# taz.de -- Sahra Wagenknechts eigene Partei: Gespalten an Rhein und Ruhr | |
> Nordrhein-Westfalen gilt als Wagenknecht-Hochburg. Doch nur wenige | |
> glauben an eine Austrittswelle bei der Linken, sollte sie ihre Partei | |
> gründen. | |
Bild: Wagenknecht bei einem Wahlkampf-Auftritt in Bochum 2017 | |
BOCHUM taz | Die beiden Vorsitzenden der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen | |
sind gerade viel unterwegs. „Als Landesvorstand tun wir alles, um die Linke | |
zusammenzuhalten“, sagt die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler, die den | |
größten Landesverband der Partei mit seinen noch immer mehr als 7.000 | |
Mitgliedern als Co-Sprecherin führt. „Wir sind vor Ort präsent, führen | |
viele Gespräche.“ | |
Grund für den hohen Gesprächsbedarf der Genoss:innen ist die | |
unaufhaltsam näher rückende Abspaltung Sahra Wagenknechts von der Linken. | |
Am Montag steht die einstige Co-Bundestagsfraktionschefin in Berlin vor der | |
Bundespressekonferenz. Thema: „Gründung des Vereins ‚Bündnis Sahra | |
Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit‘ zur Vorbereitung einer neuen | |
Partei“. | |
Mit dabei sind neben ihrer Nachfolgerin im Linksfraktionsvorsitz, Amira | |
Mohamed Ali, auch zwei Nochgenossen aus Nordrhein-Westfalen: der Duisburger | |
Bundestagsabgeordnete Christian Leye und der ehemalige | |
Linken-Landesgeschäftsführer Lukas Schön. | |
„Die Hardliner um Wagenknecht sind auf dem Sprung, das ist klar“, sagt | |
Sascha Wagner, Co-Landeschef der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen. „Wir | |
kämpfen darum, dass möglichst viele Leute in der Partei bleiben, und werben | |
als Landesvorstand in allen Kreisverbänden darum.“ | |
Kein einfaches Unterfangen, denn das bevölkerungsreichste Bundesland mit | |
seinen 18 Millionen Menschen galt lange als Wagenknecht-Hochburg: Seit 2009 | |
wurde sie hier viermal über die Landesliste der Partei in den Bundestag | |
gewählt, zuletzt noch 2021 per Listenplatz 1. | |
Zu den Wagenknecht-Unterstützer:innen im Land zählen mindestens drei | |
der fünf weiteren Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen. Neben | |
Leye, von 2016 bis 2021 Landessprecher der Linkspartei, sind das der | |
Aachener Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko sowie die Bochumerin Sevim | |
Dağdelen. In Dağdelens Wahlkreis hat die Linke bereits ihren | |
[1][Fraktionsstatus im Stadtrat nach dem Parteiaustritt von drei | |
Wagenknecht-Anhängerinnen Anfang Oktober verloren]. | |
## Vogler stünde wohl alleine da | |
Als noch unsicher gilt dagegen die Positionierung des Kölners Matthias | |
Birkwald: Der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, der bei der | |
kommenden Wahl 2025 nicht noch einmal antreten will, äußere „sich | |
öffentlich nicht zur Partei- und Fraktionssituation“, lässt sein | |
Bundestagsbüro der taz ausrichten. Wenn es also schlecht für die | |
Linkspartei in Nordrhein-Westfalen läuft, würde sie nach Gründung eines | |
Wagenknecht-Konkurrenzprojekts nicht mehr sechs, sondern nur noch eine | |
einzige Bundesparlamentarierin stellen: die Landessprecherin Vogler. | |
Vertreten ist Nordrhein-Westfalen auch in dem Verein „BSW – Für Vernunft | |
und Gerechtigkeit“, den Wagenknecht am Montag öffentlich präsentieren will. | |
Am 26. September beim Amtsgericht Mannheim ins Vereinsregister eingetragen, | |
soll er dazu dienen, die Gründung der neuen Wagenknecht-Partei | |
vorzubereiten, die erst für das kommende Jahr anvisiert ist, weil sich | |
dadurch die Chancen erhöhen, eine mögliche Wahlkampfkostenrückerstattung | |
bei der Europawahl und den Landtagswahlen im Osten voll auszuschöpfen. | |
Denn die werden nur bis zur Höhe der von einer Partei selbst | |
erwirtschafteten Einnahmen erstattet, was vor allem Mitglieds- und | |
