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# taz.de -- Links in Leipzig Connewitz: Links, linker, gelinkt
> Leipzigs linke Szene ist unter Beschuss: Von linkem Terror wird
> gesprochen, von einer heraufziehenden neuen RAF. Wie reagiert die Szene?
Bild: Die linken Szenen in Connewitz sind vielfältig: Graffiti in Connewitz
Am Donnerstagmorgen stehen in Leipzig wieder Linke auf der Straße. Bei
einer Kundgebung vor dem Amtsgericht, hissen sie Banner, es geht um
Connewitz. Diesmal aber um eine Nacht aus dem Januar 2016, als etwa 250
Neonazis im Stadtteil randalierten. Noch immer laufen dazu Prozesse. Linke
kritisieren nun die schleppende Aufklärung.
Der Protest bleibt klein und unspektakulär. Der Polizei ist er nicht mal
eine Meldung wert. Leipziger Protestalltag – eigentlich. Wäre nicht die
Silvesternacht in Connewitz gewesen.
Denn seitdem ist wieder eine Debatte über linke Gewalt in Leipzig
entbrannt. Polizisten wurden in der Nacht angegriffen. Aber auch die
Beamten gingen rabiat vor, fuhren schon am frühen Abend Personenkontrollen
und Greiftrupps auf und kreisten mit Helikoptern über den Stadtteil. Am
Ende gab es Bewusstlose auf beiden Seiten. Den Angriff auf einen Polizisten
wertet die Staatsanwaltschaft als versuchten Mord. Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) verurteilte die Tat „aufs Schärfste“, Sachsens
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) spricht von „linkem Terror“.
Dabei sind noch viele Fragen offen. Und gerade erst musste die Polizei nach
einer taz-Recherche zurücknehmen, dass der verletzte Polizist notoperiert
wurde. Auch ein brennender Einkaufswagen wurde nicht, wie behauptet, in die
Reihen der Beamten geschoben. Und ein „geplanter Angriff“, von dem Leipzigs
Polizeipräsident Torsten Schultze sprach, ist bisher nicht belegt.
## Mit falsche Informationen jonglieren
Dennoch ist nun ein Bild in der Welt: die Leipziger Autonomen, so militant
wie nirgends. Und Connewitz: Brutstätte des Linksterrors.
Wolfgang Sterz kann darüber nur den Kopf schütteln. „Die Connewitzer
Autonomen gibt es in der Form schon seit Jahren nicht mehr. Das ist ein
Mythos.“ Der Mittdreißiger ist selbst seit über einem Jahrzehnt in
Connewitz politisch aktiv, seinen richtigen Namen will er nicht nennen.
Sterz sagt, militante Autonome gebe es im Viertel kaum noch. Viele hätten
es satt, damit immer wieder in Verbindung gebracht zu werden. „Der
überwiegende Anteil der Leute hat seine Steinewerfer-Jahre hinter sich
gelassen.“
Viele teilen seine Meinung. Wo immer man sich derzeit in der linken Szene
Leipzigs umhört, stößt man auf Verbitterung. Wie viele Protestaktionen habe
man zuletzt organisiert, gegen die laufende Gentrifizierung in der Stadt,
gegen Rechtsextreme oder die Asylpolitik? Und nun, obwohl nicht mal klar
sei, was wirklich in der Silvesternacht geschah, werde nur wieder über
Gewalt geredet.
Die Stadt- und Landesspitze hält aber genau das für notwendig. Die Polizei
verweist auf 350 Straftaten, die 2019 in Leipzig als linksmotiviert
eingestuft wurden. Polizeiautos wurden angegriffen oder
Baustellenfahrzeuge; in Bekennerschreiben wurde gegen die „Bullenschweine“
und „staatlichen Terror“ geholzt. Im Oktober brannten drei Baukräne. Wenig
später wurde eine Immobilienmaklerin in ihrer Wohnung zusammengeschlagen,
angeblich mit den Worten „Grüße aus Connewitz“. Schon da sagte Leipzigs
Bürgermeister Burkhard Jung (SPD), er fühle sich an die Anfänge der RAF
erinnert. Und Polizei und Staatsanwaltschaft gründeten eine „Soko Linx“,
lobten 100.000 Euro für Hinweise aus, eine Rekordprämie.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt indes: Die autonome Szene Leipzigs ist gar
nicht so groß. 250 Leute rechnet der Verfassungsschutz ihr zu. In Hamburg
dagegen 750 Personen, in Berlin 640. In der Hauptstadt wurden 2019 allein
im ersten Halbjahr 786 linke Delikte gezählt.
In Leipzig wird nun aber auch die Silvesternacht als linke Straftat
gezählt. Ein Augenzeugenvideo, das die taz veröffentlichte, zeigt dort
viele Feiernde auf der Straße – aber auch einige Vermummte. Sie sind es,
die drei Polizisten angreifen, als diese einen Mann festnehmen wollen. Ein
Mann tritt auch noch gegen den Kopf eines Beamten, als dieser unbehelmt auf
dem Boden liegt. Wer die Angreifer sind, ist bis heute unbekannt. Die
Polizei konnte sie bisher nicht ermitteln. Ein Zeugenaufruf blieb ohne
Resonanz.
