# taz.de -- Recht auf Namensänderungen: Erobern wir den Namen! | |
> In Italien darf der Nachname eines Kindes nun nicht mehr automatisch der | |
> des Vaters sein. Auch in Deutschland gibt es Nachholbedarf beim | |
> Namensrecht. | |
Bild: Er hieße wohl gern anders, aber den Nachnamen kann man sich in Deutschla… | |
Dieser Text könnte ebenso gut mit den Worten „Von Nicole Einhorn“ beginnen, | |
hätte ich vor Jahren heiraten wollen. Habe ich nicht, auch wenn der Name | |
brillant war. Mein Geburtsname wäre damit verschwunden, das hätte ich gut | |
gefunden. Lange Zeit wollte ich einfach nur meinen Nachnamen loswerden, | |
damit meine Familiengeschichte nicht so unangenehm dicht an meinem Namen | |
klebt. Es war für mich der einzig einleuchtende Grund, warum eine Person | |
mit Passprivileg heiraten sollte: um die Verbindung zur Familie ein | |
bisschen unsichtbarer zu machen. | |
Denn den Nachnamen zu ändern ist ohne Heirat schwierig in Deutschland: Er | |
kann geändert werden, wenn „die Änderung durch einen wichtigen Grund | |
gerechtfertigt“ ist. Wenn der Nachname Müller ist, ein ß oder ein ä | |
enthält, die Nachbarin den gleichen Namen trägt oder er witzig ist, kann | |
der Name in Deutschland geändert werden. Sonst entscheidet der Einzelfall. | |
Es kann bis zu 1.022 Euro kosten. Warum nicht stattdessen einfach heiraten? | |
[1][Sibel Schick hat 2018 schon erklärt, warum das guttun kann]: sich einen | |
neuen Namen aussuchen, nachdem man sich schon Vater und Geburtsnamen nicht | |
aussuchen konnte. Oft hallen die Namen der Väter nach. | |
In Italien wurde diese Woche ein absurdes Gesetz abgeschafft: In Italien | |
geborene Kinder erhielten bislang bei der Geburt automatisch den Nachnamen | |
des Vaters. Weil Frauen nach der Hochzeit ihren Nachnamen behalten, führte | |
das bislang dazu, dass Kinder anders heißen als ihre Mütter. [2][Der | |
Verfassungsgerichtshof in Rom urteilte, dass das sowohl gegen die | |
italienische Verfassung als auch gegen die Europäische | |
Menschenrechtskonvention verstößt]. Denn die bestehende Norm sei | |
„diskriminierend und schädlich für die Identität des Kindes“. Das Parlam… | |
muss das Gesetz nun ändern. | |
Die Art, wie Nachnamen weitergegeben werden oder entstehen, ist oft | |
patriarchal geregelt: Wenn in Island ein Kind geboren wird, gibt es nicht | |
wie hier einen „Familiennamen“, der weitergetragen wird, sondern einen | |
Nachnamen, der aus dem Vornamen des Vaters besteht und einem -son, was | |
Sohn, oder -dóttir, was Tochter heißt. Die Kinder von einem Kristian | |
Stefánsson heißen also Kristiansson und Kristiansdóttir mit Nachnamen. | |
In Japan hatten [3][fünf Frauen 2015 vergeblich gegen ein Gesetz aus dem | |
19. Jahrhundert geklagt], das festlegt, dass Frauen nur dann ihren | |
Geburtsnamen behalten dürfen, wenn der Ehemann ihn auch annimmt. | |
## Etwa 6 Prozent der Männer nehmen den Namen der Frau an | |
Bis 1976 war es in Deutschland Pflicht, dass Frauen den Nachnamen des | |
Mannes annahmen. In einem Fachkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch hieß es | |
als Begründung: „Der Frau ist ein Namenswechsel im Zweifel eher zumutbar, | |
da sie als die zumeist Jüngere vor der Heirat weniger lang im Berufsleben | |
stand, nachher zur Versorgung der Kleinkinder oft einige Jahre aus dem | |
Beruf ausscheidet sowie überdies in ihm häufig weniger hohe Positionen | |
einnimmt als im Durchschnitt der Mann.“ | |
Durch das Verbot, den Nachnamen der Frau vor 1976 annehmen zu dürfen, sind | |
viele Nachnamen heute noch die von Vätern und Vätersvätern: Egal für | |
welchen Nachnamen sich Menschen mit deutschen Vorfahren entscheiden, er | |
wird früher oder später auf dem Namen eines Mannes basieren. Und so wird er | |
dann eben auch an die Kinder weitergetragen. In Deutschland gibt es dazu | |
absurde Regelungen: Wenn beispielsweise eine Lydia Saleh bei der Hochzeit | |
den Nachnamen Funk-Saleh wählt und ihr Mann weiterhin Paul Funk heißt, | |
[4][wird das Kind automatisch Funk heißen], weil es der verbindende | |
