# taz.de -- Sachsens Justizministerin über Terror: „Ich bin da zurückhalten… | |
> Die neue grüne Justizministerin Katja Meier über die Silvesternacht in | |
> Connewitz und die Wortwahl ihres Koalitionspartners CDU. | |
Bild: Vom Punk zur Ministerin: die gebürtige Zwickauerin Katja Meier | |
taz: Frau Meier, nach der Connewitzer Silvesternacht wird über [1][das | |
Agieren der Polizei] und linke Gewalt diskutiert, einige sprechen von | |
linkem Terror. Sie auch? | |
Katja Meier: Es gab Vorfälle in den letzten Monaten, bei denen man genau | |
hinsehen muss: das Anzünden von Baukränen in Leipzig, der Angriff auf eine | |
Immobilienmaklerin und jetzt die Silvesternacht in Connewitz. Klar ist: | |
Gewalt ist in einem Rechtsstaat durch nichts zu rechtfertigen. Das gilt für | |
den Rechtsextremismus, der das gravierendste Problem in Sachsen ist. Aber | |
das gilt auch für den gewalttätigen Linksextremismus. Wir müssen auf | |
derartige Herausforderungen klar, aber besonnen reagieren. Als | |
Justizministerin warne ich vor einer Wortwahl in Superlativen und davor, | |
vorschnell einen Begriff wie Terrorismus in den Mund zu nehmen. | |
CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer wählt einen anderen Weg. Er sprach | |
direkt nach Silvesternacht von linkem Terror. | |
Das ist die Wortwahl von Herrn Kretschmer. Ich bin da zurückhaltender. | |
Einen Rechtsstaat sollte es auszeichnen, dass er mit Klarheit, aber auch | |
mit Besonnenheit agiert. Ich sehe meine Rolle als Justizministerin darin, | |
nicht vorschnell mit Pauken und Trompeten aufzutreten, sondern dafür | |
einzustehen, dass sich auch bei schwierigen Ereignissen die Werte unseres | |
Rechtsstaats behaupten. | |
Sie sind erst seit Dezember im Amt, als erste Frau in dieser Position in | |
Sachsen, als Teil der neuen Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Nun fällt | |
die Silvesternacht auch in Ihre Verantwortung, weil die Justiz diese gerade | |
aufarbeitet. Haben Sie schon ein Bild, was wirklich vorgefallen ist? | |
Ich war nicht vor Ort und das Geschehen wird aktuell durch die | |
Ermittlungsbehörden aufgearbeitet. Wo es Angriffe auf Polizisten gab, sind | |
diese klar zu verurteilen und zu ahnden. Auf der anderen Seite habe ich | |
aber auch mit Leipzigern gesprochen, die schon sehr lange in der Stadt | |
leben, dort viele, auch unruhige Silvesternächte erlebt haben und sich | |
fragen, warum es diesmal anders als in vergangenen Jahren nicht gelungen | |
ist, die Lage weitgehend zu deeskalieren. | |
Anwohner berichteten auch von einem anderen Polizeivorgehen: mit | |
Hubschraubern, Personenkontrollen und sehr rabiatem Auftreten in der Nacht. | |
Auch das gilt es selbstverständlich aufzuarbeiten. Es ist in einem | |
demokratischen Rechtsstaat natürlich legitim, auch polizeiliches Handeln zu | |
hinterfragen. Die Polizei beweist ja regelmäßig, dass sie auch anders kann. | |
Bei uns in Dresden gibt es beispielsweise die Bunte Republik Neustadt, ein | |
Straßenfest, bei dem nachts Zehntausende auf der Straße feiern. Hier ist | |
die Polizei präsent, hält sich aber zurück und setzt auf Kommunikation. | |
Vielleicht könnte man auch zu Silvester in Connewitz ein Straßenfest | |
organisieren, um die Situation zu entschärfen. Das muss aber zusammen mit | |
den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort entschieden werden. | |
Die Polizei stand auch in der Kritik, weil sie anfangs von einer Not-OP | |
eines verletzten Beamten sprach, die es so nicht gab. Das wirkte wie eine | |
