| # taz.de -- Rebellenbastion Idlib im Syrien-Krieg: Warten auf Assads letzte Off… | |
| > Am Freitag beraten Iran, Russland und die Türkei über den Krieg in | |
| > Syrien. Das Assad-Regime will die verbliebenen Rebellen aus Idlib | |
| > vertreiben. | |
| Bild: Eine Mauer zwischen der Türkei und der syrischen Provinz Idlib, aufgenom… | |
| Von einem „perfekten Sturm“ spricht der UN-Syrienbeauftragte Staffan de | |
| Mistura. Der Begriff bezeichnet das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die | |
| eine maximale Katastrophe herbeiführen – eine Katastrophe, die den Menschen | |
| im syrischen Idlib bevorstehen könnte. Über andere Themen wollte de Mistura | |
| nicht sprechen. „Wenn ein perfekter Sturm direkt vor unseren Augen | |
| aufzieht“, dann gebe es nur ein Thema: Idlib. | |
| Die Region im Nordwesten Syriens ist neben den kurdischen Gebieten das | |
| letzte Stück Land in Händen von Rebellen. Seit Wochen verdichten sich die | |
| Hinweise, dass das Assad-Regime Idlib mit russischer Unterstützung in einer | |
| blutigen Luft- und Bodenoffensive zurückerobern wird. | |
| Am Freitag wollen die Präsidenten Russlands, Irans und der Türkei über ihr | |
| Vorgehen in Idlib beraten. Bei dem Gipfel in Teheran könnte der Startschuss | |
| für die erwartete Offensive fallen, [1][der die Türkei allerdings kritisch | |
| gegenübersteht.] Nach dem Treffen werde Klarheit über die militärische Lage | |
| herrschen, sagte der russische Vizeaußenminister Sergei Rjabkow am | |
| Mittwoch. Die drei Mächte hatten sich Ende 2016 im Astana-Format | |
| zusammengeschlossen und schaffen seither Fakten. Die UN-Friedensbemühungen | |
| haben sie weitgehend zum Nebenschauplatz werden lassen. Ebenfalls am | |
| Freitag will sich der UN-Sicherheitsrat mit Idlib befassen. | |
| Für Syrien und seine Schutzmacht Russland wäre der Krieg mit der Eroberung | |
| Idlibs weitgehend beendet. Abgesehen von den kurdischen Gebieten würde | |
| Assad wieder über alle wichtigen Teile des Landes herrschen. Von Frieden | |
| allerdings wäre Syrien noch weit entfernt. Die Pazifizierung wäre eine mit | |
| Bomben erzwungene Friedhofsruhe. Zentrale Forderungen der Opposition sind | |
| unter den Verhandlungstisch gekehrt worden, an dem schon lange keine | |
| Kritiker der Assad-Diktatur mehr Platz nehmen. | |
| ## Völlige Unsicherheit | |
| Zehntausende Menschen sitzen in syrischen Kerkern oder werden vermisst. | |
| „Mindestens 82.000 Menschen sind seit Beginn des Konflikts verschwunden“, | |
| sagt Diana Semaan von Amnesty International. Das Regime hat begonnen, | |
| Totenscheine auszustellen – offenbar in der Hoffnung, auf diese Weise einen | |
| Schlussstrich unter das Thema zu setzen. Etliche Familien haben von den | |
| Behörden erfahren, dass ihre vermissten Angehörigen teils seit Jahren tot | |
| sind. | |
| „Die Gefangenen sind für uns das Thema Nummer eins“, sagt Bissan Fakih von | |
| der Initiative „The Syria Campaign“. „Fast jede Familie ist davon | |
| betroffen, es zerreißt die syrische Gesellschaft.“ Erst wenn dieses Thema | |
| aufgearbeitet werde, könne über eine Normalisierung und den Wiederaufbau | |
| Syriens gesprochen werden. | |
| Normalisierung wollen Damaskus und Moskau auch signalisieren, indem sie auf | |
| die Rückkehr von Flüchtlingen drängen. Neben 6 Millionen Binnenvertriebenen | |
| haben fast genauso viele Syrerinnen und Syrer im Ausland Schutz gesucht. | |
| Tatsächlich konnten Geflüchtete nach Syrien zurückkehren. | |
