# taz.de -- Solidarität mit Iran auf der Berlinale: Soft- oder Superpower? | |
> Die Berlinale wird ihrem Anspruch als engagiertes Festival gerecht. | |
> Insbesondere in der Solidarität mit der Bewegung in Iran wirkt es | |
> überzeugend. | |
Bild: Als zwischen Irak und Iran Krieg herrschte: Szene aus dem Animationsfilm … | |
Die Wirklichkeit des Jahres 2023, wer hätte sie sich vor zwölf Monaten so | |
vorgestellt? Russland, China und Südafrika führen aktuell gemeinsame | |
Marinemanöver durch. Derweil Russlands imperiale Streitkräfte – auch | |
mithilfe iranischer Drohnen – ein ganzes Jahr lang schon zivile und | |
militärische Ziele in der Ukraine bombardieren. | |
Dies thematisiert wiederum ein Hollywoodstar wie Sean Penn, der auf den | |
Filmfestspielen in Berlin den Dokumentarfilm „Superpower“ präsentiert, den | |
er im Bombenhagel von Kyjiw gedreht hat. Mit einem Präsidenten, der wie | |
Wolodimir Selenski zuvor eher als Präsidentendarsteller bekannt war. Und | |
der nun als realer Kriegspräsident per Videoansprache auch auf der | |
Berlinale um Beistand für den Kampf gegen den russischen Aggressor wirbt. | |
## Anders als die documenta reagiert die Berlinale adäquat | |
Ungeachtet der abschließenden künstlerischen Bewertung der 73. Ausgabe des | |
Filmfestivals, (die diesjährigen Preisträger*innen werden am | |
Samstagabend bekannt gegeben), lässt sich wohl feststellen: im | |
symbolisch-politischen Bereich zeigt man sich in Berlin auf Höhe einer | |
äußerst schwierigen Weltlage. Der Bund ist einer der Hauptsponsoren des | |
Festivals. | |
Kulturstaatsministerin [1][Claudia Roth hatte sich solidarische Bezüge zu | |
Ukraine und iranischer] Freiheitsbewegung erhofft. Die Berlinale-Leitung um | |
Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek machte diese von Anfang an | |
kenntlich. Ein kulturelles Großevent kann also sehr wohl adäquat auf | |
aktuelle Krisensituationen reagieren. Anders als etwa die documenta in | |
Kassel. | |
## Die Perspektive Exilierter stärker im Blick | |
Die so brutal bedrängte Ukraine, aber auch die iranische Frauen- und | |
Demokratiebewegung waren auf dem Filmfestival in Berlin überaus präsent. | |
Auch wenn man aufgrund der jeweiligen Situation nicht mit Filmen im | |
Wettbewerb vertreten ist. Umso erstaunlicher die Funde in den Nebenreihen, | |
gerade in Hinblick auf Beiträge mit iranischen Bezügen. | |
Was den Nahen Osten und den Iran betrifft, scheint die Kulturszene | |
begriffen zu haben, dass sie auch die Perspektive Exilierter stärker in den | |
Blick rücken sollte. Der diesjährigen Berlinale-Jury unter Vorsitz von | |
Kristen Stewart gehört jedenfalls die Schauspielerin Golshifteh Farahani | |
an, eine 1983 in Teheran geborene Iranerin, die 2009 das Land verlassen | |
musste. | |
Das Festival pflegt eine langjährige Tradition der Solidarität mit | |
Filmschaffenden aus dem Iran. Von den Mullahs mit Berufsverbot belegte | |
Regisseure wie Jafar Panahi oder [2][Mohamad Rasulof] wurden mit Goldenen | |
Bären ausgezeichnet. | |
Doch selbst Panahi ist es nun in Iran nicht mehr möglich, in seiner | |
lakonisch-humorvollen Art weiter heimlich Filme zu drehen, um sie außer | |
Landes zu schmuggeln. Panahi und Rasulof saßen bis zu Beginn der Berlinale | |
im Gefängnis. In einer solchen Situation nicht verstärkt mit den Exilierten | |
und deren Perspektive zu arbeiten käme einer zweiten Zensur gleich. | |
## Frauen dürfen in Iran in der Öffentlichkeit nicht singen | |
Zensur und Unterdrückung zum Trotz zeigte das Festival in den Nebenreihen | |
viele Produktionen, die filmisch Islamismus und patriarchale Gewalt | |
unterlaufen. Anrührende Produktionen wie etwa der Debütfilm der Inderin | |
Sreemoyee Singh „And, Towards Happy Alleys“ (Panorama). | |
Singh bezieht sich in ihren Dokumentarfilm über das iranische | |
Gegenwartskino sehr stark auf die künstlerische Haltung der legendären | |
iranischen Dichterin Forugh Farrochzād. Zusammen fährt sie mit Jafar Panahi | |
(vor seiner letzten Inhaftierung) friedfertig und singend durchs Land. | |
Selbstironie und Heiterkeit wirken ansteckend. Frauen ist es in Iran nicht | |
gestattet, in der Öffentlichkeit fröhlich zu singen. | |
„And, Towards Happy Alleys“ ist ein berührendes, melancholisches Werk, das | |
eine Ahnung des existierenden „anderen“ Iran und seiner vielen | |
Protagonist*innen vermittelt. | |
