# taz.de -- Retrospektive des Architekten-Duos Barkow Leibinger: Haptisch und w… | |
> Architektur ist auch ein Abenteuer. Sichtbar wird das in einer | |
> Ausstellung über das Architekten-Duo Barkow Leibinger in Berlin. | |
Bild: Barkow Leibinger, Kinetic Wall, Internationale Architektur-Biennale „Fu… | |
Das Haus am Waldsee im beschaulichen Berlin Zehlendorf, ehemals Wohnsitz | |
reicher Leute, ist seit 1946 ein wichtiger Berliner Ausstellungsort für | |
zeitgenössische Kunst und dient auch mal als Raum für | |
Architekturexperimente. Bisher wurden die Positionen von Graft, | |
Haus-Rucker-Co. und J. Mayer H. vorgestellt, aber die Institution bietet | |
auch Audioguides zur Architektur der Moderne sowie zur Bruno-Taut-Siedlung | |
in Zehlendorf an und trägt so die Architekturdiskussion in den umliegenden | |
Stadtraum weiter. | |
„Revolutions of Choice“ ist die vierte Ausstellung dieser Serie und die | |
retrospektive Bestandsaufnahme des deutsch-amerikanischen Architektenduos | |
Barkow Leibinger, das seit 1993 von Berlin-Charlottenburg aus weltweit | |
operiert. Nun stellt es Werkgruppen aus dem fast 25-jährigen Bestehen ihrer | |
Kooperation vor. | |
Ihr Markenzeichen ist der Dialog von formalen Systemen, funktionalen | |
Zusammenhängen, verbunden mit der Erforschung neuer Materialien. | |
International wurden ihre Arbeiten oft gezeigt, etwa auf der Marrakesch | |
Biennale 2012, wo sie sich mit einheimischen Webstühlen befassten und | |
daraus neue Geflechtstrukturen aus Metall entwickelten; auf der | |
Architekturbiennale in Venedig (2014), wo sie hydraulisch bewegte Wände | |
vorstellten, die zu atmen schienen – in Berlin sind sie wiederzusehen. | |
## Faltungen sind das große Thema | |
Mit der Einbeziehung des Außenraums beim Haus am Waldsee wird ein | |
programmatisches Zeichen gesetzt. So erwartet die Besucher ein skulpturales | |
Element, das wie eine Opernouvertüre den Themenkanon der Ausstellung | |
einläutet: Es ist ein von zwei hohen Wänden gerahmter Durchgang, der | |
zielgerichtet auf den Eingang hinführt. Diese Wände scheinen aufgebrochen | |
und geben das Innere frei. Außen glatt, besteht das Innenleben dieser Wände | |
aus einem Mix von Baumaterialien, es ist eine ineinander verwachsene Masse, | |
haptisch und wild, die man gerne erklettern möchte – nicht nur Kindern wird | |
das gefallen. | |
Was dem konventionell geratenen Skulpturengarten des Hauses am Waldsee dann | |
eine neue Dimension gibt, ist ein weiteres Großobjekt aus schimmernden | |
Metallschleifen hinter dem Haus, direkt am Waldsee, eine Neuinterpretation | |
des 2016 im Außengelände der Serpentine Gallery in London gezeigten | |
Pavillons „Summer House“. Kein Wunder, dass sich auch die von | |
Barkow-Leibinger entworfene Bühnenarchitektur zu „Fidelio“ am Theater an | |
der Wien (2020) wie ein Plisseerock auffächert: Faltungen sind hier ein | |
großes Thema. | |
„Revolutions of Choice“ entstand als aufwendiges Unterfangen: Alle | |
vorhandenen Modelle wurden aus den verschiedenen Depots in einer großen | |
Halle zusammengetragen und gesichtet, wobei viel Vergessenes zum Vorschein | |
kam. Dann wurde mit dem Kuratorenteam Katja Blomberg und Ludwig Engel nach | |
Thema und Sinnzusammenhang sortiert und wurden mehrere Wagenladungen des | |
Materials in den Räumen des Hauses am Waldsee eingelagert. | |
## Leicht und transparent | |
Obwohl die Besucher*innen eine überwältigende Fülle von Konzepten, | |