Mandatsträgerbeiträge sowie Spenden meint. Entscheidend dafür sind die | |
Zahlen aus dem Vorjahr – außer bei Parteien oder Listen, die erst im | |
Wahljahr neu gegründet werden. | |
Laut Vereinssatzung, die der taz vorliegt, soll das BSW dazu beitragen, | |
dass „eine starke Protestbewegung gegen eine die Wünsche und Interessen der | |
Bürgerinnen und Bürger missachtende Politik entsteht“. Denn viele Menschen | |
hätten „das Vertrauen in die Politik verloren“, fühlten sich „durch kei… | |
der vorhandenen Parteien mehr vertreten“. Zwar versteht sich der Verein | |
selbst nicht als Partei, will nicht an Wahlen teilnehmen. Doch die Satzung | |
betont ausdrücklich: Der Verein könne „die Gründung politischer Parteien | |
unterstützen“ – wenn deren Ziele denn mit denen des BSW übereinstimmten. | |
Als Gründungsmitglieder des Vereins fungieren nicht Wagenknecht selbst oder | |
Bundesparlamentarier:innen wie Dağdelen oder Leye, sondern | |
Unterstützer:innen aus der dritten und vierten Reihe – die | |
Vereinsgründung sollte wohl so lange wie möglich unbemerkt bleiben. | |
Vorsitzender des BSW ist der Linken-Stadtrat Jonas Höpken, der wie die | |
Wagenknecht-Vertraute und Noch-Bundestagsfraktionsvorsitzende Amira Mohamed | |
Ali im niedersächsischen Oldenburg verankert ist. | |
Als BSW-Geschäftsführerin dient die Bochumerin Fadime Asci, Ehefrau des | |
eingefleischten Wagenknecht-Unterstützers Amid Rabieh, der bis 2021 | |
Kreissprecher und Geschäftsführer der Ratsfraktion der Linken in Bochum | |
war. | |
Weitere Gründungsmitglieder aus Nordrhein-Westfalen sind etwa Jana van | |
Helden, bis heute Kreissprecherin der Linken in Viersen, oder Amelie | |
Gabriel, ehemals Kreissprecherin in Bonn. Bereits aus der Linkspartei | |
ausgetreten ist dagegen BSW-Mitgründer Jochen Flackus, zuvor | |
Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Saarländischen Landtag – | |
und zu Oskar Lafontaines Zeit als Ministerpräsident Regierungssprecher von | |
Wagenknechts Ehemann. | |
## Das Städchen Herdecke bekommt viel Aufmerksamkeit | |
Zwar hat der Bundesvorstand der Linken einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit | |
dem Verein gefasst, zwar könnten den BSW-Gründungsmitgliedern | |
Parteiausschlussverfahren drohen. Doch wie langwierig die sein dürften, | |
zeigt [2][ein von 58 Genoss:innen unterzeichneter Antrag auf | |
Parteiausschuss Wagenknechts] selbst: Bis die mit sechs Ehrenamtlichen | |
arbeitende Landesschiedskommission in Nordrhein-Westfalen darüber | |
entschieden hat, dürften mindestens sechs Wochen vergehen – und selbst dann | |
hätte Wagenknecht noch die Möglichkeit, ihren Ausschluss vor der | |
Bundesschiedskommission der Linkspartei anzufechten. Dann dürften | |
Wagenknecht und ihre Getreuen die Linke schon längst selbst verlassen | |
haben. | |
Allerdings: Der Antrag zeigt auch, wie viele Gegner:innen Wagenknecht | |
mittlerweile auch in ihrer einstigen Hochburg Nordrhein-Westfalen hat. | |
Unterzeichnet haben etwa die aus Bielefeld und Münster stammenden | |
stellvertretenden Landessprecher Dominik Goertz und Ulrich Thoden, die | |
nordrhein-westfälischen Landesvorstandsmitglieder Judith Serwaty und Jan | |
Köstering aus den Kreisverbänden Rhein-Sieg und Oberberg, der ehemalige | |
Oberhausener Bundestagsabgeordnete Niema Movassat und Edith | |
Bartelmus-Scholich, Sprecherin der Linken in Krefeld. | |
Auch Jürgen Senge, Schatzmeister der Linken im Ennepe-Ruhr-Kreis, hat den | |
Antrag auf Parteiausschluss Wagenknechts unterschrieben. Für deren | |
„rechtsoffene Migrationspolitik“, also das Plädoyer für Schließung der | |
Grenzen, hat der bei Verdi engagierte Gewerkschafter ebenso wenig | |
Verständnis wie für Wagenknechts Kritik an den Wirtschaftssanktionen gegen | |
Russland. | |
