# taz.de -- Streit um Presseähnlichkeit: Die große Einigung | |
> Verleger und öffentlich-rechtliche Sender beenden den jahrelangen Streit | |
> über Angebote im Netz – und gründen eine Schlichtungsstelle. | |
Bild: Wie sie sich freuen! V. l. n. r.: Mathias Döpfner, Rainer Haseloff, Malu… | |
Die Wörter „Staatsfunk“ und „Nordkorea“ will Mathias Döpfner zu den A… | |
legen. Mehrfach hat der Springer-Vorstand zuletzt den | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit diesen Vokabeln beschrieben – im Streit | |
um die Frage, ob die Onlineangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio den | |
Zeitungen die Nutzer*innen wegnehmen. Jahrelang hat Döpfner als Präsident | |
des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) diesen Streit gegen | |
die Sender, vor allem gegen die ARD, geführt. Am Donnerstag haben beide | |
Parteien nun verkündet: Wir sind uns einig. | |
In den Rundfunkstaatsvertrag wird aufgenommen, dass öffentlich-rechtliche | |
Onlineangebote – also Websites und Apps – nicht so aussehen dürfen wie die | |
Angebote von Verlagen im selben Medium. Dabei verzichtet man auf konkrete | |
Vorschriften. | |
„Der jahrelange Streit um Buchstaben ist durch ein konstruktives | |
Miteinander abgelöst worden“, sagte die Vorsitzende der Rundfunkkommission | |
der Länder, Malu Dreyer (SPD), bei der Vorstellung des Änderungsvertrags am | |
Donnerstag in Berlin. Seit Jahren zankt sich der BDZV mit einzelnen | |
Sendeanstalten, teils vor Gericht, über Apps und Websites und deren | |
Textgehalt. Es ging los mit dem Gerichtsstreit 2011 über die | |
„Tagesschau“-App. Den BDZV störte, dass die Sender mit Rundfunkbeiträgen | |
ein ähnliches Produkt anbieten wie die Presse. Deshalb, sagt Döpfner, | |
könnten die Verlage nicht mehr Onlineabos verkaufen. | |
Was in den Welt der Medienpolitik jetzt als gewaltiger Durchbruch gefeiert | |
wird, erscheint aus der Sicht von Leser*innen und Zuschauer*innen eher | |
kleinlich. Dennoch: Dass der jahrelange Streit beigelegt ist, ermöglicht | |
den Blick auf wichtigere Fragen in Sachen Zukunft des Rundfunks. | |
## Die Länder machten Druck | |
Die Ministerpräsident*innen hatten darauf gedrängt, den Streit endlich | |
beizulegen. Die Landeschef*innen, die zusammen die Rundfunkkommission der | |
Länder bilden, wollten schon Anfang des Jahres eine Änderung des | |
Rundfunkstaatsvertrags aufsetzen, in der eine Einigung festgeschrieben | |
werden sollte. Das scheiterte daran, dass die Parteien sich nicht | |
annäherten. Im Gegenteil, der NDR legte noch im Januar | |
Verfassungsbeschwerde ein gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in | |
Sachen „Tagesschau“-App. Diese wird jetzt trotz Einigung erst einmal | |
weitergeprüft, weil eine Verfassungsbeschwerde nicht einfach wieder | |
zurückgezogen werden kann. | |
Genaue Vorschriften, wie die Webangebote von ARD, ZDF und Deutschlandfunk | |
in Zukunft aussehen dürfen, gibt es nicht. Einigermaßen schwammig heißt es | |
im Änderungsvertrag: Telemedien „sind im Schwerpunkt mittels Bewegtbild und | |
Ton zu gestalten, wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf“. Eindeutige | |
Regeln, wie sie bereits angedacht waren – zum Beispiel, dass Senderangebote | |
zu maximal einem Drittel aus Text bestehen dürfen –, seien „formalistisch | |
und nicht lebensnah“, sagte Döpfner. Die friedensseligen Verhandler*innen | |
wollen sich „im Geiste“ einig sein, was gemeint ist: Die Nutzer*in soll auf | |
den ersten Blick erkennen können, ob die aufgerufene Website oder App von | |
einem Rundfunksender oder einem Verlag kommt. Für den Fall, dass sie einmal | |
nicht einig sind, sieht der neue Rundfunkstaatsvertrag eine | |
Schlichtungsstelle vor. | |
## Ominöse „Schlichtungsstelle“ | |
Wie genau diese Stelle aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. Fürs Erste | |
haben sich Döpfner und ARD-Chef Ulrich Wilhelm gemeldet. Hinzu komme im | |
Ernstfall „eine externe Person, die das Vertrauen beider Seiten genießt“, | |
konkretisiert BR-Justiziar Albrecht Hesse. Das Ziel: Man will sich nicht | |