In einem Schreiben auf dem linken Onlineportal Indymedia wurden die
Angriffe danach begrüßt: „Wir fordern, dass sich die Bullen aus Connewitz
verpissen!“. Die Autor:innen sind indes unklar – auf Indymedia kann jede:r
anonym schreiben.
## Augenzeugenvideos bieten ein anderes Bild
Ricarda, die ihren Nachnamen nicht nennen will, wertet die Silvesternacht
nicht als politische Aktion. „Die Nacht wird von außen jetzt als
Linksterrorismus gelabelt, obwohl niemand von den Leuten das selbst dort
gesagt hat.“ Die Ereignisse seien eine Reaktion auf die Polizeipräsenz
gewesen, nicht aber eine geplante, politische Aktion – und „schon gar nicht
eine der gesamten Leipziger Linken“.
Ricarda ist seit vielen Jahren in Leipzig zu stadtpolitischen und
feministischen Themen aktiv, auch in Connewitz. Solche Themen seien die
Schwerpunkte der Szene, die sich als linksradikal versteht, sagt die junge
Frau, „und nicht, als Black Block durch die Straße zu laufen“.
Henning Behrends sieht das ähnlich. Auch er versteht sich als linksradikal.
In Connewitz wohnt er nicht, sondern im Leipziger Westen. Wer Leipzig
kennt, weiß, dass Connewitz schon lange nicht mehr alleiniger Hotspot der
linken Szene ist. Behrends ist als Stadtteilorganizer gegen Verdrängung
aktiv, bei Demonstrationen gegen Rassismus oder als Aktivist bei
Klimaprotesten wie Ende Gelände.
Die Gewaltdebatte sei müßig, ein „undifferenzierter Angriff“, sagt
Behrends. „Es gibt nicht die eine Szene, es gibt ganz viele ganz
unterschiedlich Aktive.“ Die Szenen kenne sich untereinander vielfach
nicht. Das Meiste geschehe kleinteilig, als Stadtteilgruppe,
Fahrradselbsthilfewerkstatt, Lesekreis, Hausprojekt. „Ich kann mir bei 95
Prozent dessen, was die linksradikale Szene hier macht, nicht vorstellen,
dass Leute das wirklich schlecht finden.“ Sicher sei Militanz ein Baustein
für manche. Aber nur einer von vielen.
## Es gibt keine Kader
Auch Wolfgang Sterz schüttelt den Kopf. „Polizei und Politik denken, dass
es klare Hierarchien gebe. Man glaubt, es gebe irgendwelche Kader und
SprecherInnen.“ Unsinn sei das.
Wer aber waren die Angreifer an Silvester dann? Oder jene auf die
Immobilienmaklerin? Wer ist die „Kiezmiliz“, die wiederholt
Bekennerschreiben zu militanten Aktionen in Leipzig schrieb? Man wisse es
nicht, sagen die Befragten.
Für die 12 Festgenommenen der Silvesternacht jedenfalls kann der Vorwurf
des Linksterrorismus nicht belegt werden. Einer von ihnen stand bereits am
Mittwoch vor dem Leipziger Amtsgericht, in einem beschleunigten Verfahren:
Satpal A., ein Straßenkünstler. Er soll einem Polizisten ein Bein gestellt
haben, eine Woche saß er in U-Haft.
Unter Autonomen gilt: keine Aussage bei Polizei und Gerichten machen. Der
27-Jährige jedoch räumt den Vorwurf sofort ein: „Eine Riesendummheit“, er
sei betrunken gewesen; bei dem Beamten entschuldigt er sich. Der Richter
verurteilt den Nichtvorbestraften dennoch zu sechs Monaten Freiheitsstrafe,
ausgesetzt auf zwei Jahre, plus 60 Arbeitsstunden. Nur: Zu den Autonomen
gehört der Verurteilte nicht.
Und Satpal A. ist nicht der einzige. Die Leipziger Staatsanwaltschaft räumt
ein, dass keiner der an Silvester Festgenommenen vorher mit
linksmotivierten Straftaten auffiel. Lägen Vorstrafen vor, gehörten diese
zur „Allgemeinkriminalität“, sagt ein Sprecher. Das deckt sich mit dem
Bild, das Jürgen Kasek hat, ein Anwalt und Grünen-Politiker, der drei der
Festgenommenen vertritt. „Vorbestraft sind die alle nicht“, sagt Kasek.
