer als Jesus“, zur Sprache, und von dort geht es dann sehr | |
überraschend zur Boygroup Boyzone – und das auch nur, weil deren Mitglied | |
Ronan Keating zu den Experten gehört, die die Autorinnen nach wenig | |
nachvollziehbaren Kriterien als Interviewpartner rekrutiert haben. | |
Keating gibt zu verstehen, er habe zu Beginn seiner Karriere in der | |
Öffentlichkeit viel Unsinn geredet, und vielleicht, sagt er, wäre das nicht | |
passiert, wenn er einen Medientrainer gehabt hätte. Die Beatles hatten zum | |
Glück auch keinen, möchte man da anfügen. | |
## „Milli Vanilli“ und andere Legenden | |
Störend sind auch die sprachlichen Nachlässigkeiten: „Jetzt knallte es | |
gewaltig zwischen Jung und Alt“ und „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll hatten | |
Hochkonjunktur“ lauten Formulierungen, die den Filmemacherinnen zu den | |
späten 60er Jahren einfallen. Jimi Hendrix bot ihrer Meinung nach | |
„Bühnenskandale vom Feinsten“, und die Stones waren „noch tabuloser als … | |
Beatles“. Klingt so, als sei das Vorbild der Autorinnen der ARD-Sportmann | |
Steffen Simon. | |
Mindestens zwei Klassen besser als „Pop Scandals“ ist Oliver Schwehms am | |
zweiten „Summer of Scandals“-Wochenende zu sehende Dokumentation „Milli | |
Vanilli: From fame to shame“. Fällt der Name Milli Vanilli, denken die | |
meisten an die Schmach, die die Bandmitglieder erleben mussten, als 1990 | |
bekannt wurde, dass sie zu ihren Hits keinen Ton beigetragen hatten und der | |
deutsche Produzent Frank Farian sie nur aufgrund ihrer tänzerischen | |
Fähigkeiten ausgewählt hatte. | |
Vergessen wird dabei in der Regel, dass Milli Vanilli bis heute die | |
erfolgreichste deutsche Band in den USA sind. Schwehms Film ist vor allem | |
eine Würdigung des 1998 im Alter von 32 Jahren gestorbenen Bandmitgliedes | |
Robert Pilatus. | |
Weil bei Skandalen nicht zuletzt Boulevardzeitungen eine Rolle spielen, | |
haben die Programmplaner in ihren Schwerpunkt auch einen Film über den | |
„Aufstieg und Niedergang der Skandalpresse“ aufgenommen. So lautet der | |
Untertitel der Dokumentation „Tratsch und Totschlag“, in der Jean-Baptiste | |
Péretié die Entwicklung der britischen und amerikanischen | |
Boulevardzeitungen, vor allem aus dem Imperium Rupert Murdochs, in den | |
Blick nimmt. | |
Das ist teilweise informativ, aber leider bekommt hier Kelvin MacKenzie, | |
von 1981 bis 1994 Chefredakteur der Sun, viel Raum, um Döntjes zu erzählen. | |
MacKenzie ist verantwortlich für einen der größten Medienskandale des 20. | |
Jahrhunderts, er verbreitete 1989 schamlose Lügen über die Opfer der | |
Fußballstadionkatastrophe von Hillsborough. Arte nennt ihn in der | |
Programmankündigung „legendär“. | |
15 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
## TAGS | |
Beatles | |
Arte | |
Skandal | |
Pop-Kultur | |
Musikgeschichte | |
Global Pop | |
Kriegsfotografie | |
Musik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musiker Frank Farian ist tot: Er wollte ein Diskokönig sein | |
Frank Farian – Schöpfer von Boney M. und Milli Vanilli – war häufig auch | |
die Stimme, zu der Bandmitglieder tanzten. Nun ist er 82-jährig gestorben. | |
Film über die Band Milli Vanilli: Braids fliegen im Takt | |
Die singen ja gar nicht! In seinem „Girl You Know It’s True“ über Milli | |
Vanilli erkundet Regisseur Verhoeven die selbstbewusst künstlichen | |
Achtziger. | |
Global Pop-Festival in Berlin: Regenguss und Sufi-Trance | |
Das „By The Lake“-Festival ist wie ein Weltmusik-Festival für Leute, die | |
das Wort „Weltmusik“ hassen. | |
Bilder von Kriegsfotografinnen: Wir Weltempfänger aus Beton | |
Gibt es einen weiblichen Blick auf Krieg? Diese Idee ist absurd. Was wir | |
aus der Ferne verlangen müssen, ist, den Alltag zu sehen. | |
Manche nennen es Cloud Rap: Eine Ästhetik des Draufhaltens | |
Aus dem Netz in die Clubs: Das Berliner Künstlerkollektiv Live From Earth | |
macht Musikvideos für eine neue Generation von Rappern. |