# taz.de -- Russland beendet Getreideabkommen: „Dolchstoß“ für die Hunger… | |
> Afrikanische Länder und die UN warnen wegen des gestoppten Getreidedeals | |
> vor einer Lebensmittelkrise. Es drohen Lieferausfälle und hohe Preise. | |
Bild: Ukrainischer Weizen auf einem Markt in Mogadischu, Somalia | |
Nach Russlands Aufkündigung des Schwarzmeer-Getreideabkommens mit der UN | |
wachsen international die Sorgen vor einer neuen globalen | |
Lebensmittelkrise. Das Abkommen hatte den ungefährdeten Export ukrainischen | |
Getreides auf dem Seeweg ermöglicht. „Der Schwarzmeerhandel ist kritisch | |
für die Stabilität der globalen Lebensmittelpreise“, [1][erklärte Ngozi | |
Okonjo-Iweala], die aus Nigeria stammende Direktorin der | |
Welthandelsorganisation WTO, und warnte: „Arme Menschen und arme Länder | |
werden am schwersten getroffen.“ | |
[2][Kori Sing’Oei, Generalsekretär in Kenias Außenministerium,] sagte: | |
„Russlands Beschluss, aus der Schwarzmeer-Getreideinitiative auszutreten, | |
ist ein Dolchstoß für die globale Ernährungssicherheit. Er wird | |
überproportional Länder am Horn von Afrika treffen, die bereits von Dürre | |
betroffen sind.“ | |
Über 23 Millionen Menschen in Teilen von Kenia, Äthiopien und Somalia | |
stünden nach fünf Missernten in Folge, Dürre und dann Starkregen vor einer | |
schweren Hungerkrise, [3][hatte im April das UN-Welternährungsprogramm WFP | |
gewarnt]. Die Lebensmittelpreise in der Region seien innerhalb eines Jahres | |
um 40 Prozent gestiegen, Benzinpreise – wichtigster Kostenfaktor für | |
Lebensmitteltransporte – haben sich vielerorts verdoppelt. | |
Seit April hat sich die Lage in der Region durch den neu ausgebrochenen | |
Krieg in Sudan weiter verschärft. Das WFP ist der wichtigste Lieferant von | |
Hungerhilfe in diese Weltregion. 80 Prozent des WFP-Weizens dieses Jahr und | |
50 Prozent aller nicht lokal eingekauften WFP-Lebensmittel stammen aus der | |
Ukraine – das ging seit einem Jahr nur dank des Getreidedeals. | |
„Wenn diese Hauptschlagader in eine der produktivsten Agrarregionen der | |
Welt jetzt gekappt wird, könnte das die Ernährungskrise weiter anfachen“, | |
sagte WFP-Sprecher Martin Rentsch in Berlin gegenüber der taz. Die | |
Lieferungen unter dem Getreidedeal seien „von entscheidender Bedeutung“. | |
Dabei gehe es nicht nur um einen drohenden Ausfall von Lieferungen aus der | |
Ukraine, sondern auch um die damit zu erwartenden Preissteigerungen | |
weltweit. | |
Laut einer UN-Aufstellung, die der taz vorliegt, konnten unter dem | |
Getreidedeal insgesamt 24 vom WFP gecharterte Schiffe rund 655.000 Tonnen | |
Weizen und 73.000 Tonnen Mais aus der Ukraine hinausbringen. Mit knapp | |
260.000 Tonnen Weizen war Äthiopien, wo neben Dürre vor allem der | |
verheerende Krieg um die Region Tigray eine Hungerkatastrophe herbeigeführt | |
hat, Hauptempfängerland. Die anderen waren Jemen, Afghanistan, Somalia, | |
Kenia sowie die Türkei, aus der UN-Hilfsgüter bis zum russischen UN-Veto | |
vergangene Woche nach Syrien gelangten. | |
Humanitäre Hilfe macht allerdings nur rund 5 Prozent des | |
Gesamtfrachtverkehrs unter dem Getreidedeal aus, der [4][nach UN-Angaben] | |
insgesamt knapp 32,9 Millionen Tonnen Getreideausfuhren aus der Ukraine | |
ermöglicht hat. Russland kritisiert die kommerziellen Ausfuhren, weil die | |
