# taz.de -- Neuköllner Anschlagsserie: Karten nicht auf den Tisch gelegt | |
> Der Skandal um unbearbeitete Strafverfahren gegen rechts zieht Kreise bis | |
> zum Neukölln-Untersuchungsausschuss. Polizeichefin Slowik in der Kritik. | |
Bild: Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Mordes an Burak Bektas | |
BERLIN taz | Vor der Sitzung des [1][Neukölln-Untersuchungsausschusses am | |
Freitag] haben von der rechten Anschlagsserie Betroffene noch Flugblätter | |
verteilt. Schwere Vorwürfe werden darin gegen die Polizeizeugen erhoben. | |
Die verschanzten sich hinter Worthülsen und Floskeln. Auch die Abgeordneten | |
und die Pressevertreter werden in dem Flugblatt kritisiert. Ihnen wird | |
mangelnder Aufklärungswille und mangelnde parlamentarische Kontrolle | |
vorgeworfen. | |
Aber dann – der Ausschuss tagt zunächst nichtöffentlich, die Zuhörerinnen | |
und Zuhörer warten auf dem Gang des Abgeordnetenhauses – schlägt eine | |
Pressemitteilung ein wie eine Bombe: „Skandal um nicht bearbeitete | |
Straftaten bei der Polizei: Personelle Überschneidungen zu den | |
Mordermittlungen im Fall Burak Bektaş“. Niklas Schrader und Ferat Koçak, | |
Abgeordnete der Linkspartei, haben sie verschickt. | |
Bezugnehmend auf die [2][Innenausschussitzung] von Montag schreiben | |
Schrader und Koçak: „Entgegen erster Darstellungen im Innenausschuss gibt | |
es in Bezug auf die nicht bearbeiteten rechten Straftaten beim Staatsschutz | |
nun doch eine Verbindung zum Neukölln-Komplex“. Laut Presseberichten sei | |
bestätigt, dass der Kommissariatsleiter, gegen den nun ermittelt werde, | |
früher Mordermittler im Fall Burak Bektaş war. Die Fakten kämen aber nach | |
wie vor nur scheibchenweise ans Licht. „Deutlicher kann man die Ignoranz | |
gegenüber Betroffenen von rechter Gewalt nicht ausdrücken.“ | |
## Doch Bezug zum Fall Bektaş | |
Der Untersuchungsausschuss hat den Auftrag, mögliche Ermittlungsfehler in | |
einer Serie rechtsextremistischer Anschläge in Neukölln aufzuspüren. Der | |
ungeklärte Mord an Burak Bektaş gehört dazu, denn auch bei diesem steht – | |
wie bei den 72 zur Serie gezählten Straftaten – ein rechtsextremes Tatmotiv | |
im Raum. | |
Der 22-Jährige war im April 2012 in Neukölln erschossen worden, als er mit | |
vier Freunden vor einem Wohnhaus stand. Zwei der Freunde wurden durch die | |
Schüsse schwer verletzt. Die polizeilichen Ermittlungen führten zu keinem | |
Ergebnis, der Täter ist bis heute unbekannt. [3][Das am Tatort für Bektaş | |
errichtete Denkmal ist mehrfach geschändet worden]. | |
Zunächst hatte es den Anschein, als habe [4][der Akten-Skandal beim | |
Staatsschutz], den die B.Z. vor einer Woche enthüllt hatte, mit dem | |
Neuköllner Straftatenkomplex nichts zu tun. Bei einem routinemäßigen | |
Führungswechsel in der Behörde war im September aufgefallen, dass ein | |
Kommissariat in der LKA-Abteilung 53 drei Jahre lang massenhaft rechte | |
Straftaten nicht bearbeitet hatte. | |
Von Linken und Grünen am Montag im Innenausschuss zur Rede gestellt, | |
bezifferte Polizeipräsidentin Barbara Slowik die Zahl der liegen | |
gebliebenen Fälle auf 364. Gegen den ehemaligen Leiter des Kommissariats | |
und einen Ermittler seien deshalb Ermittlungsverfahren wegen | |
Strafvereitelung im Amt eingeleitet worden. | |
Zum Neukölln-Komplex hätten die 364 liegen gebliebenen Verfahren aber | |
keinen Bezug, erklärte Slowik noch im Innenausschuss. Ob wiederum die | |
beteiligten Dienstkräfte Bezug zum Neukölln-Komplex aufwiesen, sei | |
Gegenstand der Ermittlungen. | |
