# taz.de -- Selbstständigkeit während Corona: Eine Frage der Wertschätzung | |
> 2,2 Millionen Soloselbstständige arbeiteten vor Corona in Deutschland. | |
> Nun sind viele Existenzen bedroht. taz hat drei Freischaffende | |
> wiedergetroffen. | |
Bild: Tanzperformerin ohne Publikum: Birte Opitz in ihrem Studio Berlin Neuköl… | |
Eigentlich steht die Nähmaschine direkt neben dem Schreibtisch. Tisch und | |
Zimmer sind normalerweise chaotischer organisiert. Doch was ist schon | |
normal in Zeiten von Corona? Gleich während des ersten Lockdowns räumte | |
Dora Müller, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, | |
ihr Schlafzimmer um: Privates und Berufliches trennen. Die Nähmaschine | |
wanderte auf die andere Seite des Raumes. Sie schaffte Weinkisten als | |
zusätzlichen Stauraum an. Für mehr Ordnung. Mehr Arbeitsfläche. Mehr | |
Konzentration. Als Ausstellungsgestalterin und Guide für historische | |
Führungen in Berlin ist sie freischaffend tätig. | |
Normalerweise arbeitet die Historikerin in Bibliotheken, Archiven, Museen. | |
Nun ist ihr Schlafzimmer in einer 2er-WG in Berlin gleichzeitig ihr | |
Arbeitsplatz. Dora Müller steckt ihre Hände in die Hosentaschen ihrer | |
blauen Cordhose, an den Handgelenken blitzen Strickstulpen hervor. Die | |
braunen Haare mit türkisfarbenen Strähnen trägt sie zusammengebunden. Viele | |
Aufträge seien seit letztem März weggebrochen, sagt sie. Sie verdiente nur | |
die Hälfte des Vorjahres – um die 16.000 statt 30.000 Euro brutto aus der | |
Freiberuflichkeit. Dank Laptop im Schlafzimmer könne sie wenigstens | |
teilweise weiterarbeiten, erzählt die 30-Jährige. Auf dem Schreibtisch | |
liegt eine aufgeschlagene Broschüre vom Friedhof der Märzgefallenen, dem | |
Gedenkort an die Revolution 1848. Führungen finden momentan natürlich nicht | |
statt. Konzipiert werden können sie allemal im Homeoffice. Müller will die | |
Touren pädagogisch aufarbeiten, interaktiver gestalten. „Meine | |
verschiedenen Standbeine retten mich in der Pandemie“, sagt sie. | |
Im März 2020 titelte die taz „Kreative Lösungen gefragt“. Drei | |
Selbstständige berichteten, wie ihnen die Aufträge wegbrachen, von | |
Unsicherheit und Existenzangst im ersten Lockdown. In Deutschland gibt es | |
laut Statistischem Bundesamt etwa 4 Millionen Selbstständige, darunter 2,2 | |
Millionen Soloselbstständige – zumindest vor der Krise. [1][Die | |
Auswirkungen der Coronakrise treffen sie besonders hart.] Viele sind | |
existenzbedroht. | |
Knapp ein Jahr später hat die taz die drei erneut getroffen: Historikerin | |
Dora Müller, Birte Opitz, Performerin und Lehrerin für Tanz und Zirkus, | |
sowie Agraringenieurin Sabine Jürß. Ein Jahr voller absurder Wendungen | |
liegt hinter den Frauen. Alle drei haben beruflich überlebt. Staatliche | |
Hilfen zu bekommen war kompliziert, oft nicht an ihre Situation angepasst | |
oder sie fielen sogar durchs Raster. Es war und ist eine unsichere Lage. | |
## 7.000 Euro Soforthilfe für die Aufzucht ihrer Lämmer | |
Vor einem Jahr bangte Sabine Jürß um ihre Existenz. Die 62-jährige | |
Agraringenieurin hält seit 1988 Ziegen und verkauft Bio-Rohmilchkäse auf | |
