# taz.de -- Roman „Broken German“: Das Wort, der klingelt | |
> Der Schriftsteller Tomer Gardi hat die deutsche Sprache anders | |
> kennengelernt, als ihre Beschützer es gerne hätten: gebrochen. | |
Bild: „Broken German“ als „erfrischende Antwort auf die „German Kultura… | |
Mit weit aufgeknöpftem Hawaiihemd, Halskette, Vollbart, Ring und Armband | |
erinnerte der Auftritt des israelischen Autors Tomer Gardi beim | |
diesjährigen Bachmannpreis an den italienischen Schlagersänger Adriano | |
Celentano. | |
Nicht nur äußerlich. Bei Celentano, der sich immer auch als tolpatschiger | |
Aufschneider inszenierte, war man sich nie ganz sicher, wie sehr er ein | |
Spiel mit Symbolen trieb, das den Macho letztlich als Trottel bloßstellte. | |
Auch bei Gardi weiß man nicht so genau. Sein gerade erschienenes Buch | |
„Broken German“, in dem auch das Kapitel enthalten ist, das er in | |
Klagenfurt las, ist nicht sein Debüt. Aber sein erstes, das nicht übersetzt | |
werden muss. Er hat es auf Deutsch geschrieben. Es ist einerseits präzise | |
konstruiert und strukturiert. | |
Andererseits wirkt es so, als hätte der Autor gar nichts strukturiert, | |
sondern so geschrieben, weil er es gar nicht anders kann. Aus zwei Gründen: | |
Erstens, weil er so Deutsch schreibt, wie er es spricht, gebrochen. Und | |
zweitens, weil das, was er darin beschreibt, die Erfahrung eines | |
israelischen Juden ist, der nicht verhindern kann, dass ihn die deutsche | |
Sprache und ihre Tugendwächter der Reinheit immer wieder an die deutsche | |
Vergangenheit erinnern, in der diese Nation von den Juden bereinigt wurde. | |
Der Protagonist in „Broken German“ ist keiner der Juden, die den Holocaust | |
überlebt haben und noch gelehrtes Thomas-Mann-Deutsch sprechen und denen | |
man dabei so gerne in Dokufilmen wie „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ | |
oder „Oma & Bella“ zuhört. Er ist Sohn und Enkel von | |
Holocaust-Überlebenden, der sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt, | |
in Frauenklamotten herumläuft und die Leichen der Geflüchteten im | |
Mittelmeer mit den Leichen, die im Jüdischen Museum repräsentiert sind, | |
vergleicht. Einer, der in keine Schublade will. Nicht in Deutschland, nicht | |
in Israel. | |
In der Erzählung tritt der Protagonist mal als flunkernder Nachtschwärmer | |
Radili Anuan auf, der in einer linken Berliner WG landet und unfreiwillig | |
zum Hauptdarsteller einer Antifa-Doku wird, mal als israelischer | |
Schriftsteller ohne Namen, der mit seiner Mutter nach Berlin reist, wo sie | |
statt ihrer eigenen zwei fremde Koffer vom Flughafen mitnehmen, die sich | |
als Koffer eines Arabers und einer Geflüchteten herausstellen. | |
„Ich bin ein Arbeitsmigrant in der deutsche Sprache“, erklärt der Autor an | |
einer Stelle und fragt, ob ein Jude, der das Jüdische Museum besucht, | |
automatisch Teil der Ausstellung wird. Ob also das Erinnern und | |
Musealisieren paradoxerweise dazu führt, dass Juden in Deutschland immer | |
wie ein Ausstellungsstück behandelt werden, als Rarität, als Exot, als | |
etwas Besonderes. „Und dann sagte ich es. Das Wort. Der nur auf Deutsch so | |
klingelt. Auf keine andere Sprache klingt das so. Jude.“ | |
Interessant ist die Leseerfahrung, die man bei „Broken German“ macht. | |
Anfangs muss man ständig laut lachen. Über die kaputte Grammatik, über die | |
lustig geschriebenen Wörter, die nach Gehör oder nach gehörter Logik | |
geschrieben sind, wo „Ältern“ steht, wenn Eltern gemeint ist. Man fühlt | |
sich erinnert an die eigene Kindersprache mit N-Schwäche, die „umbedingt“ | |
statt unbedingt sagt und die noch kein Englisch kann und die englischen | |
Popsongs aus dem Radio so mitsingt, wie sie es hört, ohne zu wissen, was | |
die Wörter bedeuten. Das Erstaunliche ist, dass man „Broken German“ liest | |
wie jedes andere Buch auch. Man braucht ein paar Seiten, um reinzukommen, | |
in die Sprache des Autors und seinen Stil. Dann ist man irgendwann drin und | |
merkt gar nicht mehr, wie die Seiten vergehen. Man lacht nicht mehr über | |
die eigenartige Schreib- und Ausdrucksweise. Man bemerkt sie kaum. | |
Höchstens dann, wenn ein Komma fehlt. | |
Der Klappentext verkauft das Buch als politisches Projekt. „Broken German“ | |
sei eine „erfrischende Antwort auf die „German Kulturangst“ vor der | |
Überfremdung“. „Broken German“ – ein Anti-AfD-Manifest? Vielleicht ein | |
bisschen viel verlangt. In erster Linie ist es ein Buch über spezifische | |
Erfahrungen eines Israeli in Deutschland, der die deutsche Sprache anders | |
kennenlernt, als es ihre Beschützer gerne hätten: als nicht unschuldig, | |
nicht rein, nicht frei von Tätergeschichte. | |
[1][Maxim Biller] hatte in irgendeiner Literaturdebatte das Fehlen von | |
unangepasster Migrantenliteratur beklagt. „Broken German“ stellt sich in | |
diese Lücke. Die Lücke des „Gebrochenesdeutschsprachigesraum“, wie Gardi | |
schreibt. | |
12 Sep 2016 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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