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# taz.de -- Sieg einer Tunesierin und seine Folgen: Arabischer Tennisfrühling
> Ons Jabeur hat als erste Afrikanerin ein hoch dotiertes Tennisturnier
> gewonnen. In ihrem Heimatland Tunesien stößt sie damit eine wichtige
> Debatte an.
Bild: Historischer Moment: Ons Jabeur erhält den Siegerinnenpokal nach dem ATP…
Mit dem Sieg von Ons Jabeur bei den Madrid Open am vergangenen Sonntag hat
erstmals eine afrikanische Tennisspielerin ein WTA-1000 Turnier gewonnen.
Vor ihrem bisher größten Erfolg im Frauentennis war die Tunesierin
[1][bereits ein großes Vorbild für Sportlerinnen] in der arabischen Welt,
die immer noch gegen gesellschaftliche Vorurteile ankämpfen müssen.
Vor dem Finale war sich Jabeur voll bewusst, dass sie mit einem Sieg in
Spanien Geschichte schreiben würde. „Ich hatte vor dem Match Probleme,
überhaupt ruhig und gleichmäßig zu atmen, und das Gefühl, mir springt das
Herz aus der Brust“, sagte die 27-Jährige nach ihrem Triumph. Der Ruhetag
vor dem Finale sei kaum zu ertragen gewesen, lachte sie, „eine
Achterbahnfahrt der Gefühle“. So verlief auch der Sieg gegen die
Amerikanerin Jessica Pegula. Nach einem mentalen Einbruch im zweiten Satz
fand sie zu ihrer enormen Willenskraft zurück und gewann schließlich in
drei Sätzen (7:5, 0:6, 6:2).
Ons Jabeur war bereits vor dem Turnier in die Top Ten der Weltrangliste
aufgestiegen und hatte in dieser Sandplatzsaison bereits 12 Matches
gewonnen. Als erste arabische und afrikanische Tennisspielerin gewann sie
vergangenes Jahr im Juni das WTA-Turnier in Birmingham und zog zudem in
Wimbledon ins Viertelfinale ein.
Von ihrem derzeitigen 7. Platz der Weltrangliste will sie nun ganz oben
angreifen. In ihrer Heimat steigen mit jedem Sieg ebenfalls die
Erwartungen. Denn auch wenn viele Tunesierinnen in Europa mittlerweile als
Ärztinnen, Ingenieure oder IT-Spezialisten gefragt sind, fühlen sich viele
noch vornehmlich als Gastarbeiterinnen aus einer ehemaligen französischen
Kolonie wahrgenommen. „Jabeur hat mehr für unser Selbstbewusstsein getan
als der Arabische Frühling“, sagt die Studentin Rim Karoui aus Tunis.
## Widrige Umstände
Ons Jabeur wird in vielen tunesischen Medien stolz als Beweis angeführt,
dass man es auch als Tunesierin unter widrigen Umständen zu etwas bringen
kann. Doch religiös konservative Kreise verhindern im ehemaligen
Vorzeigeland des Arabischen Frühlings [2][immer noch die Gleichberechtigung
von Männern und Frauen], im Sport und in der Öffentlichkeit. Frauen, die in
Parks joggen oder Fahrrad fahren, müssen ständig damit rechnen, angefeindet
zu werden.
Dass die zurzeit bekannteste tunesische Sportpersönlichkeit eine Frau ist,
hat die schwelende Debatte zwischen Konservativen und Reformern über die
Rolle der Frauen und das vor sechs Jahren reformierte Erbschaftsrecht
wieder angefacht.
Die in Tunis aufgewachsene Tochter eines Kaufmanns sieht sich selbst zwar
nicht als Aktivistin, ist sich aber ihrer Vorbildfunktion durchaus bewusst.
„Ich spiele für mein Land, für die arabische Welt und den afrikanischen
Kontinent“, sagte sie in Madrid mit der Trophäe in der Hand. In Interviews
mit tunesischen Medien fordert sie jungen Mädchen und Frauen auf,
Sportclubs beizutreten und gesellschaftlichen Vorurteilen mit
Selbstbewusstsein entgegenzutreten.
Ohne die in Europa bereits im Jugendbereich üblichen Tennisakademien oder
Sponsorenverträge kämpfte sich Jabeur mithilfe ihres Ehemannes und
Fitnesstrainers Karim Kamoun durch die finanziellen und sportlichen Krisen.
Mit gemeinsamem Training des Ehepaars und Kamouns straffem Trainingsplan
schaffte sie es trotz mangelnder heimischer Konkurrenz wie aus dem Nichts
auf die internationale Bühne. Entdeckt hatte ihr Talent der Jugendtrainer
Nabil Mlika in Sousse. Mangels vorhandener Plätze des örtlichen Tennisclubs
trainierte er die damals 10-Jährige neben europäischen Touristen in
Hotelanlagen.
Dank der Unterstützung ihrer Eltern schaffte sie mit 16 Jahren den Sprung
an ein Sport-Gymnasium in Tunis und schließlich zu Trainingscamps in
Belgien.
„Sie glaubten an mich, trotz der gesellschaftlichen Hürden für junge
Mädchen und ohne jegliche Erfolgsgarantie.“
Der Werdegang von Ons Jabeur ist repräsentativ für Sportlerinnen ihrer
Generation in Nordafrika und der arabischen Welt. Mangels staatlicher
Unterstützung, sportlicher Strukturen oder einer Konkurrenz ist die einzige
Chance, international erfolgreich zu sein, ein bestärkendes und
wohlhabendes familiäres Umfeld. Viele Tunesierinnen hoffen, dass sich der
Erfolg von Ons Jabeur positiv auf ihren Alltag auswirkt. „Ich möchte
endlich Fahrrad fahren oder Federball spielen, ohne herabwürdigende
Kommentare zu hören“, sagt die Studentin Rim Karoui
10 May 2022
## LINKS
[1] /Inklusiver-Sport-fuer-alle-Geschlechter/!5847052
[2] /Tunesische-Anwaeltin-Yosra-Frawes/!5831673
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Tennis
Frauensport
Madrid
Tunesien
Gleichberechtigung
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Protest
Kolumne Press-Schlag
Wimbledon
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