Experimenten und Projekten erwartet, an zahlreichen Modellen realisierter | |
kleiner und großer Bauvorhaben, wirkt alles leicht und transparent. Zeit | |
freilich muss man sich dafür nehmen. Es werden Beispiele von | |
Materialstudien und Formelementen präsentiert, die die Prozesse beim | |
Entstehen von Gebäuden begreifbar machen. In der Inszenierung zeigt sich, | |
dass Regine Leibinger und Frank Barkow auch in der Vermittlung von Inhalten | |
Erfahrungen haben; sie lehrten über die Jahre an verschiedenen | |
Institutionen und sind derzeit an der Princeton University aktiv. | |
Im Erdgeschoss fühlt man sich in ein Museumsdepot versetzt: Die Objekte | |
sind auf hohen, mehrlagigen Regalen präzise angeordnet, was Zusammenhänge | |
von Funktion, sozialem Umraum, Formensprache und Material verdeutlicht. Im | |
1. Stock werden skulpturale Elemente und Materialbeispiele in authentischer | |
Größe ausgebreitet. Wo glatte Keramikkacheln und gefaltetes Metall | |
ausliegen, wird die sinnliche haptische Erfahrung von Material | |
herausgefordert – zu gerne möchte man die Sachen anfassen. | |
Das Interessante an der Architektur von Regine Leibinger und Frank Barkow | |
ist die funktionale Logik, die hinter den Baukomplexen steht. Das ist am | |
Pavillon für die Fellows der American Academy Berlin am Wannsee zu erleben, | |
der Studienräume bietet, aus denen die Leute nicht mehr ausziehen möchten. | |
Ihre Architektur beinhaltet aber auch eine sentimentale, abstrakte | |
Formensprache aus den 50ern, voll geometrischer Ordnungen, die teils | |
rhythmisch durchbrochen oder dynamisiert werden, perpetuierende Formen, | |
Faltungen, mathematisch ausgeklügelte Muster, bezogen auf mathematische | |
Untersuchungen. | |
## Signifikante Gliederungen | |
Barkow Leibinger pflegen eine klassisch-solide Architektur mit | |
experimentellen Elementen, wobei Ökologie und die Erforschung von Material | |
eine prägnante Rolle spielen und die Musterungen und Gliederungen den | |
Bauten außen wie innen eine signifikante Charakteristik verleihen. Das kann | |
man vielleicht am besten bei der Deckenkonstruktion in der Trumpf Smart | |
Factory in Chicago nachvollziehen, wo tragende Konstruktionselemente als | |
Ornament eingesetzt, vergrößert oder verkleinert, ja ad absurdum geführt | |
werden. | |
Prismatische Formen und Variationen geometrischer Anordnungen dienen der | |
Bereicherung von Flächen und Kuben; aufgeregte Protzarchitektur und Kitsch | |
wird man hier nicht finden. Die Architektur ist human und orientiert sich | |
an den Bedürfnissen der Menschen. Eine Mensa wird daher in den Mittelpunkt | |
eines Betriebs gestellt, um das Miteinander und die Kommunikation in der | |
Belegschaft zu fördern. | |
Auch Hochhäuser gewinnen durch strukturelle Variabilität innen an Wohnwert, | |
und erfahren durch eine melodisch strukturierte Fassadengestaltung eine | |
scheinbar minimale, aber signifikante Veränderung, die ihnen die Schwere | |
nimmt. | |
Die Auflösung von Fassaden wird auch durch Faltungen in Metallflächen | |
erreicht, was am Entwurf für das Museum der Weltkulturen in Frankfurt | |
deutlich wird: es verschwindet einfach im Umraum und erinnert an das | |
unsichtbare James-Bond-Auto, das Pierce Brosnan in „Die Another Day“ (2002) | |
fährt. | |
18 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Renata Stih | |
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