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# taz.de -- Film über die Band Milli Vanilli: Braids fliegen im Takt
> Die singen ja gar nicht! In seinem „Girl You Know It’s True“ über Milli
> Vanilli erkundet Regisseur Verhoeven die selbstbewusst künstlichen
> Achtziger.
Bild: Mit „Girl You Know It's True“ (Szene mit Tijan Njie und Elan Ben Ali)…
Musikalisch waren Milli Vanilli alles andere als „true“. Dass der Refrain
ihres Megahits ausgerechnet mit diesem Wort endet, oder hätte enden sollen,
ist damit besonders pittoresk: Als die Popband im Juli 1989 in Connecticut
live performte, blieb das Festplattenlaufwerk mit dem Playback von „Girl
You Know It’s True“ stecken. Und zwang Rob Pilatus dazu, immer wieder „Gi…
you know it’s / Girl you know it’s / Girl you know it’s“ zu
lippensnychronisieren. Das Wort „true“ bekam er einfach nicht mehr raus.
Ein paar Monate später weitete sich der Zwischenfall, der den Gig
keineswegs beendete (nach ein paar Minuten hatte sich der von der Bühne
geflüchtete Rob beruhigt, die Hard Disk war in der Spur und die Show ging
playback weiter), zu einem Riesenskandal aus: „It’s true: Milli Vanilli
didn’t sing“, lautete eine von vielen enttäuschten Schlagzeilen.
Denn der pfälzische Musikproduzent Frank Farian, der die beiden
Animationstänzer Rob Pilatus und Fab Morvan als charismatische
Aushängeschilder für sein [1][Projekt Milli Vanilli] anwarb, hatte
ausgepackt und seine Goldjungen einer angeblichen „Wahrheit“ geopfert –
teils aus Frust über deren Allüren, teils, um Klagen der echten
Milli-Vanilli-Sänger abzuwehren.
## Live-Playback der Achtziger
Solche Geschichten schrieb das Leben nur in den 80ern, in denen es nicht
auffiel, dass Tanz-Performer trotz höchster körperlicher Anstrengung kein
bisschen atemlos klingen, und ihre Gesangslinien auch live zu 100 Prozent
identisch mit der Plattenaufnahme blieben. Beides hätte man mit der
üblichen Live-Playback-Praxis erklären können – dass man bei Interviews
jedoch das Kauderwelsch der Non-Native-Speakers hörte, während sie auf den
Songs akzentfrei American English sangen und rappten, das wäre heute
vermutlich längst ein Witz in den Social-Media-Kanälen.
Vielleicht darum setzt [2][Regisseur Simon Verhoeven] sein
Milli-Vanilli-Biopic „Girl You Know It’s True“ in einen popdidaktischen
Rahmen: „Ihr kennt uns nicht mehr“, sprechen Rob und Fab als Erzähler (und
damit „Owner“) ihrer eigenen Story aus einem imaginären Star-Rückzugsort
die Zuschauer:innen an – der Film ist für ein Publikum gemacht, das die
80er (und 90er) nicht mehr oder nur als Windelpupser erlebt hat.
Und das ist eine gute Idee – denn wer Milli Vanilli damals bewusst
wahrgenommen hatte, mitansah, wie sie im Hintergrund des hüftsteifen
[3][ZDF-Dallas-Abklatsch „Das Erbe der Guldenburgs“] ihre Dance-Moves
zeigten, während vorn Sydney Rome und Iris Berben Adeligendramen
durchlebten, wie sie den „Bravo-Otto“ schwenkten oder hölzerne Interviews
gaben, der wunderte sich wenig über den „Skandal“.
Verhoevens Film gibt sich zudem Mühe, die Atmosphäre detailliert zu
rekreieren. Er erzählt die Geschichte Robs (Tijan Nije) und Fabs (Elan Ben
Ali) als Zeitporträt, in dem die frühen Rassismuserfahrungen der PoC in
einer weißen Welt genauso wenig ausgespart werden wie die Impertinenz, mit
der sich der „Hitmaker“ Farian unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit
fremder Songs, Beats und Stimmen bediente.
## Strippenzieher im Hintergrund
Farian, von Matthias Schweighofer mit erkennbarer Lust am Chargieren
gespielt, ist ein Svengali – weil die Sänger, die gemeinsam mit ihm
designierte Hits einsingen, optisch nach seinem Ermessen nicht viel
hermachen, sucht er sich „Interpreten“, die besser in den Starschnitt
passen.
Verhoeven lässt Rob und Fab als moralisch – trotz späterer Star-Flausen –
integre Protagonisten immer wieder dagegen aufbegehren, doch Farian bleibt
bei seinem lukrativen Konzept. Der Produzent ist der Skrupelloseste, das
wird klipp und klar: Der Film geht bis in den US-Bundesstaat Maryland, in
dem eine Rap-Formation sowohl Beat als auch Text zu „Girl You Know It’s
True“ Jahre vor Farians unverfrorenem Urheberrechtsdiebstahl geschrieben
hatte. Den Konflikt versuchte Farian – wie immer – mit Geld zu lösen.
Dass der Film die Geschichte aber in Ansätzen weitererzählt, ist ein
relevanter Kommentar zum bedenkenlosen Umgang jüngerer
(Tiktok)-Generationen mit dem Thema: Der Komponist des Originals beginnt
nämlich nach der Erfahrung das komplizierte US-Urheberrecht zu pauken und
ist mittlerweile selbst ein extrem erfolgreicher Labelchef.
Auch dabei umarmt Verhoevens Film Schwarze Selbstermächtigung: „It’s the
hair“ lässt er die Performer angesichts des Erfolgsrezepts vorheriger
Megastars (Tina Turner, Elvis Presley) analysieren. Fortan tragen die
Männer ansehnliche Braids, die sich auf der Bühne und in Videos prima im
Takt herumschleudern lassen – selbst, wenn sie nicht echt sind.
## Große Schulterpolster und nichts dahinter
Es gibt also einiges zu lernen in Verhoevens Film. Nur Rob und Fab selbst
bleiben als Charaktere flach, mit ihnen scheint bis auf die viel
beschworene, dann aber doch nicht wirklich erklärte Freundschaft und
einigen Ruhm-steigt-zu-Kopf-Erlebnissen (die letztlich mit Robs frühem Tod
enden) nicht viel los zu sein. Aber so war das ja manchmal bei
80er-Jahre-Popstars: große Schulterpolster und nichts dahinter.
19 Dec 2023
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## AUTOREN
Jenni Zylka
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