Ukraine damit Geld einnimmt. Die wichtigsten Abnehmerländer waren die | |
Großverbraucher China (knapp 8 Millionen Tonnen) und Spanien (knapp 6 | |
Millionen Tonnen). Es folgten Italien, die Niederlande und Ägypten. | |
In den vergangenen Monaten waren die Ausfuhrmengen kontinuierlich gesunken. | |
Wurden im Oktober 2022 noch 330 Schiffe unter dem Deal beim | |
UN-Kontrollzentrum in der Türkei angemeldet, überprüft und abgefertigt, | |
waren es im April 2023 nur noch 119 und im Juni 59. Offensichtlich | |
rechneten Abnehmer damit, dass diese Route bald nicht mehr funktionieren | |
könnte. Aber weltweit wird nun gewarnt, dass Alternativrouten noch nicht | |
ausreichen, um die neue ukrainische Ernte ohne das Schwarze Meer auf die | |
Märkte zu bringen. Und selbst wenn weiter Schiffe fahren, dürften | |
Risikoaufschläge etwa bei der maritimen Versicherung negativ zu Buche | |
schlagen. | |
18 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/NOIweala/status/1680975199691329537 | |
[2] https://twitter.com/SingoeiAKorir/status/1680995973311393792 | |
[3] https://www.wfp.org/stories/horn-africa-hunger-crisis-pushes-millions-brink | |
[4] https://www.un.org/en/black-sea-grain-initiative | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Getreide | |
Hunger | |
Welthandelsorganisation | |
Odessa | |
Türkei | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Indien | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Russisch-türkische Gespräche in Sotschi: Kein neuer Getreidedeal | |
Erdoğan und Putin verhandelten über die Rückkehr zum Getreidedeal mit der | |
Ukraine. Putin fordert, dass der Westen seine Sanktionen aufhebt. | |
Brot für die Welt kritisiert Regierung: Zu wenig Geld für die Entwicklung | |
Der Haushaltsplan der Bundesregierung sieht Kürzungen bei humanitärer Hilfe | |
vor. Das schade nicht nur Menschen in ärmeren Ländern, kritisieren NGOs. | |
Indien schränkt Reis-Ausfuhr ein: Exportverbot mit globalem Risiko | |
Indien schränkt die Ausfuhr von Reis aus Angst vor Produktionsausfällen | |
ein. Besonders in Afrika nimmt die Sorge vor Preisanstiegen deswegen zu. | |
Extremwetter in Afghanistan: Dauerdürre und Fluten | |
Schlimme Starkregen sind Auswirkungen von Afghanistans Klimakrise. Weil | |
sich die Taliban selbst isoliert haben, fehlen Mittel für | |
Vorsorgemaßnahmen. | |
Krieg in der Ukraine: Konflikt ums kleine Korn | |
Russland setzt seine Attacken auf ukrainische Hafenstädte fort. Zugleich | |
gehen die Bemühungen weiter, das Getreideabkommen zu retten. | |
Krieg in der Ukraine: „Die schlimmste Nacht“ | |
Wieder ist die ukrainische Hafenstadt Odessa beschossen worden. Russland | |
spricht von „Racheakt“, derweil gab es auf der Krim erneut eine Explosion. | |
Steuereinnahmen in der Ukraine: Fitnessgeräte für die Kriegsmoral | |
Ein Fahnenmast, eine neu gepflasterte Hauptstraße in Frontnähe: Dafür geben | |
Kommunen in der Ukraine Geld aus. Und was ist mit dem Militär? | |
Getreideabkommen für die Ukraine: Gezerre um Mais und Weizen | |
Das letzte Schiff unter der Flagge des UN-Getreideabkommens hat abgelegt. | |
Ob es eine Verlängerung geben wird, ist weiter mehr als offen. | |
Experte zu ukrainischen Getreideexporten: „Moskau schafft künstlich Probleme… | |
Der Getreidekorridor läuft nicht so effizient, wie er sollte, sagt | |
Wirtschaftsexperte Dmytro Barinov. Einige Schiffe warteten seit Monaten auf | |
Ausfuhr. |