# taz.de -- Sleaford Mods über Musik und Flüche: „Wir sprechen für alle Un… | |
> Das britische Duo Sleaford Mods über fehlende Showelemente, Drecksarbeit | |
> in Callcentern und Drastik auf dem Album „Keymarkets“. | |
Bild: Links: Andrew Fearn, rechts: Jason Williamson. Zusammen sind sie die Slea… | |
taz: Jason Williamson, Andrew Fearn, angenommen, Sie könnten jemanden | |
töten, ohne dafür bestraft zu werden, wen würde es treffen? | |
Jason Williamson: Ich würde niemanden töten. Prince Harry würde ich | |
vielleicht wehtun. | |
Andrew Fearn: Nicht unbedingt wehtun, aber die Royals von diesem Planeten | |
entfernen. | |
Sie sind keine Fans der Krone? | |
Williamson: Die Royals sind ein Stachel im Fleisch der Menschlichkeit. | |
Seit wann können Sie von Ihrer Musik leben? | |
Williamson: Ich habe letzten Oktober aufgehört zu arbeiten, Andrew | |
arbeitete Teilzeit. | |
Andrew Fearn, genießen Sie Ihre Rolle auf der Bühne, wo Sie praktisch | |
nichts tun, außer auf einen Knopf drücken, um den nächsten Track zu starten | |
und eine Dose Bier zu öffnen? | |
Fearn: Absolut, ich repräsentiere die Musik. Ich habe lange in Bands | |
gespielt, Schlagzeug und Gitarre, aber jetzt fühlt sich das richtig an. | |
Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, auf der Bühne so zu tun, als | |
hätten Sie was zu tun? | |
Fearn: Nein, überhaupt nicht. Ursprünglich hatten wir die Idee, dass ich | |
gar nicht mit auf die Bühne gehe. Ich bin glücklich mit dieser | |
Konstellation, im HipHop und Dance ist das ganz normal, nur bei Rockbands | |
erwarten die Leute Live-Action. Es ist eine modernere Performance. | |
Auch eine bewusste Abgrenzung gegenüber dem prätentiösen Auftreten von | |
Rockbands? | |
Fearn: Nicht direkt, aber es entspricht unserer Haltung gegenüber der | |
Rockszene, die doch sehr stagniert und alte Musikstile immer wieder aufs | |
Neue erbricht. Wir wollten nicht um jeden Preis alles anders machen, aber | |
wenn Computerspiele und andere Medien wichtiger sind als Rockmusik, kann | |
man nicht einfach so weitermachen. Umso überraschter sind wir jetzt über | |
unsere Popularität. | |
Sind Sie in Deutschland populärer als in England? | |
Williamson: Nein, wir sind schon ziemlich groß in England, aber wir werden | |
auch verhöhnt als „alte Männer, die nur rumbrüllen“. Viele jüngere Leute | |
mögen uns, aber manche halten uns für Koksnasen. | |
Fearn: Oder behaupten, Jason sei ein Säufer. Was soll das? Mein Gott, es | |
gab Leute wie Shane McGowan von den Pogues, der ging sternhagelvoll auf die | |
Bühne und wurde dennoch respektiert. Was ist mit der Musik passiert? Sie | |
ist so hygienisch geworden, so sauber, es gibt keine Charakterköpfe mehr. | |
Wollen Sie diese Lücke schließen? Sind die Sleaford Mods der ersehnte | |
Gegenentwurf zu einer verunsicherten Männlichkeit, der seit der Niederlage | |
des Gewerkschaftsführers Arthur Scargill gegen Margaret Thatcher im | |
Bergarbeiterstreik 1985 die Identifikationsfiguren abhandengekommen sind? | |
Verkörpern Sie den Lad-haft virilen Working-Class-Hero, der den | |
neoliberalen Schnöseln da oben mal so richtig auf die Fresse haut? | |
Fearn: Offenbar erkennen die Leute in uns etwas, mit dem sie sich | |
identifizieren können, es kommen auch viele Frauen zu den Konzerten, die | |
uns so was sagen. | |
Williamson: Ja, es gibt nicht viele bodenständige Bands, wir sind eine. Wir | |
sprechen in unserem Midlands-Akzent, und der ganze Auftritt ist | |
repräsentativ für die Unterdrückten. | |
Der britische Kritiker Mark Fisher schrieb, Ihr Midlands-Akzent, der in | |
Großbritannien ungefähr so angesehen ist wie in Deutschland das Sächsische, | |
sei Ausdruck von Klassenbewusstsein und Wut über die britische Politik. | |
Stimmt das? | |
Williamson: Ja, das stimmt schon. | |
In Ihrem Song „Jolly Fucker“ geht es um „working class rage“. Gibt es | |
überhaupt noch eine Arbeiterklasse? | |
Williamson: Ja, aber ich würde eher von Unterklasse sprechen. Es gibt | |
diejenigen, die in Fabriken, Lagerhallen oder Callcentern die Drecksarbeit | |
machen, und dann die Facharbeiter, die mehr verdienen. Ihr Status in der | |
Klassengesellschaft verbessert sich, aber wenn sie ihre humanistische | |
