# taz.de -- Russische Strategie in der Ukraine: Reisepass zu verschenken | |
> Russland betrachtet die besetzten Gebiete immer mehr als eigenes | |
> Territorium. Ukrainer*innen können sich nun vereinfacht „einbürgern“ | |
> lassen. | |
Bild: Einwohnern in der Ukraine werden russische Pässe ausgehändigt | |
MOSKAU taz | Im Schnellverfahren zum russischen Staatsbürger: Der | |
Russisch-Test fällt weg, auch der Nachweis, fünf Jahre in Russland gelebt | |
zu haben, ist nicht nötig, ebenfalls der Beleg eines ausreichenden | |
Einkommens nicht. So heißt es in einem Dekret, mit dem Russlands Präsident | |
Wladimir Putin allen Ukrainer*innen „anbietet“, sich mittels eines | |
vereinfachten Verfahrens [1][in Russland einbürgern] zu lassen. | |
Zunächst hatte der Plan für die sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und | |
[2][Luhansk] und die besetzten Gebiete Cherson und Saporischschja gegolten. | |
Mit dem nun unterschriebenen Dekret weitet der Kreml-Herrscher diesen auf | |
das gesamte ukrainische Gebiet aus – und schafft damit Fakten, die | |
schwerwiegende politische Folgen nach sich ziehen. | |
Der Schritt ist nicht nur ein weiterer Hinweis dafür, dass Moskau die | |
gesamte Ukraine als sein eigenes Territorium betrachtet, sondern stärkt für | |
Russland zudem die Grundlage dafür, als Schutzmacht russischer Bürger | |
aufzutreten. Mit dem Vorwand, seine Bürger zu beschützen, mischte es sich | |
bereits vor acht Jahren in der Ukraine ein. | |
Die Passverteilung zementiert den russischen Anspruch auf die für Russland | |
strategisch wichtige Region in der Südukraine, weil sie eine Landverbindung | |
zur 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim schafft. Zudem macht sie | |
Verhandlungen immer schwerer, weil Staatsbürgerschaften nicht einfach | |
rückgängig gemacht werden können. Kiew betrachtet das Dekret zu Recht als | |
weiteren Eingriff in die Souveränität der Ukraine. | |
## Russische Patenschaften | |
Mit dem Dekret Putins zeigt Moskau, dass die Integration der okkupierten | |
Gebiete in die Russische Föderation vorangetrieben wird. Dass Russland sich | |
nicht aus den Gebieten zurückzuziehen gedenkt, davon reden russische | |
Politiker*innen ununterbrochen. Sie zeigen es auch, indem sie – mit | |
Wirtschaftsvertretern und Kulturschaffenden im Schlepptau – in die | |
besetzten Gebiete reisen. | |
Der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin hatte Anfang Juni die | |
Städtepartnerschaft mit Luhansk unterschrieben. Bei seinem Besuch in der | |
Stadt erklärte er, diese „im Auftrag des Präsidenten“ „in Ordnung“ zu | |
bringen. Der Kreml hat russische Regionen dazu angehalten, sogenannte | |
Patenschaften für die zerstörten Städte in der Ukraine zu übernehmen. | |
Moskau solle sich so um die Wiederherstellung sozialer und technischer | |
Infrastrukturen in Luhansk und Donezk kümmern, Sankt Petersburg ist „Patin“ | |
von [3][Mariupol] geworden. Russland entsendet Fachleute aus der Verwaltung | |
in die Gebiete, auch Lehrer*innen werden gesucht, die Bezahlung soll | |
dabei um einiges höher sein als in Russland. | |
Sergei Kirijenko, der in der russischen Präsidialverwaltung für die | |
Innenpolitik verantwortlich ist, ist nun auch für die Ukraine zuständig. In | |
Mariupol hatte er bereits im Mai für den Wiederaufbau geworben. Der | |
Generalsekretär der Kreml-Partei „Einiges Russland“, Andrei Turtschak, | |
erklärte bei seinem Besuch in Cherson, Russland sei „für immer hier“. Jed… | |
Versuch der Ukraine, die Gebiete zurückzuerobern, betrachtet Moskau als | |
Angriff auf eigenes Territorium. | |
Die wirtschaftliche Abkoppelung ist ebenfalls in vollem Gange. Bezahlt wird | |
in den besetzten Gebieten in Rubel, auch der Mobilfunk und das Fernsehen | |
kommen aus Russland. Allein, um an ihre Renten und sonstigen sozialen | |
Leistungen zu kommen, brauchen die Menschen einen russischen Pass und | |
beantragen ihn auch. Neugeborene in den okkupierten Gebieten bekommen | |
automatisch den russischen Pass. Die wenigen Berichte, die aus den | |
besetzten Gebieten nach außen dringen, beschreiben ein Leben in ständiger | |
Angst vor Kontrollen durch die russische Armee. Die Rede ist von | |
Entführungen, Repressalien und Versorgungsengpässen. | |
12 Jul 2022 | |
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Inna Hartwich | |
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