Dramatisierung. | |
Das fällt in die Zuständigkeit des Innenministers. Wir haben darüber | |
gesprochen. Insgesamt hätte ich mir eine sorgsamere Kommunikation | |
gewünscht. | |
Warum häufen sich als links eingestufte Straftaten in Leipzig gerade? Was | |
ist da los? | |
Die Hintergründe der Taten werden noch ermittelt. Wir sehen nicht nur, aber | |
gerade auch in Leipzig eine zunehmende politische Auseinandersetzung um | |
wichtige gesellschaftliche Fragen. Dazu gehören zweifelsohne die steigenden | |
Mieten und Verdrängungseffekte, die in Leipzig ein großes Thema sind. Es | |
gibt genügend Wege, sich demokratisch gegen derartige Entwicklungen | |
einzusetzen. Wer aber Gewalt gegen Personen anwendet oder Baukräne | |
anzündet, setzt auf die völlig falschen Mittel und begeht Straftaten. Hier | |
müssen Polizei und Justiz klare Kante zeigen. | |
Nach der Silvesternacht gab es Festnahmen, Haftbefehle und bereits eine | |
[2][Verurteilung in einem beschleunigten Verfahren]. Anwälte von | |
Festgenommenen klagen, es werde ein „Exempel“ an ihren Mandanten statuiert. | |
Überzieht die Justiz? | |
Ich werde als Justizministerin nicht einzelne Urteile bewerten. Wir haben | |
eine unabhängige Justiz und das ist auch gut so. | |
Ihr CDU-Vorgänger Sebastian Gemkow berief mitten in den | |
Koalitionsverhandlungen zusammen mit CDU-Innenminister Wöller eigens eine | |
„Soko Linx“ aus. Ein richtiger Schritt? | |
Ob man Sonderkommissionen braucht, sollte der fachlichen Expertise der | |
Ermittlungsbehörden obliegen. Aber natürlich ist so etwas vor allem eine | |
Frage der Kommunikation. Man kann das auch mit weniger Tamtam einrichten. | |
Das meine ich, wenn ich von mehr Besonnenheit spreche, die es braucht. Für | |
das Miteinander war es nicht förderlich, dass wir Grüne damals nicht | |
eingebunden wurden. | |
Werden Sie denn die Soko Linx weiter unterstützen? | |
Mein Ministerium unterstützt alles, was hilft, um Straftaten aufzuklären | |
und verhältnismäßig ist. | |
In die Connewitz-Diskussion gerieten Sie auch persönlich. Plötzlich tauchte | |
ein Liedtext [3][Ihrer Punkband aus Zwickauer Jugendtagen] auf, in dem es | |
hieß: „Advent, Advent, ein Bulle brennt.“ Die AfD forderte Ihren Rücktrit… | |
Das habe ich zur Kenntnis genommen. | |
Ist es nicht tatsächlich problematisch, wenn der Eindruck entsteht, eine | |
Justizministerin habe früher mal Gewalt befürwortet? | |
Ich habe immer gesagt: Für mich ist Gewalt durch nichts zu rechtfertigen. | |
Und ich würde das, wozu ich als 16-Jährige musiziert habe – wenn man das | |
als Musik bezeichnen will –, heute als Erwachsene natürlich nicht mehr tun, | |
erst recht nicht als Justizministerin. Man darf aber auch nicht vergessen: | |
Das waren die Neunziger, ich bin in einem Zwickauer Plattenbau | |
aufgewachsen. Da musste man sich entscheiden: Bist du links, rechts oder | |
beziehst du keine Stellung? Ich hatte mich mit Freunden entschieden, | |
musikalisch Stellung zu beziehen. Wir waren Jugendliche, da sah man viele | |
Dinge schwarz und weiß. | |
Können Sie sich noch erinnern, wie das Lied damals entstand? | |
Ehrlich gesagt: nein. Unsere Lieder drehten sich um Rechtsextremismus, um | |
die Arbeitslosigkeit unserer Eltern. Ich selbst habe aber nur einen Titel | |
geschrieben, auf Englisch, eine Schmonzette. Und zu unseren paar Auftritten | |
kamen auch nur so 30 bis 40 Leute. Unser Crash-Rock, wie wir es nannten, | |
war wirklich nicht der heiße Scheiß. | |
Zu welchen Liedern musizieren Sie denn heute? | |