Auch die derzeit wieder einmal inhaftierte iranische Menschenrechtsanwältin | |
Nasrin [3][Sotudeh] konnte Singh für ihren Dokumentarfilm treffen. | |
[4][Panahi] und Sotudeh – mit stoischer Sanftmut und humanistischer | |
Unnachgiebigkeit opponieren sie gegen ein bigottes Regime. | |
## Undercover nach Nordsyrien | |
Andere politische Konstellationen lassen hingegen keinen Spielraum mehr für | |
solch zivile, bürgerrechtliche Haltungen. Dies dokumentiert auf dramatische | |
Weise „Dreams’ Gate“ (Generation), der Debütfilm von Negin Ahmadi. Für … | |
Feature reiste die 1989 geborene iranische Kurdin undercover nach | |
Nordsyrien. Dort begleitet sie einen Trupp kurdischer | |
[5][YPG-Kämpferinnen]. | |
Die überwiegend jungen Frauen kämpfen in der Region Ar-Raqqa gegen den | |
„Islamischen Staat“ (IS), gemeinsam an der Seite männlicher Einheiten der | |
Demokratischen Kräfte Syriens. Viele von ihnen wurden bereits verwundet. | |
Doch riskieren sie lieber den Tod im Häuserkampf, als sich von Islamisten | |
versklaven zu lassen. | |
Einige der von Ahmadi porträtierten Frauen sind inzwischen im Kampf | |
tatsächlich gefallen. „Dreams’ Gate“ erinnert an sie. Daran, dass es | |
einzelne, besondere Menschen sind, deren Mut und Schicksal sich mit Parolen | |
wie „Jin – Jiyan – Azadî“ verbindet. | |
## Die innere Verfasstheit des Islamistenregimes | |
Ein filmisch aufrüttelndes Dokument ist auch [6][Steffi Niederzolls „Sieben | |
Winter in Teheran“] (Perspektive Deutsches Kino). Niederzoll rekonstruiert | |
den weltweit Aufsehen erregenden Fall der Reyhaneh Jabbari. Reyhaneh tötete | |
als 19-Jährige den ehemaligen iranischen Geheimdienstmitarbeiter Morteza | |
Sarbandi, als dieser versuchte, sie zu vergewaltigen. | |
Ein Mullah-Gericht drehte die Beweislage um und ordnete Blutrache gegen | |
sie an. Das Todesurteil wurde nach sieben Jahren vom ältesten Sohn | |
Sarbandis im Gefängnis vollstreckt. | |
Reyhaneh stammt aus einer aufgeklärten Teheraner Familie. Allen voran ihre | |
Mutter Shole Pakravan kämpfte unermüdlich um das Leben ihrer Tochter, | |
ähnlich den argentinischen Madres de Plaza de Mayo. „Sieben Winter in | |
Teheran“ ist ein kriminologisches Lehrstück. Es zeigt die innere | |
Verfasstheit eines verkommenen Islamistenregimes, das seit 1979 die eigene | |
Bevölkerung terrorisiert und nach Kräften die gesamte Region | |
destabilisiert. | |
## Der Film als Bindeglied zur Diaspora | |
Auch die im Exil lebende iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi, | |
Hauptdarstellerin im [7][Spielfilm „Holy Spider“] und aktuell für einen | |
Oscar nominiert, wirkte an Niederzolls „Sieben Winter in Teheran“ mit. | |
Ebenso wie schon zuvor an dem herausragenden Animationsfilm „Teheran Tabu“ | |
(2017), den die Berlinale jetzt in einer Sondervorführung zeigte. Zusammen | |
mit Jasmin Tabatabai, Melika Foroutan und Sepideh Farsi regte Ebrahimi in | |
einer Diskussion während der Berlinale im Kreuzberger Hebbel-Theater an, | |
Filmproduktionen mit Bezug zu den von Islamisten gepeinigten Regionen in | |
Deutschland und der EU systematisch zu fördern. | |
Dem Medium Film käme als Bindeglied zwischen Diaspora und im Inland | |
verbliebener Gesellschaft eine entscheidende Bedeutung zu. Eine solche | |
strukturelle Förderung hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth bereits | |
für die Ukraine und engagierte russischsprachige Produktionen ins Gespräch | |
gebracht. | |
## Eine Gesangsdiva als supranationale Schutzheilige | |
Bilder können viel bewirken. Die im französischen Exil lebende Regisseurin | |
Sepideh Farsi stellte mit dem Animationsfilm „La Sirene“ (Panorama) in | |
Berlin ein Werk vor, das das Potenzial hat, ein größeres in- und | |
ausländisches Publikum zu erreichen. „La Sirene“ erzählt von einer | |
jugendlichen Liebes- und Fluchtgeschichte. | |
Es spielt zu der Zeit, als der Irak Saddams den Iran der Mullahs überfiel. | |
In der Erdölstadt Abadan am Persischen Golf steht die Raffinerie in | |
Flammen. Eine kosmopolitische Gemeinschaft versucht dem Krieg zu entkommen, | |
der nicht der ihre ist. Dabei wird eine berühmte Gesangsdiva zu einer Art | |
supranationaler Schutzheiligen. Bei ihrem Anblick verweigern auch die | |
feindlichen Artilleristen den Befehl. | |
„La Sirene“, eine schöne Utopie auf dem Meer bei Sonnenaufgang. | |
25 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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