| Völlige Unsicherheit herrscht jedoch für alle, die politisch aktiv waren | |
| oder Angehörige in der Opposition haben. Bevor über ihre Rückkehr | |
| gesprochen werden kann, müssten Verhandlungen über eine Amnestie geführt | |
| werden. Wer würde freiwillig zurückkehren, wenn er an der Grenze | |
| festgenommen würde? Eine Amnestie allerdings würde ein Mindestmaß an | |
| Rechtsstaatlichkeit in Syrien voraussetzen. | |
| ## Ein Hoffnungsanker | |
| Schließlich stellt sich die Frage nach dem Wiederaufbau. Kann er ohne ein | |
| Mindestmaß an politischem Wandel stattfinden? Assad und Putin wollen, dass | |
| sich die EU an den Kosten für die Instandsetzung der zerstörten | |
| Infrastruktur beteiligt. Dazu zeigen europäische Regierungen bislang aber | |
| wenig Bereitschaft: „Erst einmal ein politischer Friedensschluss“, hieß es | |
| aus Berlin. Welche Forderung könnten europäische Geberländer | |
| realistischerweise stellen? | |
| „Der Wiederaufbau“, sagt Fadwa Mahmoud von der Organisation „Families for | |
| Freedom“, darf nicht auf den Leichen unserer Angehörigen stattfinden.“ Sie | |
| will jeden Euro an politische Konditionen geknüpft sehen. Um zentrale | |
| Forderungen durchzusetzen, müssten diese allerdings zunächst in einer | |
| gemeinsamen Strategie formuliert werden. Nur dann könnten Regierungen von | |
| Berlin bis Washington Druck auf Russland ausüben. | |
| Bleibt die Frage: Werden all jene Syrer, die Kriegsverbrechen begangen | |
| haben, zur Rechenschaft gezogen? Die Fakten sprechen deutlich dagegen. Doch | |
| es gibt einen Hoffnungsanker: die Strafverfolgung von Verantwortlichen | |
| außerhalb Syriens. Hier kommt Deutschland eine zentrale Rolle zu. Aufgrund | |
| des Weltrechtsprinzips können nicht nur internationale Gerichte, sondern | |
| auch deutsche Staatsanwälte aktiv werden. | |
| Es war eine Sensation, als Generalbundesanwalt Peter Frank im Juni | |
| [2][einen internationalen Haftbefehl gegen Dschamil Hassan erwirkte.] Der | |
| Chef des Luftwaffengeheimdienstes hat Hunderte von Häftlingen foltern und | |
| töten lassen. Der Haftbefehl wurde an die 192 Mitgliedstaaten von Interpol | |
| geschickt. Sollte Hassan etwa eine EU-Grenze oder auch nur die Grenze zum | |
| benachbarten Libanon überschreiten, müssten die Behörden ihn sofort | |
| verhaften. Für die vielen Opfer des seit sieben Jahren währenden Kriegs | |
| wäre eine konsequente Strafverfolgung der syrischen Führungsriege zumindest | |
| ein kleiner Trost. | |
| * * * | |
| Milizen in Idlib: Vereint gegen syrische Armee | |
| Seit Jahren hat die Regierung Rebellen und ihre Familien nach Idlib | |
| „evakuiert“. Dort sammeln sich verschiedenste Gruppen. Einige stehen der | |
| Türkei und der Freien Syrischen Armee nahe. Sollten sich diese Milizen | |
| verbünden, hätten sie – eigenen Angaben zufolge – 100.000 Kämpfer. | |
| Gleichzeitig werden weite Teile der Region von der dschihadistischen Hai’at | |
| Tahriral-Scham (HTS) kontrolliert. Die UN schätzen die Zahl ihrer Kämpfer | |
| auf 10.000. Sie dürften sich den Regierungstruppen entschieden | |
| entgegenstellen. Ein zweites Idlib, in das sie sich zurückziehen könnten, | |
| gibt es nicht. | |
| Türkei: Angst vor noch mehr syrischen Flüchtlingen | |
| Ankara lehnt eine Großoffensive auf Idlib ab.Dies würde zu einem Massaker | |
| führen, zitierte die Zeitung Hürriyet den türkischen Präsidenten am | |
| Mittwoch. Erdoğan hofft, dass der Syriengipfel am Freitag Ergebnisse | |