mehr vor Gericht streiten, sondern über eine kurze Leitung. | |
Auf Kritik stößt die Einrichtung der Schiedsstelle bei der | |
medienpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Tabea Rößner. „Es | |
kann nicht sein, dass es eine Schiedsstelle von Pressevertretern gibt, die | |
über die Ausführung des öffentlich-rechtlichen Auftrags entscheiden“, sagte | |
Rößner gegenüber der taz. Die Grünen-Politikerin befürchtet, dass die | |
Privatwirtschaft in Form der Verleger auf diese Weise ihren Einfluss auf | |
den verfassungsmäßig garantierten Rundfunk vergrößert. „Das halte ich für | |
ein ganz falsches Signal, das die Öffentlich-Rechtlichen schwächt.“ | |
Die befriedeten Streitparteien hingegen konnten gar nicht genug betonen, | |
wie einig man sich plötzlich sei. „Wir haben festgestellt, dass der Gegner | |
woanders steht“, sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner | |
Haseloff (CDU). Es geht darum, Google und Netflix etwas entgegensetzen zu | |
können, aber auch Plattformen mit fragwürdiger journalistischer Qualität. | |
Man muss nicht der Meinung sein, dass die „Presseähnlichkeit“ von | |
tagesschau.de das Grundübel ist, das die Verlage davon abhält, digital | |
erfolgreich zu sein. Man kann sich aber freuen, dass der Streit nun | |
beigelegt ist – alleine, weil damit möglicherweise größere Themen | |
angegangen werden können. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ringt um | |
Legitimation. Fast überall in Europa wird er von rechten Parteien und | |
Bewegungen infrage gestellt. Der Rundfunkbeitrag ist unbeliebt wie eh und | |
je. Und nicht zuletzt erreichen ARD, ZDF und Deutschlandfunk immer noch zu | |
wenige Zuschauer*innen in den jüngeren, netzaffinen Altersgruppen. Jetzt, | |
da geklärt ist, dass die Sender im Netz nicht auf längere Texte werden | |
verzichten müssen – was zum Beispiel grundlegend ist, um von Suchmaschinen | |
gefunden zu werden –, können neue Angebote für die Zukunft erdacht werden. | |
Wobei nicht vergessen werden darf, dass die Sender nach wie vor sparen | |
müssen. | |
## „Indexierungs“-Streit hält an | |
Keine Klärung gab es diese Woche indes zu einem anderen Zukunftsthema, bei | |
dem dieses Mal nicht Presse und Rundfunk, sondern die Länder untereinander | |
streiten: die Frage, wer über die Höhe des Rundfunkbeitrags bestimmt. Für | |
die Sitzung der Rundfunkkommission am Mittwoch hatten sechs Bundesländer | |
kurzfristig einen recht radikalen Vorschlag eingereicht: Der | |
Rundfunkbeitrag wird an die Inflation gekoppelt, er steigt einfach mit den | |
Preisen. Das Prinzip heißt „Indexierung“, der Vorschlag kommt von Bayern, | |
Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Thüringen, Hamburg und Sachsen. Die | |
Länder wollen außerdem, dass die Sender über ihre Budgets relativ frei | |
entscheiden, statt wie bisher alle vier Jahre jeden Einzelposten in einem | |
komplizierten Verfahren zu beantragen. | |
Vor den Kopf gestoßen war dadurch das Land Rheinland-Pfalz, das | |
traditionell der Rundfunkkommission vorsitzt. Das Land reichte umgehend | |
einen Gegenvorschlag ein, der vorsieht, beim gegenwärtigen System zu | |
bleiben. Man habe sich am Mittwoch nicht einigen können, sagte | |
Kommissionsvorsitzende Dreyer nun, das Thema solle aber bis Ende des Jahres | |
abgeschlossen sein. | |
Würde der Rundfunkbeitrag indexiert, dann müssten die | |
Ministerpräsident*innen nicht mehr alle vier Jahre einstimmig entscheiden, | |
wie hoch der Beitrag angesetzt wird – eine Rechenformel würde das für sie | |
erledigen. Allerdings müsste auch die Kommission zur Ermittlung des | |
Finanzbedarfs (KEF), die im Moment über eine angemessene Höhe des Beitrags | |
befindet, umgewidmet oder abgeschafft werden. Abgewogen wird dabei eine | |
Vereinfachung des Systems gegen die verfassungsmäßig garantierte | |
Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Auftrags. | |
1 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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