## Grüne und Linke ungehalten | |
„Wir hatten schon am Montag den Eindruck, dass Slowik nicht alle Karten auf | |
den Tisch gelegt hat“, sagt Niklas Schrader am Freitag am Rande des | |
Untersuchungsausschusses zur taz. Es sei kaum vorstellbar, dass Slowik da | |
noch nicht wusste, dass der Kommissariatsleiter, gegen den wegen der 364 | |
Verfahren ermittelt wird, früher Mordermittler im Fall Bektaş war. | |
Sichtlich ungehalten reagiert auch der Vorsitzende des | |
Untersuchungsausschusses, Vasili Franco (Grüne). „Obwohl am Montag noch | |
Bezüge zum Neukölln-Komplex verneint wurden, war der betroffene LKA-Leiter | |
anscheinend lange Zeit leitender Ermittler im Mordfall Bektaş, der | |
ebenfalls Gegenstand des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist“. | |
Zudem sei es nicht das erste Mal, dass parallel zur Arbeit des | |
Untersuchungsausschusses Ermittlungspannen bei der Berliner Polizei | |
aufgedeckt worden seien, so Franco zur taz. „Ich erwarte gegenüber dem | |
Parlament vollständige Transparenz.“ Eine Salamitaktik konterkariere die | |
parlamentarischen Bemühungen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und | |
schade dem Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. | |
„Was da passiert, übersteigt jegliche Vorstellungskraft“, bringt es eine | |
Unterstützerin der von der Anschlagsserie Betroffenen am Freitag auf den | |
Punkt. Polizeipräsidentin Slowik müsse zurücktreten. Ob sich die | |
Betroffenen in ihrer auf dem Flugblatt geäußerten Auffassung bestätigt | |
fühlten? Bestätigt sei noch untertrieben, sagt eine der Frauen: „Das hört | |
nicht auf“. | |
1 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neukoelln-Untersuchungsausschuss/!5963655 | |
[2] /Rechtsextreme-Straftaten-in-Berlin/!5972862 | |
[3] /Brandstiftungen-in-Neukoelln/!5929079 | |
[4] /Ermittlungen-gegen-Berliner-Polizisten/!5971521 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
Rechtsextremismus | |
Ferat Kocak | |
Neukölln | |
Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
Polizei Berlin | |
Polizei Berlin | |
Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neukölln-Untersuchungsausschuss: Kein Briefing im Fall Bektaş | |
Der Mord an Burak Bektaş vor 12 Jahren ist bis heute unaufgeklärt. Die | |
heute zuständige Hauptkommissarin gibt sich bei ihrer Anhörung zugeknöpft. | |
Tatmotiv Rassismus?: Zu viele offene Fragen | |
Ab April ist der Mord an Burak Bektaş Thema im Neuköllner | |
Untersuchungsausschuss. Auch der damals leitende Ermittler wird dort noch | |
mal befragt. | |
Mangelnde Aufklärung bei Polizei Berlin: Korpsgeist in der Wagenburg | |
Der für 364 unaufgeklärte rechte Straftaten verantwortliche Staatsschützer | |
ermittelte früher im Mordfall Bektaş. Die Polizei macht sich mit | |
Intransparenz unglaubwürdig. | |
Rechtsextreme Straftaten in Berlin: Aufklärung jahrelang verschleppt | |
Noch mehr Fälle als bislang bekannt: Sechs Prozent aller rechten Straftaten | |
blieben im Berliner Landeskriminalamt liegen. | |
Ermittlungen gegen Berliner Polizisten: 300 Straftaten rechts liegen gelassen | |
Jahrelang blieben beim für Rechtsextremismus zuständigen Staatsschutz | |
Straftaten liegen. Das LKA ermittelt gegen einen Kommissariatsleiter und | |
einen Ermittler. | |
Neukölln-Untersuchungsausschuss: Neonazis plastisch beschrieben | |
Obwohl gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft, stellt sich ein Polizist | |
im Neukölln-Untersuchungsausschuss den Fragen. Und überrascht mit manchen | |
Antworten. |