Haltung beibehalten, die ich mit der Arbeiterklasse verbinde, dann spielt | |
es keine große Rolle, wo sie auf der sozialen Leiter stehen. | |
Ein Kritiker beschrieb Ihre Musik als „fistfighting Post-Punk Bass“. Klingt | |
gut, aber ist das nicht auch das Problem: mit bloßen Fäusten wüten gegen | |
eine hoch funktionale Armee aus modernen Maschinen? | |
Williamson: Ja, aber es gibt kaum Antworten auf die Krisen und wenn, dann | |
kommen sie von Intellektuellen. Für die Massen zu sprechen ist immer | |
problematisch. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem die Architekten der | |
Kontrolle uns eingewickelt haben. Und es ist eine verzweifelte Zeit, es | |
gibt das massive Gefühl, dass man etwas tun muss, dass man attackieren | |
muss. Das sagt unsere Musik, sie hat eine aggressive Haltung. | |
Haben Sie nicht manchmal genug davon, als Stimme der Deklassierten | |
bezeichnet zu werden? | |
Williamson: Im Gegenteil, es ist eine große Ehre, wenn man uns so sieht. | |
Jason Williamson, wie würden Sie Ihren Vokal-Stil charakterisieren? | |
Sprechen Sie eher oder singen Sie? | |
Williamson: Rantin’ & Shoutin’ (schimpfen und schreien), aber eingekleidet | |
in Melodien. | |
Ihre Vorbilder? | |
Williamson: Raekwon und Inspectah Deck, zwei der Rapper vom Wu-Tang-Clan | |
und natürlich der Oldschool-Rapper Kool G Rap. Aber auch Nigel Lewis von | |
der Psychobilly-Band the Meteors, ein bisschen Liam Gallagher. | |
Auf Ihrem neuen Album „Key Markets“ herrscht wieder große Fluch-Dichte, die | |
Frequenz von „fokkin“, „piss“ und „shit“ bleibt hoch. Mark Fisher h… | |
„excremental anger“ genannt, können Sie damit was anfangen? | |
Williamson: Schon, in gewisser Weise ist es fürchterliche Musik, keine | |
Musik, die man still genießt, manchmal ist sie furchteinflößend. | |
Alles beim Alten also auf „Key Markets“? Wo bleibt der musikalische | |
Fortschritt? | |
Williamson: Wir haben keinen Masterplan, entweder ein Song ist gut oder | |
nicht. Wenn wir eine ganz neue Idee für unsere Musik hätten, dann wäre das | |
ein bewusster Schritt in eine andere Richtung, aber so war es nicht. | |
Den Song „No one ’s bothered“ gibt es in einer langsamen Fassung auf der | |
letzten Toursingle, warum haben Sie ihn für das Album als schnelle Version | |
gewählt? | |
Williamson: Ich fand die langsame Fassung passte nicht zum Rest des Albums. | |
Das ist durchweg schneller. „No one ’s bothered“ in Zeitlupe wäre ein | |
kleiner Schritt weg vom Trademark Sound gewesen, vielleicht in Richtung Dub | |
Poetry, Sleaford Style, in der Tradition von britischen | |
Außenseiter-Großmäulern: Gary Clail, Mike Skinner, Skream. Sehen Sie sich | |
da? | |
Fearn: Ja, Gary Clail auf On-U-Sound, definitiv. Wir werden immer nach | |
politischer Musik gefragt und niemand denkt dabei an On-U-Sound, das war | |
eine ganze Bewegung politischer Musik. | |
In letzter Zeit haben Sie interessante Kollaborationen gemacht: Auf dem | |
neuen Album von Leftfield besetzt Jason Williamson die Rage & | |
Anger-Planstelle, die vor 22 Jahren John Lydon als Gastsänger innehatte. | |
The Prodigy engagieren die Sleaford Mods als Relevanz-Marker für ihren | |
Track „Ibiza“, mit Mark Stewarts Pop Group teilen Sie sich eine | |
Split-Single. Große Zornesmänner unter sich? | |
Williamson: Ich bin nicht so vertraut mit der Pop Group, aber ich sehe | |
natürlich Parallelen, sie sind eine politisch motivierte Band. | |
Und die aggressive Haltung? | |
Williamson: Ja, klar, aber die sind viel mehr funky als wir. | |
Fearn: Wir sind da in guter Gesellschaft. Mit der Pop Group und den | |
Specials verbindet uns mehr als mit Leftfield und Prodigy. Die Specials | |
haben uns eingeladen mit ihnen zu touren und das hat auf Anhieb gepasst – | |
ihr Antirassismus, die antihomophobe Haltung. | |
Apropos antihomophob, Andrew Fearn, ich habe gelesen, dass Sie in einer | |
schwulen Beziehung leben. Hat Ihre Homosexualität Einfluss auf die | |
Präsentation von Männlichkeit bei den Sleaford Mods? | |
Fearn: Hm, vielleicht auf eine verdrehte Art, weil die Sleaford Mods kein | |
Macho-Ding ... | |
Williamson: We’re not Macho! | |
14 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
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