# taz.de -- Rechtsextreme in der Bundeswehr: Kameradschaft im Schatten | |
> Das Wertesystem der Soldaten entsteht in Extremsituationen. Ein stumpfes | |
> Regelwerk hilft nicht weiter. Flexible Entscheidungen sind wichtig. | |
Bild: Haltungsschäden in der Bundeswehr – wenn der rechte Arm mal wieder unk… | |
Angesichts der Gewaltrituale bei der Ausbildung von Soldaten und der fast | |
schon skurril anmutenden Anschlagpläne eines sich als syrischer Flüchtling | |
tarnenden rechtsextremen Bundeswehrsoldaten scheinen sich alle Beobachter | |
einig zu sein, dass es bei der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ gibt. Das | |
„Haltungsproblem“ wird darauf zurückgeführt, dass die Führung der | |
Bundeswehr gegenüber der Truppe die offiziellen Verhaltensstandards nicht | |
durchsetzt. | |
Die Lösung liegt bei solchen Problembeschreibungen auf der Hand – noch | |
bessere Schulung in Bezug auf das formale Regelwerk, noch intensivere | |
Kontrolle der Einhaltung des Regelwerks und noch schärfere Sanktionen, | |
wenn es zu Verstößen dagegen kommt. Übersehen wird jedoch, dass für den | |
Erfolg oder Misserfolg von Armeen die Ausbildung Kameradschaftsnormen | |
enorme Bedeutung haben. | |
In der öffentlichen Debatte dominiert ein fast rosarotes Bild davon, wie | |
sich Kameradschaftsnormen ausbilden. Man scheint daran zu glauben, dass | |
Kameradschaft allein schon deswegen entsteht, weil im Soldatengesetz | |
festgelegt wird, dass der „Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich auf | |
Kameradschaft beruht“ und alle Soldaten verpflichtet werden, die „Ehre und | |
Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen“. | |
Kameradschaft wird hier als eine formale Verhaltenserwartung formuliert, | |
sich auch in Extremsituationen – „Not und Gefahr“ – für Kameraden | |
einzusetzen. | |
Aber es sind nicht die formalen Festlegungen in einem Soldatengesetz, die | |
zur Ausbildung von Kameradschaftsnormen führen. Vielmehr bilden sich diese | |
quasi im Schatten der offiziellen formalen Organisation aus – in | |
Extremsituationen, in die man als Soldat geraten kann und in denen dann die | |
ganze Person bedroht ist. Die Kameradschaftsnormen entstehen also | |
unabhängig davon, was in Soldatengesetzen steht oder von Vorgesetzten | |
eingefordert wird. Und notfalls wird die Orientierung an diesen Normen von | |
den Kameraden auch mit Mitteln eingefordert, von denen die Armeeführung gar | |
nicht so genau wissen will. | |
## Loyalität und Strafe | |
Sicherlich – es gibt eine friedfertige Variante bei der Durchsetzung von | |
Kameradschaftsnormen. In der Regel lernen Soldaten schnell, dass man sich | |
Kameraden gegenüber loyal verhält, dass man sie in öffentlichen Situationen | |
nicht bloßstellt, dass man sich gegenseitig hilft, wenn ein Kamerad mit | |
einer Aufgabe überfordert ist, ein Fehler kaschiert werden muss oder | |
kurzfristiges Einspringen erforderlich ist. Im besten Fall bilden sich | |
dabei Vertrauensbeziehungen, die dazu führen, dass man sich gegenseitig | |
unterstützt. | |
Wenn jedoch jemand die informalen Verhaltenserwartungen in einer Armee | |
nicht akzeptiert, greifen die anderen Kameraden zu negativen Sanktionen. | |
Solche Sanktionen deuten sich in Armeeeinheiten anfangs durch abschätzige | |
Bemerkungen oder direkte Beschimpfungen an und reichen dann über die | |
soziale Isolierung des Kameraden und die Verweigerung von Hilfeleistungen | |
bis zu direkten körperlichen Bestrafungen. Die Sanktionen dienen nicht | |
vorrangig zum Ausschluss aus dem Kameradenkreis, sondern im Gegenteil zur | |
Durchsetzung informaler Normen. Soldaten oder Polizisten, die solche häufig | |
offiziell verbotenen Erniedrigungen nicht melden, sondern über sich | |
ergehen lassen, werden dann auch konsequenterweise mit dem Verbleib im | |
Kameradenkreis „belohnt“. | |
Wir kennen solche Prozesse des Durchsetzens von informalen Normen aus jeder | |
Organisation; bei Armeen treten sie allerdings in einer gewaltbetonteren | |
Form auf. Aber das ist wenig überraschend: Es liegt nahe, dass in einer | |
Organisation, deren Hauptaufgabe darin besteht, Gewalt anzuwenden, und die | |
zur Durchsetzung von Verhaltenserwartungen gegenüber ihren eigenen | |
Organisationsmitgliedern notfalls auf Gewaltspezialisten in Form von | |
Feldjägern zurückgreift, die Durchsetzung informaler Normen körperbetonter | |
stattfindet als in IT-Firmen, Supermärkten oder Gemeindeverwaltungen. Man | |
