# taz.de -- Rechtsextreme Straftaten in Berlin: Aufklärung jahrelang verschlep… | |
> Noch mehr Fälle als bislang bekannt: Sechs Prozent aller rechten | |
> Straftaten blieben im Berliner Landeskriminalamt liegen. | |
Bild: Beim Berliner LKA wurden hunderte Fälle rechter Gewalt rechts liegen gel… | |
BERLIN taz | Es dürften hektische und lange Tage gewesen sein in der | |
Abteilung 53 des Berliner Landeskriminalamts, zuständig für rechtsextreme | |
Straftaten. Nachdem bei einem routinemäßigen Führungswechsel aufgefallen | |
war, dass im [1][Kommisariat 533 drei Jahre lang massenhaft rechte | |
Straftaten liegen geblieben waren], mussten alle sieben Kommissariate der | |
Abteilung die aufgetürmten Fälle in einem Hauruckverfahren innerhalb von | |
zehn Tagen abarbeiten. | |
Bei einer Befragung im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag | |
bezifferte Polizeipräsidentin Barbara Slowik die Zahl der Fälle sogar auf | |
364 – also deutlich mehr als die 300, die zunächst bekannt waren. Sie alle | |
seien bis zum 30. Oktober der Staatsanwaltschaft zur Weiterbearbeitung | |
übergeben worden. | |
Da sich Innensenatorin Iris Spranger (SPD) krank meldete, blieb es an | |
Staatssekretär Christian Hochgrebe hängen, sich zu dem Vorgang zu äußern. | |
Von 2020 bis 2022 haben sich die Fälle unbearbeitet aufgetürmt – gegen den | |
Leiter und einen Ermittler des Kommissariats 533 laufen nun Ermittlungen | |
wegen Strafvereitelung im Amt. | |
## Relativierung statt Entschuldigung bei den Betroffenen | |
Eine direkte Entschuldigung bei den Betroffenen rechter Gewalt ließ der | |
Staatssekretär trotz des riesigen Ausmaßes jedoch vermissen: „Das ist ein | |
Sachverhalt, der nicht gut ist“, sagte er lediglich. Der Senat habe die | |
Erwartungshaltung, dass die Fälle nun „zügig in Abstimmung mit der | |
Staatsanwaltschaft bearbeitet“ werden. | |
Nur um kurz darauf zu relativieren: „Es ist gut, dass solche Dinge das | |
Licht der Öffentlichkeit erreichen. Das ist ein wesentlicher Erfolg der | |
vielen Arbeiten hin zu einer offenen Behörde, dass so etwas nicht unter den | |
Tisch gekehrt, sondern selbstverständlich aufgeklärt wird“, so Hochgrebe. | |
Es sei das „Ergebnis der guten Arbeit des Senats und der | |
Polizeipräsidentin“. | |
Dass die 364 unbearbeiteten rechten Straftaten über drei Jahre hinweg nicht | |
aufgefallen waren, ließ der Staatssekretär mal eben unter den Tisch fallen | |
– ebenso wie die Tatsache, dass die Öffentlichkeit nur durch Presseberichte | |
zustande kam, nicht etwa durch eine proaktive Information aus den | |
Sicherheitsbehörden. | |
Nichtsdestotrotz bekräftigte auch Polizeipräsidentin Slowik demonstrativ | |
die „gute Zusammenarbeit“ – räumte aber immerhin einen „Missstand“ e… | |
Mitte Oktober seien der neuen Leitung des Kommissariats 533 die größere | |
Anzahl an Vorgängen mit überlanger Bearbeitungszeit oder gänzlich | |
unbearbeiteten Fälle aufgefallen. Die sei umgehend an die Dezernatsleitung | |
gemeldet worden, die noch am selben Tag, den 20. Oktober, das | |
LKA-Kommissariat 341 einschaltete. | |
## Politische Motivation oder Überlastung? | |
Das ist für Beamtenvergehen zuständig, was zu Ermittlungen gegen die | |
verantwortlichen Polizisten wegen Strafvereitelung führte. Zu einer | |
möglichen politischen Motivation sagte Slowik nur: „Wir ermitteln | |
selbstredend in alle Richtungen, auch wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt keine | |
Hinweise darauf haben.“ Sie verwies auf eine mögliche „Überlastung“. | |
Inwiefern das normale Verfahren zur Anzeige von Überlastung eingehalten | |
wurde, sei auch Gegenstand der Ermittlung. Im Nachgang sei alles getan | |
worden, um die „schnellstmögliche Bearbeitung“ der liegen gebliebenen Fäl… | |
zu gewährleisten. | |
Das Ausmaß konnte die Polizeipräsidentin jedenfalls deutlich machen: Das | |
Kommissariat 533 bearbeite jährlich ungefähr 2.000 Vorgänge, innerhalb der | |
drei Jahre waren es demzufolge rund 6.000. Rund 6 Prozent aller [2][rechten | |
Straftaten] in der Zuständigkeit des Kommissariats dürften in diesem | |
Zeitraum also liegen geblieben sein. | |
Der Linke-Innenpolitiker Niklas Schrader und der Grüne Ario Mirzaie, die | |
das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt hatten, wiederholten | |
ihre bereits zuvor geäußerte Kritik. Schrader sagte: „Ich bin einigermaßen | |
erschüttert, dass von Ihnen kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns | |
zu hören war und stattdessen sogar noch Eigenlob kommt.“ Zwar seien die | |
liegen geblieben Straftaten durch die Polizei selbst aufgedeckt worden, | |
zuvor habe es aber eben einen längeren Zeitraum gegeben, „wo das niemand | |
gestört hat.“ | |
Der Grüne Mirzaie kritisierte, dass die Abgeordneten die Vorgänge erst am | |
vergangenen Donnerstag aus der Presse erfahren mussten, obwohl sie schon im | |
Oktober bekannt wurden. Das wiederum wurde von Polizeipräsidentin und | |
Staatssekretär eher unbeeindruckt zur Kenntnis genommen – mittlerweile | |
haben beide Behörden ja auch etwas Routine im Umgang mit der Erklärung | |
fragwürdiger Vorgänge und rechter Skandale in den Sicherheitsbehörden. | |
## Laut Polizeipräsidentin kein Bezug zum Neukölln-Komplex | |
Im Abgeordnetenhaus befasst sich derzeit ein ganzer Untersuchungsausschuss | |
mit Ungereimtheiten und Behördenversagen im sogenannten Neukölln-Komplex, | |
einer jahrelangen unaufgeklärten Terrorserie mit Fokus auf Süd-Neukölln, | |
bei der das Vertrauen von Betroffenen in die Polizei längst nicht mehr | |
vorhanden ist. | |
Schrader fragte auch nach Bezügen des aktuellen Falls [3][zum | |
Neukölln-Komplex] – die es laut Slowik nach jetzigem Ermittlungsstand nicht | |
gibt. Grundsätzlich sei im Kommissariat 533 keine Bearbeitung solcher Fälle | |
erfolgt. Offen blieb allerdings die Frage, ob die beteiligten Dienstkräfte | |
Bezug zum Neukölln-Komplex aufwiesen. Das sei Gegenstand der Ermittlungen, | |
so Slowik. | |
27 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ermittlungen-gegen-Berliner-Polizisten/!5971521 | |
[2] /Rechte-Anschlagsserie-in-Berlin-Neukoelln/!5959391 | |
[3] /Neukoelln-Untersuchungsausschuss/!5963655 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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