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# taz.de -- Roman „Bonsai“ von Alejandro Zambra: Liebe in Zeiten des Überg…
> Der chilenische Autor resümiert eine Liebesgeschichte zweier
> Literaturstudenten in der Nach-Pinochet-Zeit. Sie endet tragisch.
Bild: Wuchs selbst in der Zeit der „Transición“ auf: der Schriftsteller Al…
Als „eine leichte Geschichte, die schwer wird“ beschreibt Alejandro Zambra
„Bonsai“, seinen Debütroman, der nun auch in deutscher Übersetzung
vorliegt. Darin resümiert der chilenische Dichter und Literaturkritiker mit
einfachen Sätzen und auf weniger als hundert Seiten die kurze
Liebesgeschichte der beiden Literaturstudenten Emilia und Julio. Von Anfang
an spielt der Autor mit offenen Karten: „Am Ende stirbt Emilia. Julio
stirbt nicht. Der Rest ist Literatur.“ Auf der ersten Seite schon nimmt
Zambra damit den Ausgang des Romans vorweg – aber nur um die Fäden wieder
aufzunehmen und ihnen literarisch nachzuspüren.
Emilia und Julio lernen sich im Elternhaus zweier Kommilitonen kennen. Nach
viel Wodka landen sie eher zufällig in der Dienstbotenkammer. Gemeinsam
verbringen sie dort die Nacht. Von nun an treffen sie sich regelmäßig in
Motels oder fremden Wohnungen. Ein Jahr lesen sie gemeinsam Bücher – Ruben
Darío, Yukio Mishima, Onetti, Perec, Raymond Carver, Armando Uribe oder
sogar Nietzsche. Und immer finden sie auf den Seiten einen Aufhänger, um
miteinander zu vögeln.
Bis sie eines Tages in einer Anthologie von Borges, Bioy Casares und
Silvina Ocampo auf eine Erzählung des Argentiniers Macedonio Fernández
stoßen, über ein Paar, das zum Zeichen ihrer ewigen Liebe eine Pflanze
heranzieht. Zu spät bemerken die Frau und der Mann die Vergänglichkeit der
Pflanze (und damit ihrer Liebe). Unwiderruflich leitet die Lektüre dieser
Geschichte auch für Emilia und Julio das Ende ihrer Beziehung ein. „Beide
wussten, dass das Ende, wie es heißt, bereits geschrieben steht, ihrer
beider Ende, das der jungen traurigen Leute, die gemeinsam Romane lesen.“
Danach trennen sich ihre Wege. Julio unterrichtet später sporadisch und
hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er bewohnt ein Zimmer im
Souterrain an der belebten Plaza Italia in Santiago de Chile. Dort beginnt
er, akribisch einen Bonsai zu pflegen.
## Ausflucht mit Desaster
Anita, Emilias beste Freundin aus Kindertagen, wird schon bald schwanger
und heiratet Andrés, einen angehenden Anwalt. Der plant nach dem zweiten
Kind noch ein drittes oder alternativ die Anschaffung eines Pick Ups, einer
Camioneta – Statussymbol der chilenischen Mittelschicht. Doch bevor es dazu
kommt, lassen sie sich scheiden. Emilia will anders sein. Allein geht sie
nach Madrid und lebt dort ein paar Jahre in eher prekären Verhältnissen,
bis sie sich in der Metrostation vor einen Zug wirft.
Zambras Protagonisten begegnen sich in den 1990er Jahren – in der Phase der
sogenannten Transición in Chile, dem Übergang zur Demokratie, in denen
Pinochet kein Diktator mehr war, doch Oberbefehlshaber des Heeres blieb und
zudem als Senator auf Lebenszeit, bis zu seiner spektakulären Festnahme
1998 in London, Immunität genoss. In einem Interview mit der spanischen
Tageszeitung El País beschreibt Zambra, der selbst 1975 während der
Diktatur geboren wurde, seine Generation als eine, die in einem Zustand der
Betäubung aufwuchs, unfähig, die Welt zu spüren. Literatur half, diesen
Zustand zu verlassen.
## Votum für das Scheitern
Trotz demokratischer Wahlen herrschte auch nach 1989 ein Klima der Angst
und der Repression im Land. Der öffentliche Raum galt per se als
bedrohlich. Das Leben fand im Privaten statt. In den Museen regnete es
durchs Dach. Pinochets Diktatur hatte Chile ab 1975 in ein Musterland des
Neoliberalismus verwandelt. Sich für ein Studium der Literatur zu
entscheiden, um damit später vielleicht ein paar Kurse an einer der
unzähligen privaten Universitäten zu geben, war ein Votum für das Scheitern
und gegen die herrschende Marktlogik.
In seinem dritten, autobiografisch geprägten Roman „Formas de Volver a
Casa“ von 2011, [1][der unter dem deutschen Titel „Die Erfindung der
Kindheit“ schon 2012 erschien], geht Alejandro Zambra in der chilenischen
Vergangenheit weiter zurück und erzählt vom Aufwachsen in einem
apolitischen Umfeld während der Diktatur 1985.
„Bonsai“, sein erster Roman, wurde 2006 in Chile überraschend zum
Bestseller. Er hatte einen Nerv getroffen und die Verfasstheit jener
Generation zwischen Diktatur und Demokratie überzeugend zum Ausdruck
gebracht. Um dieses schmale, aber inhaltlich komplexe Buch auch ohne die
kollektive Erfahrung der jüngeren Geschichte, fern der chilenischen
Realität vergleichbar rezipieren zu können, wäre in der deutschsprachigen
Ausgabe ein Nachwort angebracht gewesen. Schließlich kann man Zambras
minimalistischen Stil außerhalb des historischen Kontextes vorschnell als
selbstbezüglich oder gar formalistisch missverstehen.
19 Jun 2015
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## AUTOREN
Eva-Christina Meier
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Chile
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