dem Markt in Münster. Der erste Lockdown habe sie hart getroffen. Im März | |
sagte sie der taz: Die Auswirkungen von Corona „sind für mich wirklich | |
existenzbedrohend. Nach dem Winter habe ich keine Rücklagen mehr.“ Als | |
Grundversorgerin konnte sie zwar weiterhin Käse verkaufen, aber es seien | |
weniger Kunden gekommen. Sie hatte Angst, ihren studentischen Aushilfen nur | |
noch Käsepäckchen packen, ihnen aber nicht mehr die Miete bezahlen zu | |
können. Jetzt, ein knappes Jahr später, ist sie positiv gestimmt: Ihr gehe | |
es „blendend“ im Vergleich zu anderen Branchen. Existenzbedrohend sei die | |
Situation für sie dann zum Glück doch nicht gewesen. „Ich habe teilweise | |
sogar profitiert. Zu klagen wäre vermessen.“ Ihre Aushilfen konnte sie alle | |
weiterbeschäftigen. Auf dem Markt machte sie 25 Prozent mehr Umsatz, obwohl | |
viele Kunden aus der Gastronomie weggebrochen seien. „Es gab einen Run auf | |
regionale Produkte“, freut sie sich. „Die Leute haben sich gutes Essen | |
gegönnt und mehr gekocht.“ Eine gute Fügung: Ein Radio-Koch entdeckte sie �… | |
gute PR. | |
Sie beantragte 7.000 Euro Soforthilfe im Frühjahr und steckte diese in die | |
Aufzucht ihrer Lämmer. „Ich musste aber alles zurückzahlen, weil es ein | |
landwirtschaftlicher Verlust war, der nicht von den Hilfen gedeckt wurde. | |
Das hat ein Riesenloch in meinen Finanzen gerissen und war nicht leicht für | |
mich.“ Die Tiere konnte sie – wegen des Lockdowns – nicht wie geplant an | |
ein Biohotel verkaufen. Stattdessen: „Die Lämmer sind für null Euro ins | |
Hundefutter gewandert. Das kann ich auch nicht ersetzen.“ Der Verkauf der | |
Lämmer sei sowieso immer schwierig, nie ein großer Gewinn, aber zumindest | |
kostendeckend. Jetzt im Winter gebe sie normalerweise auch Käsekurse – | |
diesen „Zubrot“ falle auch weg. Trotz allem: Unterm Strich sei es okay. | |
Die staatlichen Hilfen für Soloselbstständige empfand sie als „blanken | |
Hohn.“ Auch ein KfW-Kredit wurde ihr nicht bewilligt. „Dieser Beihilfe-Wust | |
war echt zum Abgewöhnen, so kompliziert. Eine Zumutung. Ich habe mich | |
wahnsinnig geärgert und war verunsichert. Ich habe mich nicht vom Staat | |
unterstützt gefühlt. Wir Selbstständigen wurden nicht wertgeschätzt.“ In | |
Zukunft, sagt Jürß, verlasse sie sich lieber auf sich und ihr Netzwerk. | |
Ein Jahr ohne Performances. Ohne kreatives künstlerisches Schaffen. Ein | |
Jahr ohne Sicherheit. So resümiert Performerin und Tanzlehrerin Birte Opitz | |
ihr Coronajahr. Sie sitzt in ihrem Studio in Berlin-Neukölln, das sie | |
gemeinsam mit dem queer-feministischen Kollektiv „Altes Finanzamt“ gemietet | |
hat. Normalerweise sei es hochfrequentiert. Nun ist es still. Zwei große | |
Lautsprecherboxen, Scheinwerfer und Theatersessel aus Holz lassen erahnen, | |
dass hier Kunst eingeübt und aufgeführt wird. | |
„Meine Wohnungsmiete, Versicherung und Miete für das Studio laufen ja | |
weiter“ berichtete sie der taz im März 2020 verzweifelt. Bis Ende April | |
letzten Jahres betrugen ihre Einbußen allein 3.000 Euro. „Wenn dann noch | |
