# taz.de -- Regisseurin über vielgestaltige Körper: „Das Sehen neu erleben�… | |
> Die Regisseurin Ursina Tossis versteht Barriereabbau als künstlerisches | |
> Mittel. Ihr Tanzstück „Fux“ erzählt von einer Transformation der Körpe… | |
Bild: Reich an Emotionen: Szene aus dem Tanzstück „Fux“ | |
taz: Das Nordwind-Festival umfasst mit „Soft Utopia“ Forderungen nach einer | |
Strategie der Softness. Wie fügt sich Ihre Arbeit „Fux“ da ein? | |
Ursina Tossi: Ein Leitmotiv meiner künstlerischen Arbeitsweise ist | |
exzessives Zeigen, ein Zuviel an Emotionen, Körper, Ausdruck und Nähe zum | |
Publikum. Auch in „Fux“ spielen Emotionen eine große Rolle. Sie sind die | |
Wetterlagen und Atmosphären, durch die wir mit dem Publikum reisen und die | |
unsere Körper transformieren. | |
Das klingt nicht soft. | |
Ich kann mich mit Aspekten der „Radical Softness“ als queer-feministische | |
Bewegung anfreunden. Das Ausagieren von Emotionen an Orten, an denen es | |
Ordnungen stört und Normalität aushebelt, ist politisch kraftvoll. „Fux“ | |
ist an vielen Stellen sehr verletzlich: Das Stück hat keine Held*innen, es | |
behauptet nicht, sondern ist ein Prozess des Erinnerns. | |
„Fux“ ist Ihr erstes Stück, das explizit junges (und auch älteres) Publik… | |
anspricht. | |
Das ist eine echte Herausforderung und ich schöpfe aus meiner Erfahrung als | |
Mutter von drei Kindern, die 30, 16 und 8 Jahre alt sind. | |
Sie machen erstmals die Zugänglichkeit für Menschen mit Sehbehinderungen | |
zum künstlerischen Werkzeug. | |
Wir arbeiten mit einer Gruppe von jungen Menschen mit Sehbeeinträchtigungen | |
zwischen 8 und 16 zusammen. Es geht darum, ableistische Sehgewohnheiten und | |
Körperbilder abzuschaffen und viel spannendere und ambivalente, | |
vielgestaltige Körper auf die Bühne zu bringen. Die Begeisterung für | |
perfektionierte Hochleistungskörper muss jetzt mal vorbei sein. Es sollte | |
doch normal sein, dass Menschen mit Behinderungen eingeladen sind zum Tanz | |
und ins Theater. Das steht nicht nur im Grundgesetz, das sollte Mainstream | |
sein. | |
Wie gehen Sie vor? | |
Wir machen künstlerische Audiodeskription. Wir achten darauf, dass wir | |
Zuschreibungen reflektieren, dass wir uns bewusst sind, was wir kreieren | |
oder verdecken können, wenn wir Worte benutzen, um Tanz zu beschreiben. | |
Audiodeskription kann für Menschen mit Sehbeeinträchtigung und sehendes | |
Publikum Kontexte öffnen, die sonst verborgen bleiben. | |
Ihr Stück ist inspiriert von George Saunders Buch „Fuchs 8“, die | |
Überlebensgeschichte eines Fuchses, der versucht, mit menschlicher | |
Zerstörung klarzukommen. | |
Wie ein Vergrößerungsglas hält Saunders in dem Buch auf den Moment des | |
Verlusts, den unendlich traurigen Tod eines guten Freundes. Diesen Fokus | |
auf die Trauer fand ich spannend. Denn in diesem ausgedehnten Moment findet | |
der Gestaltenwandel statt, den ich auch in meinen Arbeiten immer wieder | |
versuche herzustellen. Tiefgreifende Erfahrungen verändern uns nicht nur, | |
sie verwandeln unseren ganzen Körper. Und wenn wir uns nicht radikal | |
verwandeln, werden wir verwandelt werden. | |
Sie wollen traditionelle Sehgewohnheiten aufbrechen. | |
Weil es jetzt um mehr geht als nur bildungsbürgerlichen Genuss oder | |
Bestätigung. Was bleibt denn, wenn es kaum noch Kontakt zu anderen Wesen | |
gibt, außer den narzisstischen Beziehungen zu unseren Endgeräten, den | |
Algorithmen, den Wiederholungen der eigen Existenzen und den Besitz und das | |
Töten andere Körper? Es geht also darum, das Sehen als Teil des Sensoriums | |
neu zu erleben. Das ist natürlich ein Ansporn und keine Sache, die man beim | |
Machen von Stücken mit einem Mal herstellt. | |
29 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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