# taz.de -- Textsammlung von Roberto Bolaño: Die Suche nach dem Paradies | |
> Der chilenische Schriftsteller Bolaño erreichte mit dem Roman "Die wilden | |
> Detektive" Weltruhm und starb früh. Nun ist eine Textsammlung des | |
> Stilisten und Negationisten erschienen. | |
Bild: Chile ist nicht nur für seine Naturschauspiele bekannt, sondern auch fü… | |
Spät - erst nach seinem frühen Tod 2003 und Jahre nach den ersten Erfolgen | |
in Spanien, Frankreich und Deutschland - wurden Roberto Bolaños Romane und | |
Erzählungen auch ins Englische übersetzt. Doch uneingeschränkt begeistert | |
reagierte die US-amerikanische Literaturkritik nun auf die | |
Veröffentlichungen des 1953 geborenen Chilenen. Die New York Times nahm | |
Bolaños Roman "Die wilden Detektive" im Jahr 2007 als einziges | |
fremdsprachiges Buch in die Liste der zehn besten auf, 2008 gefolgt von | |
seinem posthum veröffentlichten Roman "2666". | |
Besonders die chilenische Presse feiert heute den internationalen Erfolg | |
Bolaños, und es ist sehr viel leichter, dies ohne den Autor zu tun. Denn | |
zwei Eigenschaften schienen dem Schriftsteller zeitlebens besonders | |
verabscheuenswürdig: Mittelmäßigkeit und Provinzialität. Beides verband er | |
unversöhnlich mit seinem Geburtsland Chile, welches er 1973 nach Putsch und | |
Inhaftierung verlassen hatte. | |
Immer wieder und freimütig brachte er seine Abneigungen in Interviews, aber | |
auch in seinem literarischen Schaffen zum Ausdruck. So schrieb er in dem | |
Text "Acht Sekunden mit Nicanor Parra" über den von ihm sehr geschätzten | |
chilenischen Dichter und Künstler: "Weder die mittelmäßigen | |
lateinamerikanischen Professoren, die sich an nordamerikanischen | |
Universitäten tummeln, noch die Zombies, die durch das Dorf Santiago irren, | |
konnten ihm etwas anhaben. Mehr noch, ich würde sagen - aber da geht | |
vielleicht meine Begeisterung mit mir durch -, dass nicht nur Parra, | |
sondern auch seine Geschwister, allen voran Violeta, auch seine | |
Rabelaisschen Eltern eine der größten Ambitionen der Poesie verwirklicht | |
haben: dem Publikum den letzten Nerv zu rauben." | |
Unter dem etwas nebulösen Titel "Roberto Bolaño. Exil im Niemandsland. | |
Fragmente einer Autobiografie" ist nun in gekürzter Fassung eine schöne | |
Ausgabe des spanischen Originals "Entre paréntesis" (Barcelona 2004) auf | |
Deutsch erschienen. Eine Zusammenstellung kurzer, teilweise zuvor von | |
Bolaño in der katalanischen Tageszeitung Diari di Girona veröffentlichten | |
Texte, die eine Mischung aus feinem Humor und bedingungsloser Abgrenzung | |
kennzeichnet. | |
Diese Schriften handeln vom Leben mit Büchern, von Erinnerungen an Orte, | |
vom Exil und der lateinamerikanischen Diaspora. Exil war für Bolaño aber | |
weder eine geografische Beschreibung noch ein lamentabler Zustand, sondern | |
im Gegenteil eine notwendige Voraussetzung zum Schreiben und eine Haltung | |
zur Welt. "Fest steht, dass ich Chilene bin und noch einiges mehr." Beim | |
Lesen der Artikel, Essays und Reisebilder fällt auf, wie Bolaños Gedanken | |
durch permanentes Verknüpfen von Alltagsbeobachtung, pointierter | |
Kommentierung und literarischen Verweisen an Fahrt gewinnen. Einen Text | |
über Literatur und Exil beginnt er mit der Erzählung einer von den | |
österreichischen Behörden akribisch betriebenen Ausweisung. Für seinen | |
