# taz.de -- Spreeufer für alle: „Die Baubürokratie ist entsetzlich“ | |
> Die Lage im Holzmarkt ist verfahren. Dabei sei das Hippie-Dorf auch wegen | |
> der Lebendigkeit des Projekts sehr wichtig, sagt Michael Sontheimer. | |
Bild: So idyllisch wie lebendig: Das Hippiedorf Holzmarkt am Spreeufer | |
taz: Herr Sontheimer, das Hippie-Dorf Holzmarkt an der Jannowitzbrücke, das | |
aus der legendären Bar 25 hervorgegangen ist, wurde lange Zeit von vielen | |
Entscheidungsträgern in dieser Stadt hofiert. Jetzt wird der Holzmarkt | |
stiefmütterlich behandelt. Was ist passiert? | |
Michael Sontheimer: Wenn ich das so genau wüsste, wäre ich froh. Zunächst | |
ist einem als alter Berliner schon klar, dass die Baubürokratie in dieser | |
Stadt ganz entsetzlich sein kann: fantasie- und ambitionslos und oft | |
unendlich langsam. Zum anderen haben sich die Prioritäten der Berliner | |
Wohnungspolitik in den letzten Jahren stark verändert. Das große Grundstück | |
an der Spree ist [1][2012 von der alternativen Schweizer Pensionskasse | |
Abendrot] gekauft und an die Holzmarkt-Genossenschaft verpachtet worden. | |
Damals sagte der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Hans | |
Panhoff, dass man auf diesem Areal nicht wohnen könne, dass da nur Gewerbe | |
entstehen dürfe. Was auch dem gültigen Flächennutzungsplan entspricht. Seit | |
anderthalb Jahren amtiert ein anderer Baustadtrat, Florian Schmidt. Der ist | |
ebenfalls von den Grünen, aber sieht es genau anders herum. Er stimmte in | |
das derzeitige Mantra ein: Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen. Der Diskurs hat | |
sich um 180 Grad gedreht. | |
Wir reden hier vom Eckwerk, das die Holzmarkt-Genossenschaft, nur durch die | |
Bahntrasse getrennt, neben ihrem Dorf bauen wollte: fünf- bis zwölfstöckige | |
Häuser mit Holzfassaden für Wohnen und Arbeiten, für junge Leute aus der | |
IT-Szene. Warum hat die Politik dieses Projekt so ausgebremst, warum gab es | |
nie den lang versprochenen Bebauungsplan? | |
Was den grünen Baustadtrat [2][Florian Schmidt] mit dem Eckwerk und | |
Holzmarkt geritten hat, ist mir ein völliges Rätsel. Ich habe eine | |
Informationsveranstaltung mit ihm im Holzmarkt moderiert, da erklärte er | |
vollmundig, er bekenne sich zum Holzmarkt, er sei ein hundertprozentiger | |
Anhänger des Holzmarkts, der Holzmarkt müsse geschützt werden. Und so | |
weiter. In Wirklichkeit hat er anderthalb Jahre verhindert, dass überhaupt | |
irgendetwas Nennenswertes passiert. Ich frage mich inzwischen, warum er es | |
drauf anlegt, als Eckwerk- und als Holzmarkt-Mörder in die Berliner | |
Stadtgeschichte einzugehen. Er hat sich standhaft geweigert, mit dem | |
Vorstand der Holzmarkt-Genossenschaft überhaupt zu sprechen. Das geht, wie | |
ich finde, überhaupt nicht. | |
Ein Grund, warum das Eckwerk scheiterte, war der Konflikt des Holzmarkts | |
mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, mit der Florian | |
Schmidt zusammenarbeitet, um den Erwerb von Wohnhäusern zu ermöglichen. | |
Die Leute vom Holzmarkt haben wirklich sieben Jahre lang unermüdlich alles | |
probiert, um das Eckwerk bauen zu können. Sie haben aber von Anfang an | |
gesehen, dass sie vom Bauen in dieser Größenordnung nicht viel verstehen | |
und sich darum mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag | |
zusammengetan. Das war ein großer Fehler, denn die Gewobag hat eine sehr | |
konfliktorientierte Geschäftsführung. Die hat versucht, das Eckwerk zu | |
übernehmen, um sich ein Vorzeigeprojekt an die Brust zu heften. Es kam zum | |
Bruch und Ende vergangenen Jahres sah sich die Holzmarkt-Genossenschaft | |
gezwungen, für die erbrachten Planungs- und anderen Leistungen [3][das Land | |
Berlin auf 19 Millionen Euro Schadenersatz zu verklagen]. | |
Das hat natürlich nicht dazu beigetragen, mit der Politik ins Gespräch zu | |
kommen. | |
Nicht wirklich. Baustadtrat Schmidt war in höchstem Maße beleidigt. | |
Könnte der Bezirk überhaupt durchsetzen, dass auf dem Gelände doch noch | |
Wohnen entsteht? | |
Ja, das könnten die Bezirkspolitiker, aber die Lage ist böse verfahren. Im | |
vergangenen Jahr hat die Stiftung Abendrot den Pachtvertrag mit der Eckwerk | |
Entwicklungs GmbH über den Teil des Grundstücks, auf dem das Eckwerk | |
entstehen sollte, gekündigt. Nun muss Abendrot einen anderen Bauträger oder | |
eine andere Genossenschaft finden, die dort bauen will. Die Schweizer | |
sprechen wohl gerade mit vier Interessenten über das Eckwerk-Areal, aber | |
wenn sich Florian Schmidt und der Bezirk nicht endlich mal klar äußern, was | |
dort gebaut werden kann, und die Interessenten deshalb abspringen, haben | |