Dennoch seien sie teils 38 Stunden festgehalten worden, isoliert in
Einzelzellen, mit karger Verpflegung. „Mein Eindruck ist, dass hier ein
Exempel statuiert werden sollte.“
## Erfolglose Soko Linx
Denn die Polizei sucht nicht nur bei dem als Mordversuch gewerteten Angriff
in der Silvesternacht erfolglos nach den Tätern. Auch weiß bis heute
niemand, ob diejenigen, die die Immobilienmaklerin überfallen oder die
Baukräne angezündet haben, wirklich Linke waren. Geschweige denn
Connewitzer. Eine Erfolgsstory ist die Soko Linx damit bisher nicht.
Nun gibt es immerhin die 12 Festgenommenen der Silvesternacht. Der
sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) begrüßte prompt das Urteil
gegen Satpal A. als „klares Signal an alle Extremisten in unserem Land“.
Nicht erst mit dem neuen Polizeigesetz setzen das CDU-regierte Sachsen und
Leipzigs Polizeipräsident Schultze auf einen harten Kurs. So diskutierte
man in Leipzig etwa nach den Hamburger G20-Krawallen, dem linken
Kulturzentrum Conne Island die Gelder zu streichen. 2018 wurde zudem
bekannt, dass bei Ermittlungen in linken Strukturen 921 Telefone von
Unbeteiligten abgehört wurden.
Auch bei den Festgenommenen aus der Silvesternacht gibt es nun
Merkwürdigkeiten. So wurden selbst bei den Freigelassenen die Handys
einbehalten. Polizeipapiere nennen nach taz-Informationen „Mord“ als
Sicherstellungsgrund – auch wenn den Festgenommenen das gar nicht
vorgeworfen wird. Anwalt Kasek bestätigt, dass dies bei seinen Mandanten
erfolgt ist. „Für mich sieht das aus, als würden hier Strukturermittlungen
geführt.“
In der linksradikalen Szene Leipzig setzen viele ob solcher Nachrichten und
der lauten Terrordebatte auf eine Gegenreaktion: keine Kritik jetzt, keine
Entsolidarisierung. Dabei wurde zuvor durchaus kontrovers diskutiert. Den
Angriff auf die Immobilienmaklerin nannte die Interventionistische Linke
„daneben“. Das Bündnis „Rassismus tötet“ schrieb: „Absolute Scheiß…
gibt es nichts zu diskutieren.“ Andere warfen den Kritikern „Spaltung“ vo…
Auch Henning Behrends fand den Angriff auf die Immobilienmaklerin
„überflüssig“. Es sei offenbar ein „politisches Ohnmachtsgefühl“, da…
zu so etwas verleite: Freiräume gingen gerade verloren, „die Luft wird
knapp“. Wolfgang Sterz sagt, auch die meisten Connewitzer fanden den
Angriff „eine blödsinnige Aktion“.
## Keine Entsolidarisierung
Sterz’ Sicht ist aber: Gewaltfreie Aktionen würden in Leipzig nicht ernst
genommen. „Wenn ich mit 20.000 Leuten auf der Straße demonstriere, liest
niemand die Pressemitteilung dazu. Aber wenn Kräne brennen, werden die
Bekennerschreiben von Indymedia abgetippt.“ Erst durch militante Aktionen
habe es eine Debatte gegeben, würden sich Immobilienfirmen aus Leipzig
zurückziehen. „Wenn man von einer demokratischen Gesellschaft redet, ist
das doch der eigentliche Skandal“, sagt Sterz. „Dass man erst mit Gewalt
weiterkommt.“
Es sind solche Positionen, die Bürgermeister Jung scharf kritisiert. Es sei
inzwischen eine Grenze überschritten, warnte der SPD-Mann. „Erst brennen
Barrikaden und Mülltonnen, dann werden Wehrlose angegriffen – der Weg zum
politischen Mord ist nicht mehr weit.“ Allerdings räumte der Bürgermeister,
der bis Dezember selbst in Connewitz wohnte, gegenüber der taz dann doch
ein, dass nicht alle linksautonomen Strukturen damit zu tun hätten.
In der linken Szene hält man Jungs Prophezeiungen, dass der Weg hin zu
politischen Morden vorgezeichnet sei, für völlig überzogen. Er würde ja
gern friedlich über Inhalte sprechen, etwa dass Leipzig eine Wohnungskrise
habe, sagt Henning Behrends. „Aber alle wollen ja jetzt nur über Gewalt
reden.“
Dabei war eine der größten Aktionen der linken Szene in Connewitz zuletzt
nicht die Silvesternacht. Ende Oktober besetzten sie mit Anwohnenden einen
Straßenzug, um auf steigende Mieten aufmerksam zu machen. Binnen weniger
Minuten wurde eine Hüpfburg aufgeblasen, ein Podium aufgebaut, Essen und
Trinken gebracht. Konflikte mit der Polizei gab es keine. Und die einzige
Vermummung, die man hier sah, waren Schals gegen die Kälte.
11 Jan 2020
## AUTOREN
Konrad Litschko
Sarah Ulrich
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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