# taz.de -- Tickets nur online: Vom Filmfest ausgeschlossen | |
> Wer online kein Ticket kaufen kann, bleibt immer öfter draußen. Warum | |
> eine Verkaufspolitik wie zuletzt auf der Berlinale diskriminierend ist. | |
Bild: So sah es dieses Jahr nicht aus: Festivalbesucher beim Kartenverkauf für… | |
Ein Mensch steht vor dem Kino, es gibt noch Karten für den in Kürze | |
startenden Film – und doch keine Möglichkeit, diesen zu sehen. Denn die | |
Tickets dafür sind ausschließlich online zu erwerben, und der Mensch | |
besitzt kein Smartphone. | |
Was wie eine Szene aus Absurdistan anmutet, war während der elftägigen | |
[1][Berlinale] mehr als eine theoretische Möglichkeit. Viele Menschen sahen | |
sich zumindest teilweise von den Filmfestspielen ausgeschlossen, weil sie | |
über kein modernes Handy verfügen. Sei es, weil sie das aus Altersgründen | |
ablehnen, weil sie aus Sicherheitsgründen nicht online bezahlen wollen oder | |
weil sie aufgrund unfreiwilliger Einschränkungen mit der Technik schlicht | |
nicht klar kommen. | |
Die [2][Abschaffung aller analogen Ticketschalter] (und damit auch der | |
legendären Schlangen der Filmfans davor) durch die Festivalleitung wurde | |
jedenfalls immer wieder harsch kritisiert: In persönlichen Gesprächen auf | |
dem Festival und auch in vielen Zuschriften von betroffenen Leser*innen | |
an die taz. Derweil rühmte sich die Berlinale am Dienstag, dass sie mit | |
rund 320.000 verkauften Karten fast so viele Menschen in die Kinos locken | |
konnte wie vor der Coronapandemie. | |
Letzteres ist ein passendes Stichwort. Während Corona haben zwar [3][weite | |
Teile der Gesellschaft und Politik Rücksicht genommen] auf jene Gruppen, | |
die durch die Krankheit besonders verletzlich oder benachteiligt waren. | |
Aber auch damals wurden bereits Online-only-Ticketverkäufe eingeführt, etwa | |
für den Besuch von Schwimmbädern. Und mit der Rücksicht ist es nach dem | |
faktischen Ende der Pandemie vorbei – weil Minderheiten eben Minderheiten | |
sind und auf Dauer nicht die Gewohnheiten der Mehrheit definieren können. | |
## Es geht um soziale Teilhabe | |
Ähnlich ließe sich beim ausschließlich digitalen Ticketverkauf – nicht nur | |
auf der Berlinale – argumentieren: Jene, die noch immer kein Smartphone | |
nutzen und im Internet konsumieren, sind eine überschaubare Gruppe | |
geworden. Und angesichts der rapide fortschreitenden Digitalisierung werden | |
sie nicht umhin kommen, sich ein entsprechendes Gerät zu kaufen, wenn sie | |
nicht auch auf viele andere Möglichkeiten sozialer Teilhabe verzichten | |
wollen. | |
Das mag zu guten Teilen stimmen – dennoch ist es diskriminierend. Denn beim | |
Online-only-Verkauf sind jene, die diesen nicht nutzen können oder wollen, | |
auf Unterstützer*innen angewiesen, die den Einkauf besorgen. Weniger | |
Selbstständigkeit geht kaum. | |
Wahrscheinlich ist die Forderung vermessen, privaten Vermarkter*innen | |
von Tickets für Veranstaltungen vorschreiben zu wollen, künftig auch | |
alternative Vertriebsangebote jenseits von online anbieten zu müssen. Aber | |
zumindest bei staatlichen, sprich von den Steuerzahler*innen | |
finanzierten Veranstaltungen wie der vom Bund getragenen Berlinale, müsste | |
das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Schließlich ist es Aufgabe | |
des Staates, Diskriminierung durch solche Barrieren abzubauen, und nicht | |
neue zu errichten. | |
Das Problem dürfte in Zukunft noch häufiger auftauchen und auch Bereiche | |
jenseits der Kultur betreffen. Der Drang der Deutschen Bahn und anderer | |
ÖPNV-Anbieter, kosten- oder wartungsintensiven Verkauf am Schalter und | |
Automaten zu reduzieren und Online-Angebote auszubauen, ist offensichtlich. | |
Was also, wenn man irgendwann vor einem halbleeren Zug oder Bus steht, aber | |
trotzdem mangels Handy nicht mitfahren kann? | |
3 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlinale.de/de/home.html | |
[2] /In-Erwartung-der-Berlinale/!5912740 | |
[3] /Problematische-Corona-Oeffnungen/!5833565 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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