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# taz.de -- Folgen durch Corona für Selbstständige: Kreative Lösungen gefragt
> Die Corona-Krise bedroht die Existenz vieler Selbständiger. Sie hoffen
> auf schnelle Unterstützung. Am Donnerstag sollen Maßnahmen verkündet
> werden.
Bild: MusikerInnen sind auch existenzbedroht: Konzert am Senefelder Platz in Be…
BERLIN taz | Birte Schmidt ist Performerin und unterrichtet normalerweise
Tanz, Zirkus und Theater. Aber jetzt fallen ihre Kurse und Veranstaltungen
aus. Wegen Corona. Schmidt verrät ihren richtigen Nachnamen lieber nicht,
sie fürchtet negative Folgen für künftige Aufträge. Und die Situation ist
jetzt schon schwierig genug. Schmidt ist selbstständig, so wie etwa 4,2
Millionen in Deutschland, darunter sind 2,2 Millionen Soloselbständige.
[1][Für sie sind die Auswirkungen durch die Einschränkungen der
Corona-Krise besonders hart.] Wenn nicht gar existenzbedrohend.
Verbände fordern deswegen schnelle unbürokratische Hilfe. „Die Leute
verzweifeln gerade. Haben existenzielle Angst“, sagt Andreas Lutz,
Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen
Deutschland (VGSD). Das Problem: „Die Schwarze-Peter-Karte wird jetzt
weitergeschoben. Und landet dann häufig bei Selbständigen.“ Am Mittwoch
trafen sich am späten Nachmittag die Bundesminister Scholz, Altmaier und
Heil mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Auch dabei: Lutz. Er freue sich,
dass die Regierung sie nun einbinde. Donnerstag wollen die Minister
verkünden, welche Hilfen beschlossen wurden.
Während das Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmende schnell geregelt worden
wäre, „haben wir nicht so eine starke Lobby“, beklagt Lutz. Viele
bisherigen Maßnahmen seien auf Unternehmen, nicht aber auf Selbständige
zugeschnitten. Altmaier und Scholz gaben bereits Freitag bekannt, dass
Steuervorauszahlungen gekürzt werden und KfW-Kredite bereitstünden. Die
Liquiditätshilfen kämen jedoch oft nicht an bei Selbständigen und es
brauche einen Nothilfefonds, sagte Heil am Mittwoch im „Morgenmagazin“:
„Ich werde dafür sorgen, dass die, die jetzt existenziell gefährdet sind,
einfacher auch soziale Sicherungsnetze in Anspruch nehmen können. Auch
Kleinstselbständige werden dann unbürokratisch Leistungen aus der
Grundsicherung bekommen, [2][um ihre Existenz zu sichern].“
Selbständige haben es besonders schwer, da sie meist keinen Zugang zur
Arbeitslosenversicherung haben, erklärt Lutz. Auch „die Krankenkassen- und
Pflegeversicherungsbeträge sind für Selbständige überproportional hoch“. …
den Kosten für den Lebensunterhalt kämen oft hohe laufende Kosten für
Laden- oder Büromiete und Versicherungen. Außerdem: „Wenn Unternehmen
sparen wollen, dann oft als Erstes bei den Selbständigen. Die Verträge sind
leichter kündbar.“
## Ausfallhonorare? Von wegen!
Das merkt auch die Performerin Birte Schmidt. Bei der 30-Jährigen brechen
bis Ende April zwei regelmäßige Kurse, Workshops und eine Performance weg.
Auch zwei große Ferienprojekte, die „zwei Monate finanziert hätten.“ Die
waren fest eingeplant, um dann auch mal Urlaub machen zu können. Ihre
Einbußen bis Ende April: 3.000 Euro. „Aber meine Miete, Versicherung und
Miete für ein Studio laufen ja weiter“, erzählt sie der taz.
Ausfallhonorare seien ganz und gar nicht üblich: „Ich habe das nur ein
einziges Mal durchgeboxt bekommen.“
Ähnlich ergeht es einer 29-Jährigen Museumspädagogin, Guide und
Ausstellungsgestalterin. Ausfallhonorare bekomme sie nicht. Auch sie möchte
ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Sie machte sich vor
eineinhalb Jahren selbständig. „Das funktionierte gut. Ich hatte immer
Aufträge“, sagt sie am Hörer. Doch jetzt falle vieles weg: öffentliche und
private Führungen sowie Workshops für Schulklassen und Erwachsene. Die
jetzige Situation fühle sich „surreal an. Einfach absurd.“
Die Auswirkungen des Coronavirus spürten die Selbständigen etappenweise,
beschreibt Lutz vom VGSD. Zuerst wurden Veranstaltungen abgesagt. Dann
schlossen Kitas und Schulen. Als Drittes traf es das lokale Business und
Museen. Schließlich dann die Kaufzurückhaltung. Auch bei Unternehmen.