kann mit sehr guten Gründen allein schon deswegen dagegen sein, dass sich | |
Staaten Armeen halten. Aber wenn man Armeen für sinnvoll hält, dann darf | |
man vor der häufig brutalen Art der Durchsetzung von | |
Kollegialitätserwartungen nicht die Augen verschließen. | |
## Das Wunschbild der Öffentlichkeit | |
Die Bundeswehr hat mit ihrem in der Öffentlichkeit gezeichneten Wunschbild | |
nichts zu tun. Jenseits der formalen Ordnung gibt es in Armeen immer auch | |
Probleme der Zusammenarbeit, die nicht durch die formale Ordnung gelöst | |
werden können. Vor allem die konkrete Leistungsmotivation der Mitglieder, | |
besonders aber die reibungslose Lösung der Probleme der alltäglichen | |
Zusammenarbeit zwischen den Organisationsmitgliedern lässt sich nicht durch | |
formale Vorschriften allein garantieren. Und genau hier greifen die in | |
Kameradschaftsnormen verdichteten informalen Erwartungen. | |
Jeder Soldat weiß, dass eine Armee nur deswegen funktioniert, weil von den | |
formalen Regelwerken immer wieder abgewichen wird. Jede Kommandantin einer | |
Logistikeinheit weiß, wie sie bei Revisionen „graues Material“ im Feld | |
verstecken muss, weil erst illegale Ersatzteillager sie von dem behäbigen | |
Beschaffungswesen der Armee unabhängig machen. Jeder Leutnant weiß, dass es | |
Sinn haben kann, das verbotene Tragen von Palästinensertüchern in kalten | |
Gefilden teilweise zu dulden, weil dies eine informale „Auszeichnung“ dafür | |
ist, dass jemand im Afghanistaneinsatz war. Und genauso ist jeder | |
Bataillonsführer gut beraten, zu dulden, dass in seiner Truppe | |
Verhaltensnormen auch mit Mitteln durchgesetzt werden, die nicht immer mit | |
den formalen Vorgaben vereinbar sind. Der Soziologe Niklas Luhmann spricht | |
hier von „brauchbarer Illegalität“. | |
Selbstverständlich wissen Vorgesetzte, dass diese brauchbaren Illegalitäten | |
nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Deswegen gehört es zur | |
Kompetenz eines erfahrenen Militärs, bei Besuchen von | |
Verteidigungspolitikern ein Bild der eigenen Einheit zu zeichnen, das diese | |
als Musterfall der Anwendung des formalen Regelwerks der Armee erscheinen | |
lässt. Deshalb ist auch wenig überraschend, dass Verteidigungsminister oft | |
diejenigen sind, die von einem Skandal in ihrer Truppe am meisten | |
überrascht sind. | |
## Die Grenzen der Regelabweichung | |
Aber zur Klugheit gehört auch, zu wissen, wo die Grenzen der Zulassung von | |
Regelabweichungen liegen. Das Management illegaler Ersatzteil- und | |
Waffenlager funktioniert nur so lange gut, wie sichergestellt wird, dass | |
diese nicht in dunklen Kanälen verschwinden. Das „Übersehen“ des | |
regelwidrigen Tragens von Palästinensertüchern außerhalb des Einsatzes in | |
Wüstengebieten geht nur so lange gut, wie auch sichergestellt wird, dass | |
diese nicht unter Panzerketten geraten. Und auch die Duldung der für | |
Zivilisten gewöhnungsbedürftigen Durchsetzung von Kameradschaftserwartungen | |
geht nur so lange gut, wie sich die Führung darauf verlassen kann, dass | |
dabei Grenzen eingehalten werden. | |
Nicht das stupide Durchsetzen der von oben verordneten formalen Erwartungen | |
ist Führungsstärke, sondern das klug genutzte Wissen darüber, wo die | |
Grenze zwischen einer brauchbaren Informalität und einer für die Armee | |
schädlichen Informalität liegt. | |
Wenn die Bundeswehr unter etwas leidet, dann darunter, dass man das Gespür | |
dafür verloren hat, welche Regelabweichungen punktuell geduldet werden | |
können und welche nicht. Statt alle bekannt werdenden Abweichungen in der | |
Bundeswehr mit dem Verweis auf „Haltungsprobleme“ miteinander zu | |
vermischen, käme es darauf an, dass die Führung der Bundeswehr die Punkte | |
definiert, in denen in keinem Fall Abweichungen geduldet werden. | |
Wenn formal festgelegt werden würde, dass beispielsweise bei sexuellen | |
Übergriffen, Misshandlungen Kriegsgefangener oder rechtsextremen | |
Betätigungen hierarchische Meldeketten übersprungen werden müssen und die | |
Armeeführung direkt einzuschalten ist, wäre für alle Armeeangehörigen ein | |
klares Zeichen gesetzt, wo die Grenzen der geduldeten Regelabweichungen | |
liegen. Das kann aber nur funktionieren, wenn diese Vorgehensweise auf | |
wenige Themenfelder beschränkt bleibt und nicht jede bekannt werdende | |
Regelabweichung gleich hierarchisch eskaliert werden muss. | |
14 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Kühl | |
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