mexikanischen Dichterfreund Mario Santiago blieb diese Auseinandersetzung | |
im Wien der Siebzigerjahre relativ gleichgültig. 1998 starb Santiago bei | |
einem Unfall in Mexico D.F. und endete als anonyme Leiche in einem | |
Vorstadtbezirk der mexikanischen Hauptstadt. Diese Erzählung verknüpft | |
Bolaño mit einem Gedicht von Nicanor Parra, das von der chilenischen | |
Literatur handelt, um darüber zu ihren größten Dichtern zu gelangen. Und | |
diese heißen weder Neruda, Mistral noch Huidobro, so Bolaño, sondern Alonso | |
de Ercilla und Rúben Dario. Der eine war spanischer Soldat während der | |
Kolonialkriege, der andere ein ursprünglich in Nicaragua geborener Kreole, | |
"zwei Personen, zwei Reisende, sonst nichts". | |
Dabei war das Leben des Reisenden Bolaño selbst auf selbstverständliche | |
Weise mit der Literatur verwoben. Dieses Schriftstellerleben fand im | |
nachfrancistischen Spanien seit Mitte der Achtzigerjahre vor allem in | |
Blanes, einem proletarischen Badeort nahe Lloret de Mar an der Costa Brava, | |
statt. Ein Ort, den Bolaño in einer Festrede voll Pathos und mit viel | |
Zuneigung beschreibt als "eine Kleinstadt, die ihre Fehler und Probleme | |
haben mag, aber tolerant ist, das heißt lebendig und zivilisiert, denn ohne | |
Toleranz gibt es keine Zivilisation…" Und, so Bolaño weiter: "Meine ersten | |
Freunde in Blanes waren fast alle drogenabhängig. Das klingt hart, aber es | |
stimmt. Die meisten von ihnen sind inzwischen tot. Einige sind an einer | |
Überdosis gestorben, andere an Aids. Als ich sie kennen lernte, waren sie | |
junge, hübsche Kerle. Sie waren nicht besonders gebildet, keiner hatte die | |
Universität besucht, aber sie lebten ihr Leben, als wären sie Teil einer | |
gewaltigen griechischen Tragödie, als hätten sie Euripides oder Sophokles | |
gelesen." | |
Blanes verkörperte für Bolaño den perfekten Ort, das antielitäre | |
"Paradies", "denn Blanes gleicht seinen Stränden, an denen sich Mutige aus | |
ganz Europa rösten lassen". Mit "dem Duft nach Bodylotion, Bräunungs- und | |
Sonnenschutzcremes", aber auch dem Geruch "nach Demokratie, nach | |
Geschichte, nach Zivilisation". | |
Als seine Romane endlich mit Literaturpreisen wie dem renommierten | |
lateinamerikanischen Premio Rómulo Gallegos (1999) ausgezeichnet wurden, | |
hatte Roberto Bolaño längst konsequent und risikofreudig auf ein Leben mit | |
der Literatur, aber außerhalb des offiziellen Literaturbetriebs gesetzt. | |
Nicht unähnlich seinen Protagonisten aus den "Wilden Detektiven" - das | |
macht die aktuelle Anthologie deutlich - aufrichtig darum bemüht, | |
Zusammenhänge zu schaffen, Freundschaften zu schließen und Ausschluss zu | |
betreiben. Das wilde Leben ging nicht spurlos an ihm vorbei. Roberto Bolaño | |
starb 2003 an den Folgen einer chronischen Hepatitis. | |
Roberto Bolaño: "Exil im Niemandsland. Fragmente einer Autobiografie". | |
Berenberg Verlag, Berlin 2008, 153 Seiten, Hardcover, 20,90 € | |
28 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
## TAGS | |
Chile | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Roman „Bonsai“ von Alejandro Zambra: Liebe in Zeiten des Übergangs | |
Der chilenische Autor resümiert eine Liebesgeschichte zweier | |
Literaturstudenten in der Nach-Pinochet-Zeit. Sie endet tragisch. |