Trotzdem zeigt Senges Kreisverband Ennepe-Ruhr beispielhaft, wie tief der | |
Riss durch die Linke mancherorts geht: [3][Bundesweit beachtet] wurde, dass | |
dessen Kreissprecher Vladimir Munk im Rat des knapp 23.000 Menschen | |
zählenden Städtchens Herdecke im südlichen Ruhrgebiet weiter mit dem aus | |
der Partei ausgetretenen Ratsherrn Dieter Kempka in einer neuen „Sahra | |
Wagenknecht Linksfraktion“ zusammenarbeiten will. | |
Anfang November soll nun eine Mitgliederversammlung entscheiden, ob Munk | |
trotzdem Kreisvorsitzender bleiben soll. Munk selbst rudert bereits zurück: | |
Die Herdecker-Fraktion werde wohl bald erneut in „Linke plus“ umbenannt, | |
sagte er der taz – schließlich habe man vor der Umbenennung nicht einmal | |
„das Okay“ Wagenknechts eingeholt. | |
## Auch im östlichen Ruhrgebiet polarisiert der Streit | |
Ähnlich zerrissen präsentieren sich auch die linken Kreisverbände in | |
Aachen, Bonn oder Dortmund. So erklärten nicht nur der Aachener | |
Kreissprecher Darius Dunker, sondern auch der Aachener | |
Stadtratsfraktionschef Leo Deumens und Ratsfraktionsgeschäftsführerin Ellen | |
Begolli öffentlich, auch sie unterstützten den Antrag auf Parteiausschluss | |
Wagenknechts. „In der Klima-, Umwelt- und Migrationspolitik vertritt | |
Wagenknecht längst nicht mehr die Parteilinie“, so Kreissprecher Dunker zur | |
taz. | |
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko dagegen räumt zwar ein: „Bei den | |
jetzigen Funktionsträgern des Kreisverbands Aachen gibt es wenig | |
Unterstützung für Sahra Wagenknecht“, er „bekomme aber viele Rückmeldung… | |
von nicht mehr aktiven oder ehemaligen Parteimitgliedern, die mir sagen: | |
Wenn es etwas Neues gibt, bin ich dabei.“ | |
In Bonn, wo die BSW-Mitgründerin Gabriel einst Kreissprecherin war, geht | |
ebenfalls ein Riss durch die Partei. Wie er selbst lehnten „mittlerweile 60 | |
bis 70 Prozent“ der Genoss:innen dort das „parteischädigende Verhalten“ | |
Wagenknechts ab, schätzt der amtierende Kreisvorsitzende Andreas Darstar. | |
„Ein sehr gespaltener Verein“ sei die Linke, bestätigt die Dortmunder | |
Kreissprecherin Annegret Meyer. Auch im östlichen Ruhrgebiet polarisiere | |
der Streit über Wagenknecht, gebe es „sehr unterschiedliche, sehr | |
differenzierte Meinungen“. | |
Meyer selbst dagegen hat sich bereits entschieden: Besonders die bis 2021 | |
amtierenden ehemaligen Linksparteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd | |
Riexinger hätten „thematisch versagt“, die Partei zu sehr auf eine junge, | |
grünenaffine Akademiker:innen-Klientel geschielt. „Einfache Menschen, | |
einfache Arbeiter hat das nicht mehr angesprochen“, glaubt die Dortmunderin | |
– deshalb werde sie Wagenknecht folgen, wenn die eine neue Partei gründe: | |
„Die alte Linke“, sagt Meyer, „wäre nicht mehr meine Partei.“ | |
Allerdings: Wie viele Genoss:innen sich für Wagenknecht entscheiden, | |
sollte die eine Neugründung wagen, kann nicht nur in Nordrhein-Westfalen | |
niemand genau sagen. „Gehen wird nur der harte Kern um Wagenknecht“, hofft | |
der linke Co-Landeschef Sascha Wagner. Zwar habe die Partei landesweit | |
bereits rund 1.000 Mitglieder verloren, räumt die Mitvorsitzende Kathrin | |
Vogler ein. Entweder weil sie Wagenknechts Positionen nicht mehr ertragen | |
konnten oder sich für sie positionieren wollten. „Die meisten ihrer | |
Anhänger“, sagt Vogler deshalb, „haben die Partei schon längst verlassen.… | |
19 Oct 2023 | |
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[1] /Absetzbewegungen-von-der-Linkspartei/!5964340 | |
[2] /Parteiausschlussantrag-gegen-Wagenknecht/!5965722 | |
[3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176676.krise-der-linken-wagenknecht-im-s… | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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