# taz.de -- Serie über Rassismus in der Polizei: Den Strukturen auf der Spur | |
> „Criminal Record“ erzählt von dem strukturellen Rassismus in der Londoner | |
> Polizei. Dabei verzichtet die Serie auf vereinfachendes Gut und Böse. | |
Bild: June Lenker (Cush Jumbo) in „Criminal Record“ | |
Die schwarze Londoner Polizistin June Lenker (Cush Jumbo) scheint keine | |
Angst zu kennen. Als sie einem rechten Schläger nachsetzt, der einen Kopf | |
größer ist als sie, springt sie zu ihm in den Aufzug, holt einen | |
Teleskopschlagstock raus und prügelt auf ihn ein. In dem folgenden | |
Zweikampf zieht sie trotzdem den Kürzeren und bleibt schwerverletzt im | |
Aufzug des Sozialblocks liegen, wo gerade eine migrantische Frau ermordet | |
wurde. | |
Gegen überlegen wirkende und vermeintlich stärkere weiße Männer muss die | |
junge Frau in der britischen Apple TV+-Serie „Criminal Record“ die ganze | |
Zeit ankämpfen – vor allem auch innerhalb der Londoner Polizei. Ihr | |
unmittelbarer Gegenspieler ist Chefinspektor Daniel Hegarty (Peter | |
Capaldi). | |
Als eine junge Frau anruft, die von ihrem Mann bedroht wird und um ihr | |
Leben fürchtet, muss ein zehn Jahre zurückliegender Mordfall neu aufgerollt | |
werden. Ist der seit Jahren im Gefängnis sitzende Schwarze Errol Mathis | |
(Tom Moutchi), der angeblich seine Frau ermordet hat, womöglich doch | |
unschuldig? Für dessen Freilassung kämpfen seine Familie und ein | |
antirassistisches Solidaritätskomitee seit Jahren. | |
June Lenker schöpft Verdacht und macht sich auf die Suche nach neuen | |
Zeugen. Wie wurde damals ermittelt? Wurden alle Zeugen befragt, oder sind | |
einige von ihnen von den weißen Polizeibeamten eingeschüchtert worden? Der | |
Mord fand nur wenige Tage nach den weltweit beachteten Riots im Jahr 2011 | |
statt, die damals durch [1][den Tod des Schwarzen Mark Duggan] ausgelöst | |
wurden. Wie sehr wurde in dieser Situation politischer Druck aufgebaut, um | |
schnell einen Schuldigen präsentieren und aburteilen zu können, der ins | |
medial aufgeladene rassistische Täterprofil passte? | |
## Struktureller Rassismus gezeigt in Einzelbeispielen | |
„Criminal Record“ ist ein packend erzählter Krimi, der von den schicken | |
urbanen Mittelstandsvierteln bis zum prekär randständigen London die | |
soziale und kulturelle Vielschichtigkeit einer Metropole inszeniert. | |
Die Serie widmet sich allen Aspekten [2][rassistischer Unterwanderung der | |
Polizei:] Während June Lenker ermittelt, schließt ihr Chef Daniel Hegarty | |
die Reihen in seiner Ermittlungseinheit und vertuscht die neonazistische | |
Vergangenheit eines seiner Kollegen. | |
Stück für Stück kommt die Geschichte des brutalen Mordes an einer jungen | |
Frau ans Tageslicht. Ist Daniel Hegarty ein rassistischer Polizist, der | |
einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht hat und alles tut, um das zu | |
vertuschen? Oder ist der akribisch arbeitende und in der Behörde für seine | |
Genauigkeit geschätzte Beamte einfach nur Opfer seiner eigenen Routinen, | |
die sich automatisch an bestimmten Täterprofilen orientieren? | |
Anders gesagt: Ist sein Verhalten nur Ausdruck des strukturellen Rassismus, | |
der Institutionen und ihrer Arbeitsweise eingeprägt ist, auch jenseits | |
individueller Einstellungen? Je weiter June Lenker bei ihren | |
Nachforschungen kommt, desto komplexer und undurchschaubarer wird die | |
Geschichte. | |
Das Thema struktureller Rassismus in der Polizei spielt in Filmen und | |
Serien eine immer größere Rolle, wie unlängst in dem neuen Scorsese-Film | |
„Killers of the Flower Moon“, in der True-Crime-Serie „When They See Us“ | |
oder in dem Oscar-prämierten Kurzfilm „Two Distant Strangers“. Gerade durch | |
die politischen Debatten nach dem Tod von George Floyd wird di eser Aspekt | |
für die Kulturindustrie immer wichtiger. Wobei nicht selten allzu einfach | |
gezeichnete Feinbilder böser weißer Polizisten bemüht werden. | |
## Spannung ohne dichotome Darstellung | |
Genau auf solch platte Stereotypen und vorhersehbare Konfliktlinien | |
verzichtet „Criminal Report“ aber ganz bewusst. Hier wird kein einfach zu | |
durchschauendes Gut und Böse präsentiert. Es geht nicht darum, rassistische | |
Polizisten vorzuführen, sondern vielmehr um die Zwischentöne und vor allem | |
um die Dynamik der Strukturen, die von weißen Männern gemacht, geprägt und | |
dominiert werden. | |
Das steigert auch die Spannung für die Zuschauer enorm. Denn bis ganz zum | |
Schluss bleibt unklar, wer hier eigentlich manipuliert und die Fäden in der | |
Hand hält. Dabei erzählt die Serie in einem fulminanten Finale aber auch | |
explizit von der Möglichkeit, sich dieser strukturellen Dynamik | |
entgegenzustellen. So kann man als Individuum doch etwas an den Strukturen | |
ändern. | |
10 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Florian Schmid | |
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