# taz.de -- Experte über Infokrieg in der Ukraine: „Social Media ein Game-Ch… | |
> Schulungen für Soldaten, Posts in vielen Sprachen: Die Ukraine hat | |
> erkannt, wie wichtig soziale Medien sind, sagt Politikwissenschaftler | |
> Tobias Fella. | |
Bild: Der Krieg findet auch in den Smartphones statt | |
taz am wochenende: Herr Fella, wer gewinnt den Krieg auf Social Media, die | |
Ukraine oder Russland? | |
Tobias Fella: Im westlichen Informationsraum definitiv die Ukraine. Das | |
liegt auch daran, dass sie viel Vorarbeit geleistet hat und wusste, was | |
funktioniert und was nicht. Die ukrainische Führung kommuniziert auch fast | |
immer in mehreren Sprachen: Ukrainisch, Russisch und Englisch. In anderen | |
Weltregionen sieht es aber anders aus, zum Beispiel in afrikanischen | |
Ländern oder Lateinamerika. | |
Dort dominiert Russland? | |
In der Vergangenheit hat Russland dort schon Großereignisse wie die WM oder | |
Spiele in der Champions League genutzt, um erst mal unpolitische Inhalte in | |
den Informationsraum zu spielen. Danach wird kommuniziert, dass man im | |
positiven Sinne anders sei als der Westen. Man vertrete noch die alten | |
Werte: In Russland dürfe der Mann noch Mann und die Frau noch Frau sein – | |
anders als im dekadenten Westen. Und man gibt sich als Akteur, der nicht | |
das imperiale und koloniale Erbe habe wie die USA und die Länder dort zu | |
nichts zwinge. Das funktioniert teilweise ganz gut. | |
Warum ist Russland dagegen im Informationskrieg im Westen unterlegen? Ist | |
das Unvermögen oder ist der russische Fokus im Moment ein anderer? | |
Russland dachte, dass der Regime-Change in Kiew relativ schnell | |
funktioniert. Deswegen hat man sich konzeptionell nicht stark aufgestellt. | |
Allerdings haben westliche Staaten auch sehr viel aus der Zeit der | |
Krim-Annexion gelernt. Damals ist man total auf die Nase gefallen, zum | |
Beispiel bei den [1][kleinen grünen Männchen], den Soldaten ohne | |
Hoheitsabzeichen auf der Krim. Später hat Putin zugegeben, dass das | |
natürlich russische Soldaten waren. Der Westen wusste aber erst mal | |
überhaupt nicht, wie er damit kommunikativ umgehen sollte. | |
Das wäre heute anders? | |
Der Westen agiert nicht mehr reaktiv, sondern hat Russland sehr proaktiv | |
als Aggressor benannt. Die USA sagten schon vor Kriegsbeginn, dass der | |
Kreml eine Invasion über Operationen mit falscher Flagge legitimieren | |
könnte. Damit war es an Russland, sich zu rechtfertigen und zu sagen: Nein, | |
das stimmt ja gar nicht. | |
Hat auch die Ukraine selbst aus den Jahren 2014 und 2015 gelernt? | |
Absolut. Sie hat 2014 ein Ministerium für Informationspolitik geschaffen, | |
um den Kampf um die Deutungshoheit im eigenen Land gewinnen zu können. Sie | |
haben Social Media als Game-Changer in der Kriegsführung interpretiert und | |
auch in puncto Schulungen für ihre Soldatinnen und Soldaten viel gemacht. | |
Aus den USA hat die Ukraine dabei viel Unterstützung bekommen. | |
Worum geht es in solchen Schulungen? | |
Das fängt bei den Basics an. 2015 haben ukrainische Soldaten noch viel über | |
Facebook nach Hause kommuniziert. Oft wurden sie dann von Russland geortet | |
und mit Nachrichten bombardiert: „Soldat A auf Position X, du kämpfst für | |
ein korruptes Land. Wir wollen dir nichts Böses. Hau ab, bevor morgen | |
unsere Artillerie kommt.“ Heute bringt die Ukraine den Soldaten bei, was | |
sie bei der Smartphone-Nutzung zu beachten haben: SIM-Karte raus, | |