„Familienname“ ist. Wenn das Kind zwischen 1991 und 1994 geboren wurde, | |
hätte es die Möglichkeit gehabt, Funk-Saleh zu heißen. Heute nicht mehr. | |
Immerhin: Dass Doppelnamen für beide Ehepartner:innen gelten, [5][will | |
die Ampelkoalition einführen]. Egal wie man es dreht und wendet, der | |
italienische Gerichtshof hat schon recht, der Name ist Teil der eigenen | |
Identität. Er steht auf dem Klingelschild, auf jedem Brief, den man erhält, | |
wütende Freund:innen und Familienmitglieder rufen den Namen auch gerne | |
mal im Ganzen aus. Und wer hat sie nicht, die Freund:innen, die man nur mit | |
Nachnamen anspricht? Der Nachname kann genauso Teil der Identität sein wie | |
der Vorname. | |
Das ist vor allem Männern bewusst: In Japan entscheiden sich nur etwa 4 | |
Prozent der Männer, den Namen der Frau anzunehmen, in der Schweiz sind es | |
[6][circa 2 Prozent] und in Deutschland [7][etwa 6 Prozent]. Und überhaupt, | |
von Männern und Frauen mit einem Kind zu schreiben hat einen | |
Kernfamilienbeigeschmack, der sehr viele Lebensrealitäten außer Acht | |
lässt: Was ist mit den queeren Paaren, die beim Heiraten aufgrund von | |
queerfeindlichen Erfahrungen in der eigenen Familie beide Familiennamen | |
ablegen möchten? Was ist mit polyamoren Familien, die sich über einen | |
gemeinsamen Nachnamen freuen würden? Was ist mit Familien, deren Name | |
„eingedeutscht“ wurde – und die zurückwollen zum eigentlichen Namen? | |
## Namen einfach frei erfinden | |
In englischsprachigen Ländern gibt es dafür eine gelungene Lösung: Menschen | |
können ihre Namen selbst festlegen. Mithilfe der deed poll, einer Urkunde, | |
kann das geschehen. Aber auch durch eine vergleichsweise unbürokratische | |
Änderung im Pass, die dann der Nachweis ist. Das gilt in vielen Ländern wie | |
dem Vereinigten Königreich, Nigeria, Pakistan und Australien. Damit könnten | |
auch anderswo Lebensrealitäten erfasst werden, mit denen sich die | |
Gesetzesgebung bislang schwertut: Wenn polyamore Menschen heiraten wollen | |
und nicht können, würde es so immerhin ein Signal nach außen geben: He, wir | |
sind eine Familie, wir heißen alle Markies, und wir gehören zusammen. | |
Menschen, die keine Familie gründen wollen, aber den Familiennamen ablegen | |
möchten, könnten so einen ganz eigenen Namen schaffen. Und Menschen, die | |
aufgrund ihrer Familiengeschichte zurückwollen zu einem Namen, können das | |
damit. Selbst für die Kleinfamilie ist etwas dabei: Können sich | |
Ehepartner:innen nicht entscheiden, wer welchen Namen annimmt, | |
[8][erfinden sie einfach einen neuen]. | |
Dass in Deutschland eine Art deed poll umgesetzt wird, ist | |
unwahrscheinlich. Schade eigentlich. Aber mittlerweile ist mein Name für | |
mich auch okay: Ich habe verstanden, dass meine Familiengeschichte auch | |
ohne Familienname an mir klebt. Mein Name gehört mittlerweile zu mir, nur | |
selten noch muss ich dabei an meine Familie denken – wenn überhaupt, dann | |
in Verbindung mit Menschen, die ich liebe. | |
Als Journalistin ist das nicht schwer: Wenn ich meinen Text in der Zeitung, | |
in einem Magazin oder im Internet lese, denke ich: Ha, das war ich. Mit | |
jedem Text, den ich schreibe, mache ich mir meinen Nachnamen etwas mehr zu | |
eigen. | |
28 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Namensaenderung-beim-Heiraten/!5484866 | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/italien-kinder-heissen-nicht-mehr-… | |
[3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/japanerinnen-verlieren-kampf-gegen-a… | |
[4] https://beta.t-online.de/gesundheit/schwangerschaft/id_87355254/welchen-nac… | |
[5] https://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2022-03/doppelnamen-kinder-ampel-r… | |
[6] https://www.srf.ch/radio-srf-1/radio-srf-1/gleichstellung-und-namen-beim-na… | |
[7] https://gfds.de/familiennamen-bei-der-heirat-und-vornamenprognose-2018/ | |
[8] https://www.youtube.com/watch?v=QbpmgWJQScc | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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