# taz.de -- Sigmar Gabriel in Moskau: Zu Gast bei Freunden | |
> Der Vize-Kanzler macht Präsident Putin seine Aufwartung. Der Kreml | |
> verkauft das Ereignis als Zeichen einer Normalisierung der Beziehungen. | |
Bild: Sigmar Gabriel am Mittwoch vor seinem Abflug nach Moskau | |
MOSKAU taz | Sigmar Gabriel ist in Moskau. Bereits zum dritten Mal seit der | |
Annexion der Krim im Frühjahr 2014. Ob Präsident Wladimir Putin Zeit für | |
den deutschen Vizekanzler findet, blieb fast bis zuletzt offen. Auf | |
Inszenierungen versteht sich der Kreml jedoch. Dass Moskau den deutschen | |
Sozialdemokraten ziehen lassen würde, ohne ihm eine Putin-Audienz zu | |
gewähren, war kaum zu erwarten. | |
Der Besuch des Vizekanzlers ist ein Highlight. Zwar schaut gelegentlich | |
auch US-Außenminister John Kerry im Rahmen des Syrienkonflikts vorbei. | |
Sigmar Gabriel kommt jedoch als Dialogpartner und Vertreter einer Partei, | |
die „traditionell mehr Verständnis aufbringt für Russlands Interessen“, | |
sagt Jekaterina Timoschenkowa vom Deutschland-Institut der Akademie der | |
Wissenschaften. Der Besuch eines deutschen Vizekanzlers oder Außenministers | |
sei immer eine „positive Nachricht“. | |
Gelegentlich kommt auch Ungarns Regierungschef Victor Orban vorbei. | |
Hochrangige Gäste aus dem Westen sind jedoch rar, einmal abgesehen von | |
rechten und linken Vertretern EU-kritischer Bewegungen. Moskau ist einsam | |
und fürchtet die Isolation. Präsenz in Schlagzeilen täuscht darüber hinweg. | |
Die Visite des Sanktionskritikers Sigmar Gabriel liefert Moskau jedoch eine | |
Steilvorlage. Schon in den letzten Tagen klang durch: Russlands Verhältnis | |
zum Westen normalisiere sich langsam wieder, ohne dass es Zugeständnisse | |
hätte machen müssen. Gabriels Auftritt wird als Beweis für die Uneinigkeit | |
des Westens gewertet. Nicht zuletzt sei damit auch die Isolation widerlegt. | |
## Persönliche Glückwünsche | |
Kurzum, Gabriel ist bei Freunden zu Gast. Unmittelbar nach dem | |
Erdrutschsieg der Kremlpartei „Einiges Russland“ bei den Dumawahlen nimmt | |
Präsident Putin persönliche Glückwünsche gerne entgegen. Denn sie | |
legitimieren auch den Wahlausgang. Drei Viertel aller Parlamentssitze | |
erhielt die Kremlpartei, die Opposition keinen. Davon träumen Gabriel und | |
die SPD gar nicht erst. Der Besuch in Russland geschieht ebenfalls nicht | |
ganz ohne wahltaktische Hintergedanken. | |
Im Juni warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Nato, die Lage an | |
der EU-Ostgrenze „durch Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ nicht weiter | |
anzuheizen. Seither erhärtet sich der Verdacht: die SPD könnte mit einer | |
Neuauflage der Ostpolitik der 1970er Jahre in den Bundestagswahlkampf 2017 | |
ziehen. | |
Über Unterstützung bei der hybriden Kriegsführung freut sich Moskau. | |
Gleichwohl verschont der russische Außenminister Sergej Lawrow den | |
deutschen Amtskollegen nicht vor Erniedrigung. Die Feuerpause um Aleppo | |
lehnte Lawrow im Juli kaltschnäuzig ab, wider besseren Wissens wiederholte | |
er im Januar die Vergewaltigungslüge einer russischstämmigen Berliner | |
Schülerin – „unserer Lisa“. | |
Berlin antwortet mit vertrauensbildenden Maßnahmen. Unterdessen führt | |
Wladimir Putin in der Ostukraine weiter Krieg. Mehr als 9000 Tote sind zu | |
beklagen, in Syrien stützt der Kreml Assad und die Streubomben des Regimes. | |
## Hackerangriffe auf den Bundestag | |
Selbst die Hackerangriffe auf den Bundestag werden nicht angesprochen. Mal | |
sehen, ob der Gast den Schneid besitzt, die Gastgeber mit der jüngsten | |
Bombardierung des Hilfskonvois vor Aleppo zu konfrontieren. | |
Bei Wählern der Linken und der AfD steht Wladimir Putin hoch im Kurs. Dort | |
genießt der Kremlchef mehr Vertrauen als Angela Merkel. In dieses | |
Wählerpotential wollen Gabriel und Steinmeier vorstoßen. Fraglich ist, ob | |
der Zugewinn von einigen Prozentpunkten den Handel mit demokratischen | |
Prinzipien aufwiegt. Zumal Putin aus seiner Verachtung der europäischen | |
Demokratie schon lange kein Hehl mehr macht. | |
Mit einer sofortigen Lockerung der Sanktionen rechnet in Moskau niemand. | |
Gabriel wird jedoch als Hoffnungsträger wahrgenommen, der die Aussicht „auf | |
einen Einstieg in einen etappenweisen Abbau“ eröffne, sagt Timoschenkowa. | |
Sie erwartet, dass deutsche Unternehmen trotz Krise und Sanktionen die | |
Produktion in Russland ausdehnen werden. Moskaus Strategie des | |
Importersatzes begünstige deren Ansiedlung, so die Deutschlandexpertin. | |
Gabriel reist nicht zufällig mit einer großen Delegation der deutschen | |
Wirtschaft an. Dort mache man sich sogar noch Hoffnungen, an einer | |
Hochgeschwindigkeitsbahntrasse zwischen Moskau und dem 700 Kilometer | |
entfernten Kasan beteiligt zu werden. Zu welchem politischen Preis? | |
Auch Russlands Deutschlandexperten glauben, eine vorsichtige Normalisierung | |
der Beziehungen beobachten zu können. Berlins Umgang mit der Ukraine werde | |
schärfer und ungeduldiger, hieß es. Gute Nachrichten für Moskau: Weder | |
Kompromisse noch Zugeständnisse sind nötig. | |
21 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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