Betroffen ist auch Sabine Jürß. Als Agraringenieurin ist sie in der
Landwirtschaft selbständig: Die 61-Jährige hat 80 Ziegen und stellt
Bio-Rohmilchkäse her. Dreimal die Woche verkauft sie ihn in Münster auf dem
Markt. Als Grundversorgerin kann sie das trotz Corona. „Aber ich habe große
Einbußen“, berichtet sie am Telefon. „Ein Drittel der Kunden kommt nicht
mehr.“ Außerdem kann sie den Käse nun nicht mehr an Gastronomie und
Weiterverkäufer geben. Auch der Verkauf der Lämmer an ein Bio-Hotel falle
weg. Dabei sei besonders die Zeit vor Ostern bis Sommer wichtig: Zehn
Monate geben die Ziegen Milch, zwei Monate nicht, erklärt sie. „Frühjahr,
Ostern läuft immer bombig. Da kann man die finanziellen Löcher vom Winter
wieder stopfen. Ich weiß noch nicht, wie ich das jetzt ausgleichen kann.“
Die Auswirkungen von Corona „sind für mich wirklich existenzbedrohend. Nach
dem Winter habe ich keine Rücklagen mehr.“
## Absagen protokollieren
Allen Selbständigen rät Lutz vom VGSD: Finanzamt, Krankenkasse, Bank,
Steuerberater*in und Vermieter*in anrufen und die Situation beschreiben.
Außerdem die Absagen sammeln und protokollieren. Als Sofort-Maßnahmen
schlägt er vor: unbürokratische Kreditvergabe, Steuervorauszahlungen und
Krankenversicherungsbeiträge aussetzen. Außerdem sollten Verzugszinsen
reduziert und Fristen ausgesetzt werden. Er appelliert auch an den Staat.
Wichtig sei für Selbständige nun Liquidität, um laufende Kosten zu decken.
Deswegen begrüße er auch Mikrokredite.
Auch Verdi will Hilfe für Selbständige. „Uns erreichen zahlreiche
Hilferufe“, so Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. „Diese
Unterstützungsangebote sollten sehr zeitnah und zielgenau greifen und so
ausgestaltet werden, dass in Notlagen auch Einzelunternehmer*innen,
schnell, leicht und möglichst unbürokratisch an diese Hilfen kommen
können.“ Etwa durch erleichterte Mikrokreditvergabe, eine vorübergehende
unbürokratische Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und Senkung oder
Verzicht auf die für Selbstständige üblichen
Einkommenssteuer-Vorauszahlungen.
Die Berliner Museumspädagogin erzählt, sie könne den Wegfall von Führungen
und Workshops „noch relativ gut abfangen, da ich nicht nur ein Standbein
habe. Die Ausstellungsprojekte laufen weiter, aber verschieben sich nach
hinten.“ Auch wenn sich die Projekte verlängern – mehr Geld gibt es nicht.
„Habe aber Geld zur Seite gelegt und weiß, dass mich Eltern und Freunde
unterstützen könnten“, sagt sie froh. „Aber das will man ja eigentlich
nicht.“
Performerin Schmidt kann ihren geschätzten Verdienst für dieses Jahr nach
unten korrigieren, sodass sie zumindest den Versicherungsbeitrag reduzieren
kann. Momentan überblicke sie nur bis Ende April. „Wenn dann noch mehr
Ausfall kommt, brauche ich eine Notfalllösung“, so Schmidt.
Sabine Jürß will den Kopf nicht hängen lassen. „Vielleicht besinnen wir uns
wieder auf mehr Solidarität“, hofft sie. Wirksam fände sie eine direkte
Liquiditätshilfe, durch das Wegfallen der Beiträge für die Sozialkassen.
Die Agraringenieurin kann ihre Einbußen noch nicht genau beziffern. Aber in
der Verantwortung sieht sie sich gegenüber den Studierenden, die sie
geringfügig beschäftigt: „Ich muss denen jetzt absagen.“ Sie plädiert f�…
eine „schlagartige Grundsicherung für prekär Beschäftigte.“ Denn „ich …
ihnen ein Käsepäckchen geben, aber ihnen nicht mehr die Miete bezahlen.“
18 Mar 2020
## LINKS
[1] /Oekonom-ueber-Corona-Folgen/!5671182
[2] /Existenzsorgen-wegen-Corona/!5672235
## AUTOREN
Mareike Andert
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Schwerpunkt Coronavirus
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