# taz.de -- „Selbstporträt in Schwarz und Weiß“: Gegen Tribalismus jeder … | |
> Rassisten und einige Antirassisten reduzierten Menschen auf abstrakte | |
> Kategorien, schreibt der Autor Thomas Chatterton Williams in seinem | |
> Sachbuch. | |
Bild: Thomas Chatterton Williams hofft auf eine Zukunft ohne Rassismus | |
Kann man verlernen, sich als Schwarzer zu denken? Diese Frage wirft der | |
[1][US-amerikanische Autor Thomas Chatterton Williams] in seinem Buch | |
„Selbstporträt in Schwarz und Weiß. Unlearning race“ auf. Williams will | |
nichts Geringeres, als das Nachdenken in Kategorien von Schwarz und Weiß zu | |
überwinden. Er bezeichnet sich als „Ex-Schwarzen“, was den Leser befremden | |
mag. Kann man seine Hautfarbe ablegen? Nein, aber „schwarz“ ist eben keine | |
neutrale Beschreibung von Hautfarbe. Schwarzsein ist eine konstruierte | |
Identität. | |
Williams' Buch ist eine Mischung aus Memoir und analytischem Essay, der mit | |
dem Vaterwerden einen persönlichen Ausgangspunkt nimmt. Williams schreibt | |
aus der Perspektive eines Mannes, der in den USA als Schwarzer gilt, weil | |
er der Sohn eines schwarzen Mannes ist, der aber in Europa zumeist für | |
einen Araber gehalten wird. Als seine Tochter – blond, blauäugig – geboren | |
wird, muss er seine Annahmen über das Schwarzsein revidieren. | |
Ist man schwarz, wenn niemand einen für schwarz hält, weil man nicht so | |
aussieht? Und wenn ja, was heißt das dann für das Schwarzsein? Zur Zeit der | |
Sklaverei hätte seine Tochter eindeutig als Schwarze gegolten, weil sie zu | |
einem Viertel „schwarzes Blut“ in sich trägt. Aber warum soll er der | |
rassistischen Logik von Blutlinien folgen? | |
Wir akzeptieren inzwischen, dass es Teil der Ausbildung einer | |
Geschlechtsidentität ist, Gender zu „performen“ und durch die Erwartungen | |
der Umwelt geformt zu werden. Wenn man bei race eine solche Konstruiertheit | |
womöglich als widersinnig ansieht, geht man der rassistischen Ideologie auf | |
den Leim, die race als „natürliche“ Kategorie ausgibt. | |
Bei Williams beginnt der bewusste Prozess der Performance als Schwarzer im | |
Teenageralter. Er eignet sich die Codes schwarzer Coolness und Männlichkeit | |
an. Er trägt die richtige Kleidung, hört die richtige Musik. Aber schon in | |
seiner Jugend tauchen Zweifel auf, weil er bemerkt, wie die Kategorie race | |
unter anderem von Klassen- und Männlichkeitsvorstellungen überschrieben | |
wird. Er wird für wohlhabend gehalten, weil seine Mutter eine fröhliche | |
Weiße ist. Wenn die anderen Jungs ihn als „unmännlich“ aufziehen wollen, | |
bezeichnen sie ihn als Weißen. | |
Für Williams wird die Unterscheidung von Weiß und Schwarz aus dem Rassismus | |
geboren; so bleibt für ihn jedes Nachdenken über eine vermeintlich weiße | |
oder schwarze Kultur in der „Zwangsjacke“ des Rassismus gefangen. Solange | |
man aber in rassistischen Kategorien denkt, kann man nicht wahrhaft frei | |
sein. | |
Aber nicht nur Weiße halten an diesen Kategorien fest. Das größte Problem | |
des gegenwärtigen Diskurses über Rassismus sei die unbewusste Übernahme | |
rassistischer Logiken auch durch Schwarze, schreibt Williams: „Auch wenn | |
sie daraus entgegengesetzte Schlussfolgerungen ziehen, reduzieren beide – | |
die Rassisten und jene Antirassisten – Menschen auf abstrakte Kategorien | |
der Hautfarbe.“ | |
Williams weiß, dass es für viele Schwarze ein Bedürfnis ist, sich einer | |
schwarzen Community zugehörig zu fühlen und sich von Weißen abzugrenzen. | |
Aber er kritisiert diesen „Tribalismus“, der einen essenziellen Unterschied | |
zwischen Schwarzen und Weißen sehen will, Weiße als letztlich | |
unreflektierte und vor allem unverbesserliche Nutznießer von Privilegien | |
betrachtet. Wenn dem so wäre, gäbe es ohnehin keine Hoffnung auf eine | |
Zukunft ohne Rassismus. | |
Was in den Augen einiger schwarzer Aktivisten eine Provokation sein mag – | |
Williams unterstellt eine Bereitschaft, sich als Opfer zu betrachten, und | |
weist es von sich, Teil eines Opferkollektivs zu sein –, ist für ihn Teil | |
einer Weltsicht, die für ihn selbst nicht nur die Rolle des | |
„bedauernswerten Statisten“ vorsieht. Nicht weniger hart kritisiert er | |
weiße Freunde, die „ostentativ für ihr ‚Weißsein‘ um Entschuldigung | |
bitten.“ | |
## Ein neues Vokabular finden | |
Williams ist sich bewusst, dass er selbst die Begriffe „schwarz“ und „wei… | |
verwendet, also mit den bekannten Zuschreibungen arbeitet. Allerdings | |
handelt es sich um einen Zwang, den die Sprache in Ermangelung anderer | |
Begriffe auferlegt. „Besonnene und Wohlgesinnte aller politischer Couleur | |
müssen ein neues Vokabular finden, das die abstrakte Kategorisierung nach | |
race und einen reflexhaften Tribalismus zu überwinden hilft.“ | |
Williams' Kritik ist von einem erfreulichen, auch überraschenden Optimismus | |
getragen; er ist nicht naiv, er weiß, dass es Rassismus gibt, auch er ist | |
davon betroffen. Und trotzdem setzt er auf die menschliche Lernfähigkeit. | |
Wir haben Rassismus und das Denken in Schwarz und Weiß erlernt. Wir können | |
es genauso gut verlernen. | |
19 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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