mehr Ausfall kommt, brauche ich eine Notfalllösung“, so Opitz damals. | |
Rückblickend sagt die 31-Jährige: „Ich bin stolz, das Jahr irgendwie | |
überlebt zu haben, finanziell und emotional.“ Zwei Drittel habe sie weniger | |
verdient. | |
## Große Sicherheit gaben Freunde und Familie | |
Die ökonomische Lage sei „ganz unterschiedlich“ für Selbstständige, | |
„abhängig vom Grad der Digitalisierbarkeit des Geschäftsmodells“, erklärt | |
Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und | |
Selbstständigen Deutschland. „In den besonders hart betroffenen Branchen | |
mussten viele mangels Hilfe ihre betrieblichen Rücklagen und privaten | |
Ersparnisse aufbrauchen und stehen vor dem Aus.“ Da die meisten keine | |
Kredite aufgenommen hätten, würden viele ihre Tätigkeit ohne Insolvenz, | |
aber mit großem persönlichem Schaden beenden. Marcus Pohl, | |
Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft der selbständigen | |
DienstleisterInnen in der Veranstaltungswirtschaft, berichtet, dass | |
Selbstständige nur mühsam und ständig von Existenzangst bedroht durch das | |
Coronajahr gekommen seien. Sie kämpften jeden Tag ums Überleben. „Manche | |
geben die Selbstständigkeit auf und werden wohl auch nicht mehr in die | |
Branche zurückkommen.“ | |
Im März bekam Performerin Birte Opitz 5.000 Euro Berliner Soforthilfe. „Mit | |
dem Geld lebte ich knapp sechs Monate. Ich habe es richtig gebraucht. Es | |
war meine letzte Rettung – abgesehen von Hartz IV. Ich habe ja keinen Cent | |
eingenommen.“ [2][Neben der Soforthilfe beantragte sie auch die | |
Novemberhilfen]: „Das war sehr kompliziert. Ich weiß bis heute nicht, ob | |
ich alles richtig gemacht habe“, bangt sie. Auch habe sie vor Monaten einen | |
Wohngeldantrag gestellt und bis heute nichts zurückbekommen. „Jetzt | |
überlege ich mir gut, wann ich einen Antrag stelle.“ | |
Zurück zu Dora Müller in die 2er-WG: Die Situation fühlte sich „surreal an. | |
Einfach absurd“, sagte sie der taz letzten März. Dieses Gefühl sei das Jahr | |
über geblieben. „Ich bin zum Glück gut über die Runden gekommen.“ Sie | |
wisse, dass es anderen schlechter ergangen sei. „Ich bin sehr privilegiert. | |
Muss keine Familie versorgen, hatte Rücklagen, die ich aufbrauchen konnte, | |
und ein Erbe von meinem Opa.“ Auch wenn das eigentlich ihre Altersvorsorge | |
sei. Ihre Ausgaben konnte sie an den geringeren Verdienst anpassen. Sie | |
mache Foodsharing und konnte den Krankenkassenbeitrag reduzieren. Große | |
Sicherheit habe ihr gegeben, dass sie Freunde und Familie habe, die ihr | |
finanziell unter die Arme hätten greifen können. | |
Während Führungen für Touristen und Workshops mit Schulklassen für Müller | |
wegbrachen, liefen Ausstellungsprojekte weiter. „Die Projekte waren ja | |
bereits bewilligt, wurden verlängert oder verschoben.“ Mehr Geld gab es | |
nicht, trotz größeren Arbeitsaufwands: ständig umplanen, mehrere Anläufe, | |
schwierige Koordination. So verschob sich ein Zeitzeugeninterview mit einer | |
ehemaligen DDR-Rechtsanwältin mehrmals. Im Dezember schließlich führte sie | |
es digital. Nur der Kameramann war vor Ort, die Interviewfragen stellte sie | |