Ortungsdienste deaktivieren, Smartphone in Alufolie einwickeln. | |
Der Ukrainekrieg findet quasi in Echtzeit auch auf Social Media statt. | |
Jeden Tag erscheinen dort Massen von Videoclips. Ist das eine neue | |
Dimension oder fällt sie uns jetzt nur zum ersten Mal richtig auf? | |
In dem Ausmaß ist es noch nie dagewesen. Propaganda und Desinformation | |
haben natürlich schon immer eine gewisse Rolle gespielt. Im Zweiten | |
Weltkrieg hat die BBC beispielsweise ins Deutsche Reich gesendet und | |
umgekehrt. In Flugblättern für den Gegner wurde von Frontdurchbrüchen | |
geschrieben, die es gar nicht gab. Neu ist, dass das heute in Echtzeit | |
stattfindet, dass jeder sein Smartphone zücken und mitmachen kann. Die | |
sozialen Medien erhalten dabei einen richtigen militärischen Nutzen. Es | |
gibt zum Beispiel spezielle Telegram-Kanäle und Apps. Wer als Ukrainer | |
russische Truppen sieht, kann ein Foto oder Video davon machen und es | |
hochladen. Die Informationen werden dann unter anderem vom Geheimdienst | |
ausgewertet. | |
Klingt einerseits praktisch, andererseits aber auch nach verwischten | |
Grenzen. | |
Klar, das wirft Fragen auf. Was sagt die Genfer Konvention dazu? Wer ist | |
noch Zivilist und wer schon Kombattant? Letztlich kann ein User damit zum | |
legitimen Ziel werden, ohne es zu wissen. | |
Viele der Social-Media-Videos aus dem Krieg sind mit Musik oder lustigen | |
Sprüchen unterlegt. Ethisch ist das fragwürdig. | |
Ein Stück weit führen die Logiken der Aufmerksamkeitsökonomie zu diesen | |
Entgrenzungen. Es ist tatsächlich fragwürdig, wenn Kriegsgefangene | |
abgebildet werden oder wenn Leute jubeln, wenn ein russischer Helikopter | |
abgeschossen wird. Trotz allem sieht man in diesen Videos ja, dass ein | |
Mensch stirbt. Vielleicht könnte man so was über Algorithmen einhegen. Da | |
wären die Unternehmen gefordert, aber – weil diese natürlich | |
gewinnorientiert und auf steile Thesen angewiesen sind – am Ende auch der | |
Staat. | |
Noch ein Problem: Die Social-Media-Inhalte prägen unser Bild dieses Krieges | |
sehr stark – in vielen Fällen wissen wir aber nicht, was davon stimmt und | |
was nicht. | |
Das stimmt, beobachten konnte man das zum Beispiel beim „[2][Geist von | |
Kiew“]. Das soll der ukrainische MiG-Pilot mit den angeblich meisten | |
Abschüssen gewesen sein. Erst hatte er 6 Abschüsse, dann 40. Die Geschichte | |
wurde immer größer im Social-Media-Raum. Irgendwann hieß es dann, der Pilot | |
sei jetzt tot. Da hat sich Selenski eingeschaltet und gesagt: Diese Figur | |
stand ja von Anfang an nur für das Kollektiv der Armee und die | |
Opferbereitschaft der Ukraine. Solche Geschichten werden erst mal | |
reingespielt und groß gemacht als Narrativ, aus dem alle Kraft schöpfen | |
können. Irgendwann müssen sie zwar korrigiert werden, aber diese | |
Berichtigung geht dann natürlich nicht mehr viral. | |
Verbreitet auch der ukrainische Staat aktiv solche falschen Informationen? | |
Ich gehe davon aus, dass er strategisch kommuniziert. Die wollen ja etwas | |
erreichen: Die eigene Bevölkerung mobilisieren und die Unterstützung aus | |
dem Ausland aufrechterhalten. Das finde ich auch legitim. Wichtig ist dann | |
eben, dass Wissenschaftler, Experten und Medien hier nicht zu Aktivisten | |
werden, sondern den Kontext erklären: Da ist ein strategischer Akteur, der | |
ein Ziel verfolgt. | |
Wie groß ist der Vorteil, den sich eine Kriegspartei durch gute | |