Leider zu gar keinen mehr. Mein Bass steht auf dem Dachboden meiner Eltern. | |
Von der Punkerin zur Ministerin: Das hätten Sie damals auch nicht gedacht, | |
oder? | |
(lacht) Natürlich nicht. Allerdings war mir schon als Jugendliche klar, | |
dass ich etwas mit Politik machen will. Die Neunziger hatten mich | |
politisiert, mir war klar, dass ich mich nicht aufregen und dann in den | |
Sessel zurücklehnen kann. Ich hab dann ja auch Politik studiert und bin bei | |
Bündnis 90/Die Grünen gelandet. Immer einen Schritt weiter. Und heute bin | |
ich hier. Die 16-jährige Katja würde das wahrscheinlich komisch finden. | |
Zu Ihrer Amtseinführung hörte man auch Skepsis: Eine Nichtjuristin als | |
Justizministerin, geht das gut? | |
Ich war als Abgeordnete rechtspolitische Sprecherin und außerdem für | |
Demokratie und Gleichstellung zuständig. Ich bin mit den Themen also | |
vertraut. Und komischerweise erlebe ich diese Skepsis bei anderen Ministern | |
nicht, die vorher auch nicht Polizist oder Lehrer waren. Ich habe keine | |
Angst, dass ich dieses Amt nicht bewältigen könnte. Und in meinem | |
Ministerium bin ich auf große Offenheit und viel Fachkompetenz getroffen. | |
Ihr Vorgänger Gemkow setzte auf eine Null-Toleranz-Strategie, auch | |
Bagatelldelikte sollten hart verfolgt werden. Sie nannten das | |
„Law-and-Order-Populismus“. Welche Strategie kommt nun? | |
Das liegt in der Hand der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, deren | |
Ermessensspielräume wir hierbei stärken wollen. Sie können den Einzelfall | |
in der Gesamtschau würdigen und sollen selbständiger als bisher | |
entscheiden, ob es Anklagen braucht oder ob alternative Wege notwendig | |
sind. So wollen wir es auch im Strafvollzug halten. Wenn möglich, gilt es | |
Haftstrafen zu vermeiden. Auch offener Vollzug oder Vollzug in freien | |
Formen, also in eng betreuten Wohngemeinschaften, sind wichtige Ansätze, um | |
Rückfälle nach der Entlassung möglichst zu verhindern. | |
Kommt jetzt die grüne Milde? | |
Hier geht es nicht um Milde, sondern um Verhältnismäßigkeit. Was nützt es, | |
von der Destruktivität der Straftat in die staatliche Destruktivität zu | |
gehen? Wir müssen unseren Resozialisierungsauftrag ernst nehmen, gerade | |
weil wir Kriminalität verhindern wollen. Dazu wollen wir unter anderem auch | |
die Bindung zu den Familien stärken, etwa durch neue digitale Angebote. | |
Denn die ist entscheidend für den straffreien Weg nach der Haft. | |
Glauben Sie denn, dass Sie zusammen mit CDU und SPD erfolgreich regieren | |
werden? In [4][Sachsen-Anhalt] lähmt sich diese Konstellation gerade im | |
Dauerstreit. | |
Die nächsten Jahre werden natürlich eine Herausforderung. Aber sie sind | |
auch eine Chance für Sachsen. Wir haben einen sehr guten Koalitionsvertrag | |
verhandelt, in dem sich alle wiederfinden. Entscheidend wird die | |
Kommunikation: Wir müssen engen Kontakt halten, Probleme sofort ansprechen, | |
uns immer auch in die Lage des anderen versetzen, warum er sich gerade so | |
verhält, und unsere Politik transparent und verständlich erklären. | |
Und das geht auch mit einer Sachsen-CDU gut, die in Teilen überhaupt nicht | |
mit den Grünen koalieren wollte? | |
In den Koalitionsverhandlungen habe ich viele Kolleginnen und Kollegen von | |
der CDU sehr offen erlebt. Wir Bündnisgrüne wollen das Land mit Zuversicht | |
gestalten. Also gehe ich da mit großer Zuversicht und Motivation ans Werk. | |
NaN NaN | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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