online. Bei einem anderen Projekt konzipierte sie Kinderstationen für ein | |
Museum mit, geplant für den Monat Mai, verschoben auf August, durchgeführt | |
im Januar. | |
Im März beantragte auch Müller 5.000 Euro Berliner Soforthilfe. „Das ging | |
sehr unkompliziert und schnell. Ich hab mich über das Geld gefreut – wusste | |
ja nicht, wie es weitergeht.“ Lange sei sie jedoch unsicher gewesen, ob sie | |
die Soforthilfe wirklich behalten dürfe. Weitere Hilfen beantragte sie | |
nicht. Sie wolle nicht vom Staat abhängig sein. Deshalb habe sie die | |
Soforthilfe mittlerweile auch freiwillig teilweise zurückgezahlt. | |
## Ein Lichtblick für Soloselbstständige ist die Neustarthilfe | |
Dass bei der Soforthilfe „plötzlich die Vergabekriterien verändert wurden �… | |
Lebenshaltungskosten nicht mehr gedeckt waren – führte zu Unsicherheit“, | |
sagt Veronika Mirschel, Leiterin des Referats Selbstständige bei Verdi. Die | |
Berliner hätten Glück gehabt: „Sie durften die Landessoforthilfe auch für | |
Lebenshaltungskosten verwenden.“ Für viele Selbstständige hätten auch | |
weitere Hilfen für Verunsicherung und Unverständnis ob der bürokratischen | |
Hürden und Intransparenz gesorgt. „Die finanziellen Hilfen sind ein | |
ziemlicher Verhau“, fasst sie die staatlichen Angebote zusammen. Oft seien | |
Soloselbstständige schlicht nicht mitgedacht worden. „Soloselbstständige | |
sind ja der Betrieb in sich.“ Sie hätten meist keine Betriebskosten – an | |
die die meisten Hilfen aber gebunden seien. | |
Derweil sollte Hartz IV die Selbstständigen auffangen: „Wir haben uns | |
anfangs gefreut, dass es schnell und unkompliziert einen vereinfachten | |
Zugang zur Grundsicherung gab“, erzählt Mirschel. „Leider mussten viele | |
dann aber den normalen Wahnsinn im Jobcenter durchturnen, weil die neue | |
Regelung dort nicht ankam.“ Außerdem: Das Abschieben in die Grundsicherung | |
sei dann als die Lösung angesehen worden. „Soloselbstständige sind die | |
einzige Gruppe, die man in diese prekären Strukturen drängt. Das ist auch | |
eine Frage der Wertschätzung.“ Sie wünsche sich, dass die Regierung sagt: | |
„Wir greifen für Selbstständige so tief in die Tasche wie für Lufthansa.“ | |
Die Fluggesellschaft hatte staatliche Hilfen in Milliardenhöhe erhalten. | |
Marcus Pohl von der Interessengemeinschaft der Veranstaltungswirtschaft | |
findet, die Ausgestaltung der bisherigen Hilfen zeige, dass | |
Selbstständigkeit in Deutschland keine Anerkennung bekomme. „Atypisch | |
beschäftigt“, hieße es im Politikjargon. „Die Selbstständigen kämpfen um | |
Anerkennung, um Respekt, um Beteiligung am Sozialstaat. Aber eben nicht als | |
so eine Art Angestellte. Das Sozialsystem hält uns außen vor.“ | |
Sozialbeiträge müssen die meisten Selbstständigen zwar nicht zahlen, dafür | |
sei die „Altersvorsorge zu 100 Prozent privat. Die Krankenversicherung zu | |
zirka zwei Dritteln. Kosten, die von keiner Hilfe gedeckt werden.“ | |
Das Bundeswirtschaftsministerium teilt zu den Hilfen mit, dass es „bei | |
allen Förderprogrammen stets geschaut“ habe, wo es „Verbesserungsbedarf“ | |
