| # taz.de -- Regisseur über Kafkas „Acht Oktavhefte“: „Franz Kafka beim D… | |
| > Thom Luz inszeniert in Hamburg „Die acht Oktavhefte“. Er verspricht eine | |
| > Detektivgeschichte, die sich am Ende in musikalischer Verdichtung | |
| > erschließt. | |
| Bild: Inspiriert Viele: Franz Kafka | |
| taz: Thom Luz, wie kamen Sie auf Franz Kafka und seine „Acht Oktavhefte“? | |
| Thom Luz: Ich fühle mich in Kafkas rätselhafter Klarheit, seinem Humor, der | |
| nicht als solcher gleich erkennbar ist, und seiner nachdenklichen Sicht auf | |
| die Welt wohl. Als ich diese Oktavhefte gefunden habe, hat mich zunächst | |
| der kryptische Titel angezogen, der ein Geheimnis zu tragen scheint. In | |
| diesen Notizbüchern, Tagebüchern, aber auch Skizzen und Zeichnungen kann | |
| man [1][Franz Kafka] beim Denken zuschauen. Das ist natürlich ein großes | |
| Vergnügen. | |
| Sie hätten dieses Vergnügen für sich behalten können. | |
| Der allererste Satz in den Oktavheften war für mich wie eine musikalische | |
| Einladung: „Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich. Diese Tatsache kann man | |
| sogar durch das Gehör nachprüfen.“ Da habe ich gespürt: „Das muss ich | |
| weiterverfolgen.“ Ich war auf der Spur dieses Zimmers – und des Gehörs. | |
| Nach und nach haben sich immer mehr Fragmente einer Geschichte | |
| zusammengesetzt. Es gibt ein Zimmer – es wird auch ein Haus beschrieben und | |
| eine große Mietskaserne in einer mittelalterlichen Stadt –, aber immer | |
| wieder ein einsames Individuum in besagtem Zimmer, das horcht und Klänge | |
| beschreibt: Auf dem Dachboden rumpelt es, beim Südtor wird Trompete | |
| gespielt … Ich glaube nicht, dass es eine Geschichte ist, die Kafka | |
| intendiert zusammengesetzt hat. Sie ergibt sich durch Detektivarbeit. | |
| Bei dieser Detektivarbeit entstand dann die Idee für einen Theaterabend? | |
| Eine Geschichte an einem Ort zu entdecken, an dem man sie nicht auf den | |
| ersten Blick erkennt, bereitet mir großes Vergnügen. Wenn ich ins Theater | |
| gehe, freue ich mich, wenn es Raum für Entdeckungen gibt. „Room to dream“ | |
| nennt es David Lynch. Als Zuschauer möchte nicht eine fertige Sache in den | |
| Schoss geschmettert bekommen. Ich liebe es sehr, wenn ich mich in meinem | |
| Stuhl vorlehnen und etwas entdecken kann, was die Person im Sitz neben mir | |
| vielleicht noch nicht entdeckt hat, wenn auf der Bühne, wie ja auch auf der | |
| Welt, viele Dinge gleichzeitig geschehen und man diese in Beziehung | |
| zueinander bringen kann. Diese Gleichzeitigkeit hat sich auch bei der | |
| Lektüre der „Acht Oktavhefte“ eingestellt. | |
| In Kafkas Texten gibt es oft einen Plan, der sich dem/der Leser*in – oder | |
| Hauptfigur – nicht gleich erschließt. | |
| Alles bei Kafka folgt einem unsichtbaren Regelwerk. Dieses Regelwerk kann | |
| man auch erleben, wenn man einem Bühnenbildaufbau im Theater beiwohnt: Da | |
| gehen Türen auf und Arbeiter tragen einen Brunnen, einen Wald, eine | |
| Stehlampe, unerklärliche Metallobjekte auf die Bühne, Lautsprecher fahren | |
| vom [2][Schnürboden] herunter. Dann gibt es ein Signal, alle gehen, es ist | |
| Mittagspause. Erst am Schluss, wie im Werk von Franz Kafka, versteht man | |
| den finsteren Plan. Ich finde, dass dieser Vorgang dem Aufbau einer | |
| Geschichte ähnelt oder auch die Abbildung meiner Leseerlebnisse der | |
| Oktavhefte zeigt. In diesem Fall die eines ratlosen Detektivs, der nach | |
| Zusammenhängen sucht. Das versuche ich, auf der Bühne abzubilden. Mit allen | |
| Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen. | |
| Ist die Erzählung dennoch stringent? | |
| Es gibt eine große Stringenz, die man aber vielleicht nicht sofort erkennt. | |
| Die Figuren auf der Bühne sind in ein Geschichte verstrickt, der sie bis | |
| zum Ende folgen müssen. | |
| Und dann? | |
| Gibt es eine Überraschung. Eine musikalische Verdichtung, bei der alle | |
| Parameter einer Theateraufführung zusammenspielen. Aktionen, Licht, Text, | |
| Klang und Musikstücke wiederholen sich und erzählen in ihrer Summe | |
| plötzlich eine Geschichte. [3][Da entsteht eine Art Traumlogik]: rückwärts | |
| verstehen, aber vorwärts den Abend erleben. Und das kann schon zauberhaft | |
| sein, wenn es funktioniert. | |
| 24 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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