die Schweizer endgültig die Nase voll und sie verkaufen diesen Teil des | |
Grundstück wieder. Bis Anfang Juli wollen sie das klären. | |
Und was passiert dann? | |
Dann könnten wir den Worst Case haben. Dann bekommen irgendwelche | |
Investoren Zugriff auf dieses Filetgrundstück an der Spree und lassen dort | |
weitere Luxuswohnungen im Miami-Style hochziehen. Das wäre ein Desaster für | |
Berlin. | |
Und auch für den Holzmarkt? | |
Klar. Wir haben das Eckwerk abschreiben müssen und mittlerweile schon genug | |
Luxusmieter am Hals, die vor allem eines wollen: Ruhe. Schon seit letztem | |
Jahr gibt es Beschwerden von Bewohnern vom anderen Ufer der Spree, die | |
unter Geräuschen leiden, die man nicht hören kann, oder die auf ihren | |
Balkons sitzen und die Lautstärke messen. Sie haben die Unterstützung der | |
Bürokraten des Bezirks. Diese haben dem Holzmarkt tatsächlich verboten, | |
nach 21 Uhr noch Getränke zu verkaufen. Die Bezirksverordnetenversammlung | |
hat diese für Berlin absurde Einschränkung temporär außer Kraft gesetzt, | |
aber die Grünen haben sich lediglich der Stimme enthalten. | |
Ist es nicht bizarr, einen Ort mit Lärmklagen zu zerstören, der explizit | |
gebeten wurde, auch öffentlich zu sein? | |
In der Tat hat die Holzmarkt-Genossenschaft 2013 einen städtebaulichen | |
Vertrag mit dem Bezirk unterschrieben und sich darin verpflichtet, dass es | |
eine öffentliche Durchwegung im Holzmarkt geben soll. Jetzt gibt es den | |
Uferweg, es kommen viele Leute, von DDR-Rentnern aus der unmittelbaren | |
Nachbarschaft, die da ihren Kaffee trinken, bis zu jungen Leuten aus aller | |
Welt, die am Ufer sitzen. Und plötzlich ist die Öffentlichkeit unerwünscht, | |
denn die Öffentlichkeit ist zu laut. Sie redet und lacht. Nee, so geht für | |
mich Berlin wirklich nicht. | |
Wir hatten hier die Initiative Mediaspree versenken, die ein Spreeufer für | |
alle gefordert hat. Ist der Holzmarkt eine letzte Erinnerung an diese Zeit, | |
ein Relikt? | |
Gerade vor diesem Hintergrund ist der Holzmarkt ein Leuchtturm, den es | |
unbedingt zu verteidigen gilt. Man muss sich doch nur das Spreeufer | |
ansehen: Da steht das [4][„Living Levels“-Hochhaus] mit den | |
Luxuseigentumswohnungen von diesem Ex-Stasi- und KGB-Spion Maik Uwe Hinkel. | |
Oder dieser unsägliche neue [5][Mercedes-Platz]. Eine schlimmere | |
Architektur geht eigentlich kaum. | |
Sind Sie deshalb im Aufsichtsrat des Holzmarktes aktiv geworden? | |
Erstens halte ich den Holzmarkt städtebaulich für sehr wichtig. Ich wohne | |
am Volkspark Friedrichshain und radle regelmäßig nach Kreuzberg, durch eine | |
Wüstenei aus chlorgrün gekachelten Plattenbauten aus der Spätzeit der DDR | |
und der besagten Nachwende-Investoren-Architektur. Plötzlich taucht am | |
grünen Fluss eine Oase auf. Der Holzmarkt. Es ist großartig, dass hier | |
etwas so Lebendiges entstanden ist. | |
Und der zweite Grund für Ihr Engagement? | |
Zweitens war die Bar 25, aus der die Holzmarkt-Genossenschaft | |
hervorgegangen ist, ein später Ausläufer des [6][Techno-Hedonismus] der | |
1990er Jahre, der doch eine schöne Sache war. Das Eckwerk war für junge | |
Leute gedacht, die zum Leben und Arbeiten nach Berlin kommen, die ihr | |
Umfeld in großem Maße selbst gestalten wollen, die viel an ihren Rechnern | |
sitzen und nach Abschluss des Projekts vielleicht auch wieder woandershin | |
wollen. Es wäre ein Ort für die Kreuzberger Mischung des 21. Jahrhunderts | |
geworden. | |
Mochten Sie auch die Architektur des Eckwerks? | |
Sehr. Die Entwürfe sind faszinierend und haben Preise bekommen. Das Eckwerk | |
wäre ein Unikat in Berlin, ein echter Hingucker geworden. Aber schon beim | |
Wort Holzbauweise fängt jeder Baubürokrat an zu hyperventilieren, wegen des | |
Brand- und Lärmschutzes. Also, es war von Anfang an klar, dass man da | |
ziemlich dicke Bretter würde bohren müssen. | |
Wie ist denn jetzt die Stimmung im Holzmarkt? | |
Gemischt. Die Leute, die das Projekt seit sieben Jahren vorantreiben, sind | |
manchmal erschöpft, sie fühlen sich wie Sisyphus, der diesen schweren Stein | |
bewegt, bis er ihm wieder davonrollt. Gleichzeitig schafft eine solche | |
lange Auseinandersetzung auch Entschlossenheit. Sie sagen: Wir finden | |
dieses Projekt wichtig für diese Stadt, wir geben hier nicht klein bei, | |
warum soll das an irgendwelchen merkwürdigen, undurchschaubaren politischen | |
Widerständen scheitern? | |
Waren die Holzmarkt-Leute zu verträumt? | |
Wer nicht träumt, kann sich gleich einsargen lassen. Die Holzmark-Leute | |
waren ein bisschen zu früh dran. | |
24 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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