gebe, um diesen dann umzusetzen. Das Bundesfinanzministerium betont, dass | |
ihnen die [3][Unterstützung der Kulturbranche] wichtig sei. Für eine | |
„wirksame Hilfspolitik“ gelte: „Wir beobachten die Situation genau und | |
nehmen, sofern notwendig, Anpassungen vor.“ Das gelte auch weiterhin. | |
Ein Lichtblick für Soloselbstständige könnte nun die Neustarthilfe von | |
maximal 7.500 Euro für den Zeitraum bis Juni 2021 sein. Für viele | |
Soloselbstständige sei es die erste Hilfe, die sie behalten dürften, so | |
Andreas Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland. | |
„Angesichts von dann 16 Monaten Krise sind das gerade einmal 469 Euro pro | |
Monat.“ | |
## Die Ausnahmesituation schafft auch Vertrauen | |
Performerin Opitz kennt die normalen Hochs und Tiefs der Selbstständigkeit | |
und Kunstwelt. Sie machte sich bereits während des Studiums selbstständig. | |
Sie studierte Darstellendes Spiel und Performance, machte dann eine | |
Tanzweiterbildung, einen Master in Tanzwissenschaft sowie eine Ausbildung | |
zur feministischen Selbstbehauptung und Selbstverteidigung. | |
Dass sie nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein pädagogisches | |
Standbein habe, sei ihre Rettung. Bis Juli konnte sie gar nicht, zwischen | |
August und Oktober richtig viel arbeiten. „Da habe ich mir den Arsch | |
aufgerissen. Ich war voll darauf konzentriert, zu überleben.“ Sie machte | |
Vertretungen, hielt Seminare, übernahm Gruppen, die ihr andere übergaben. | |
„Da bin ich dankbar für. Der Support in der Kulturszene war toll. Im | |
Spätherbst brach dann alles nach und nach wieder weg. Momentan laufe nur | |
noch ein Onlinekurs. | |
Das Jahr 2020 habe sie sehr erschöpft, die ständige Unsicherheit quälte, | |
die Angst, in Quarantäne zu müssen und dann erst recht nicht mehr arbeiten | |
zu können, habe sie stets begleitet. Projekte wurden verschoben. So sei | |
eine Performance von Juni 2020 auf Januar 2021 verschoben worden und jetzt | |
gar auf Herbst 2022. Das schmerze. | |
Das „Skurrile“ sei: Diese unsichere Ausnahmesituation gebe ihr auch | |
Vertrauen, dass es irgendwie weitergehen werde. Auch im privaten Umfeld | |
habe sie tolle Hilfestrukturen erlebt. „Zum Beispiel wurde mir angeboten, | |
die Fahrkarte für eine Reise zu meiner Mutter bezahlt zu bekommen.“ Sie | |
habe abgelehnt, Sicherheit gab es trotzdem. Auch das Studio sei ein „Ort | |
der Geborgenheit. Hier spüre ich, dass ich Künstlerin bin.“ | |
Die Selbstständigenverbände fordern indes weiter eine angemessene | |
Unterstützung des Staates: weniger Bürokratie und höhere Summen. „Wer wird | |
üppig gestützt und wer fällt hintenrunter? Die Lasten müssen endlich besser | |
verteilt werden“, fordert Mirschel. Positiv sei, dass die | |
Soloselbstständigen endlich sichtbar seien. „Ihre ökonomische Situation war | |
teilweise ja auch vor Corona dramatisch. Jetzt ist eine Diskussion | |
entbrannt über die teils beschissene Bezahlung. Es wird über Umverteilung | |
geredet.“ Wirklich geändert habe sich bis jetzt jedoch nichts. | |
## Gemischte Gefühle beim Blick ins Jahr 2021 | |
Kommen da Zweifel an der Selbstständigkeit? Die habe sie immer mal wieder – | |