Social-Media-Arbeit schaffen kann? | |
Wenn das Gefälle im konventionellen militärischen Bereich groß ist, können | |
soziale Medien allein natürlich nicht den entscheidenden Unterschied | |
machen. Sie sind aber wichtig, um Unterstützung und Zusammenhalt in der | |
Gesellschaft zu generieren. Wenn das nicht klappt, kann der Widerstand | |
zusammenbrechen. Der IS hat das 2014 schon sehr stark ausgenutzt. Seine | |
Vorstöße gegen die irakische Armee, die schon relativ dysfunktional war, | |
hat er mit Bildern begleitet, die ihn als gewalttätige Übermacht zeigten. | |
Als irakischer Soldat glaubst du dann, dass es sich nicht mehr lohnt zu | |
kämpfen. Dazu kommt die Wirkung nach außen: Wenn zum Beispiel Selenski in | |
unserem Medienraum nicht so populär wäre, weniger als Star dastünde, könnte | |
die Ukraine im Kampf um Unterstützung auch weniger Druck auf die | |
westlichen Staaten erzeugen. | |
Hätte die Ukraine ohne Social Media weniger Waffen aus Deutschland | |
bekommen? | |
Hypothetische Fragen sind schwierig. Aber es macht einen Unterschied, dass | |
man heute 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche Druck ausüben kann. | |
Wie gut sind in diesem Bereich Deutschland und die Bundeswehr im Vergleich | |
zur Ukraine aufgestellt? | |
Speziell in der Bundeswehr wurde in den letzten Jahren viel gemacht. Es | |
gibt Schulungen zu Medienkompetenz und Desinformation. Soziale Medien sind | |
für die Bundeswehr aber ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite | |
sind sie wichtig für die PR und Rekrutierung, da die Wehrpflicht ausgesetzt | |
ist. Bundeswehrangehörige werden sogar gezielt dazu motiviert, dort aktiv | |
zu sein. Auf der anderen Seite geht eine Vulnerabilität damit einher, wenn | |
jemand Grenzen übertritt und am Ende vielleicht einen Skandal auslöst. | |
Auf Twitter lesen sich Beiträge der Bundeswehr oft ziemlich hölzern. Würde | |
sie es im Kriegsfall ähnlich gut schaffen, virale Inhalte zu erzeugen, wie | |
heute die Ukraine? | |
Die Ukraine agiert gerade in einem anderen Kontext. Sie ist seit acht | |
Jahren im Krieg und lernt seitdem permanent hinzu. Wie die Bundeswehr im | |
Verteidigungsfall agieren würde, wissen wir nicht. Sie würde aber | |
sicherlich auch mit mehr Druck dahinter kommunizieren und werben. | |
Sie selbst unterrichten Bundeswehrsoldat*innen in Seminaren im | |
Bereich Medienkompetenz. Was bringen Sie ihnen dort bei? | |
Kürzlich habe ich einer Gruppe zum Beispiel zum ersten Mal die Aufgabe | |
gegeben, selbst eine Fake News zu schreiben und darüber zu diskutieren. | |
Dadurch haben sie erkannt, wie Desinformation funktioniert. Im nächsten | |
Schritt erkläre ich dann, dass sie selbst Ziel eines Akteurs von außen | |
werden könnten, der weiß, dass sie mit Smartphones kommunizieren und | |
bestimmte Portale nutzen. So jemand kann durch Fakes den Einsatz erschweren | |
oder die Soldaten sogar physisch verwundbar machen. Es geht darum, die | |
Sensibilität für solche Gefahren zu erhöhen. Bei Null muss man da zum Glück | |
nicht anfangen: Das Problembewusstsein ist in der Bundeswehr da. Es muss | |
aber weiter gestärkt werden. Das Bündnisgebiet wird auch im digitalen Raum | |
verteidigt. | |
17 Jul 2022 | |
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[1] /Russlands-Schattenarmee-in-der-Ukraine/!5031212 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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