| bringt. Ankara befürchtet eine Flüchtlingsbewegung, denn Idlib grenzt an | |
| die Türkei und die türkisch besetzte Zone in Nordsyrien. Ankara unterstützt | |
| Rebellen in Idlib und versucht, verschiedene Milizen unter einem Kommando | |
| zu vereinen. Die Dschihadistenmiliz Hai’at Tahrir al-Scham (HTS) hat Ankara | |
| am Freitag dagegen zu einer Terrororganisation erklärt. Das Signal: Mit | |
| einer begrenzten Offensive gegen HTS ist Ankaraeinverstanden. | |
| Zivilisten in Idlib:Wohin fliehen? | |
| Knapp 3 Millionen Menschen leben in Idlib und den Rändern der Regionen | |
| Aleppo, Hama und Latakia. Rund die Hälfte sind Binnenvertriebene. Viele | |
| flohen aus Gegenden wie Ost-Ghouta und Aleppo, die das Regime zurückerobert | |
| hat. Hunderttausende Menschen leben in überfüllten Flüchtlingslagern. „Die | |
| Panik in Idlib hat begonnen“, berichtet Bissan Fakih von der Initiative | |
| „The Syrian Campaign“. „Die Menschen ziehen um, machen sich Gedanken,wohin | |
| sie fliehen können.“ Die drohende Offensive beeinträchtige zudem die Arbeit | |
| von Hilfsorganisationen. | |
| Assad-Regime:Erste Luftangriffe auf Idlib | |
| Damaskus will ganz Syrien wieder unter Kontrolle bringen. „Jetzt ist Idlib | |
| unser Ziel“, kündigte Baschar al-Assad an. Helikopter warfenFlugblätter | |
| über Idlib ab, um den Widerstand zu brechen. Von Süden her fliegen die | |
| syrische und russische Luftwaffe bereits Angriffe auf Idlib. Am Dienstag | |
| meldeten Aktivisten mehr als 30 Angriffe im Süden und Südwesten der Region, | |
| unter anderem in dem von HTS kontrollierten Dschisr al-Schughur und dem von | |
| an-deren Rebellen kontrollierten Ariha. | |
| USA und Europa: Warnung an Syrien und Russland | |
| Die USA warnen vor einer humanitären Katastrophe und haben | |
| Vergeltungsschläge gegen das syrische Militär angekündigt, sollten erneut | |
| Chemiewaffen zum Einsatz kommen. „Assad darf Idlib nicht rücksichtslos | |
| angreifen“, schrieb US-Präsident Trump auf Twitter. Die Europäer äußerten | |
| sich gemäß ihrer Beobachterrolle, auf die sie im Syrienkonflikt reduziert | |
| worden sind, vor allem besorgt um die Zivilisten. Bundeskanzlerin Merkel | |
| rief Russland auf, mäßigend auf das syrische Regime einzuwirken. „Wir | |
| erwarten von Russland, das syrische Regime von einer Katastrophe | |
| abzuhalten“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer | |
| am Mittwoch in Berlin.Humanitäre Hilfsorganisationen müssten ungehinderten | |
| Zugang in die Region haben. | |
| Russland: Schnell Krieg beenden | |
| Ende September ist es drei Jahre her, dass Russland die ersten Kampfjets in | |
| den syrischen Himmel schickte. Moskau hat ein Interesse daran, den Krieg zu | |
| beenden. Er ist kostspielig und nicht beliebt im eigenen Land. In der | |
| Idlib-Frage ist Moskau zwischen der Türkei und dem Assad-Regime hin und her | |
| gerissen. Vieles weist jedoch darauf hin, dass Moskau eine Großoffensive | |
| billigen und wohl auch unterstützen würde. Außenminister Lawrow bezeichnete | |
| Idlib als „Eiterbeule“, die beseitigt werden müsse. Im Mittelmeer hat | |
| Russland demonstrativ seine Seestreitkräfte zusammengezogen. | |
| 6 Sep 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Erwartete-Schlacht-um-syrische-Provinz/!5532752 | |
| [2] https://www.dw.com/de/deutsche-justiz-jagt-syrischen-geheimdienstchef-jamil… | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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