unabhängig von Corona, meint Historikerin Dora Müller. Vor Kurzem hat sie | |
sich auf eine feste Stelle beworben, das hat nicht geklappt. „Manchmal | |
möchte ich mich fokussieren und nicht an verschiedenen Themen zeitgleich | |
arbeiten. Gleichzeitig befruchtet sich die vielseitige Arbeit: verschiedene | |
Orte, Themen, Menschen. Das geht am besten als Freie.“ Als Selbstständige | |
wisse sie häufig nicht, was die nächsten drei Monate passiere. „Aus dieser | |
Erfahrung heraus konnte ich auch gut durch das Coronajahr kommen, die Lage | |
war nicht komplett neu.“ Aber drastischer. 2020 bleibe ihr „langgezogen und | |
unplanbar“ in Erinnerung mit sehr viel Zeit am Schreibtisch. „Es war ein | |
Auf und Ab. Finanziell okay, aber unglaublich anstrengend.“ | |
Sieben Wochen machte sie eine Elternzeitvertretung – „das war wie eine | |
kurzzeitige Festanstellung“ und gab Planbarkeit. Besonders freue sie sich | |
über die Wertschätzung vieler Einrichtungen: „Sie haben überlegt, wie sie | |
ihre Gelder für Führungen und Workshops anders verteilen können und wie sie | |
Freie beauftragen können.“ | |
Ins Jahr 2021 blicke sie gemischt. Einerseits: „Ich habe Angst, dass die | |
Gelder im Kulturbereich einfach krass gekürzt werden und dieses Jahr für | |
viele Freie finanziell schlimmer wird als 2020. Letztes Jahr waren die | |
Gelder ja schon bewilligt.“ Andererseits: „Ich habe bereits die Verträge | |
für ein großes Zeitzeugenprojekt unterschrieben“, freut sie sich ob dieses | |
Ankers. | |
Landwirtin Jürß ist positiv gestimmt, auch wenn es für sie bis in den | |
Sommer schwierig bleiben werde. Ob sie diesmal die Lämmer losbekommt? Ob | |
die neuen Kunden und der Run auf Regionales bestehen bleiben? Sie wisse es | |
nicht. Mit der Coronasituation konnte sie sich aber arrangieren. Da müsse | |
man halt durch. Vor allem wünsche sie sich, dass die „wirklichen Probleme“ | |
wieder auf die Agenda kommen: Klimakrise, Flüchtlingskrise, soziale | |
Spaltung. | |
Wenig Hoffnung auf ein normaleres Jahr hat auch Performerin Opitz. Sie will | |
Onlineworkshops ausbauen. Das Positive an Corona sei, dass in dieser Lage | |
auch Neues entstehe. So produziere sie nun etwa einen Podcast über | |
sexualisierte Gewalt. Auch wenn die vielen Projektförderanträge im | |
Kulturbereich kräftezehrend gewesen seien, wolle sie nach wie vor | |
selbstständig sein. „Wenn ich die Selbstständigkeit in der Pandemie | |
überlebt habe, kann alles kommen.“ Ende Januar bekam sie sogar die Zusage | |
für eine Projektförderung vom Dis-Tanz-Solo, einem Hilfsprogramm im Rahmen | |
von Neustart Kultur: 9 Monate je 1.500 Euro. Es sei ein „großartiges | |
Gefühl“ gewesen, diese E-Mail zu öffnen. In diesem Projekt möchte sie Tanz | |
und Selbstbehauptung verknüpfen. | |
Zwei weitere Sorgen aber quälten sie weiter: Das Haus, in dem auch ihre WG | |
drin ist, steht vor dem Verkauf. Zudem eine künstlerische, apokalyptische | |
Sorge: „Überlebt die Kunst die Pandemie? | |
11 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mareike Andert | |
Amélie Losier | |
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