| # taz.de -- Krieg in Syrien: Keine Ruhe, kein Frieden | |
| > Am Samstag treffen sich Putin und Merkel. Der russische Präsident will | |
| > die Kanzlerin überzeugen, dass der Krieg in Syrien vorbei ist. Ist er | |
| > das? | |
| Bild: Muss Idlib eine Offensive der Assad-Truppen fürchten? Blick auf den Uhre… | |
| „Der Krieg ist vorbei“, [1][titelte das US-Magazin] Foreign Policy | |
| kürzlich, „und Amerika hat verloren.“ Nicht nur Amerika, möchte man rufen, | |
| auch all jene Syrer, die sich ein anderes Syrien erhofft hatten, die auf | |
| die Straße gingen und später zu den Waffen griffen, um sich vom Joch der | |
| Assad-Diktatur zu befreien. | |
| Doch vielmehr noch lässt die Feststellung stutzen, der Krieg sei vorbei. | |
| Sind wir nach sieben Jahren Krieg und einer halben Million Toten jetzt am | |
| Ende der Tragödie angelangt? Ist das neue Syrien das alte Syrien, nur | |
| ethnisch, religiös und politisch homogener als zuvor? Steht jetzt der | |
| Wiederaufbau auf der Tagesordnung? | |
| Davon wird der russische Präsident Wladimir Putin Kanzlerin Angela Merkel | |
| zu überzeugen versuchen, [2][wenn er sie am Samstagabend auf Schloss | |
| Meseberg trifft]. Von Europa erhoffen sich die syrische Regierung und ihre | |
| Schutzmacht Russland vor allem noch eines: Geld. Der Krieg – so die | |
| Erzählung von Damaskus und Moskau – sei vorbei, jetzt sei die Zeit für den | |
| Wiederaufbau und die Rückkehr der Flüchtlinge. Werden die Europäer bereit | |
| sein zu zahlen, um die Rechten in ihren eigenen Ländern in Schach zu | |
| halten? Oder werden sie dabei bleiben, dass der Massenmörder Assad, der | |
| sich noch immer Präsident nennt, nicht einfach weitermachen kann? | |
| Mit tatkräftiger Hilfe Russlands und Irans haben Assads Truppen in den | |
| vergangenen Wochen [3][die Kontrolle über weite Teile Syriens] | |
| zurückgewonnen. Ausgerechnet in Daraa, wo im Frühjahr 2011 die ersten | |
| Kundgebungen begannen, hissten sie ihre Flagge, die alte schwarz-rot-weiße | |
| Nationalflagge. Jetzt kontrolliert das Regime, von wenigen Flecken | |
| abgesehen, wieder ganz Zentral- und Südsyrien. | |
| ## Kommt jetzt die „Mutter aller Schlachten“? | |
| Im Norden allerdings ist Assad von einem militärischen Sieg fast so weit | |
| entfernt wie von einer politischen Lösung. Und beides dürfte schwierig | |
| werden, schwieriger als im Süden, wo die Nachbarländer Assad und seine | |
| Verbündeten weitgehend machen ließen. Im Nordwesten kontrollieren Rebellen | |
| mit Idlib die letzte ihnen bleibende Provinz des Landes. Gleich angrenzend, | |
| im Norden der Provinz Aleppo, haben sich türkische Truppen festgesetzt. Und | |
| schließlich kontrollieren kurdische Kräfte die Gebiete östlich des | |
| Euphrats. | |
| „Der Zeitpunkt unseres Sieges ist nah“, schrieb Assad am Mittwoch in einem | |
| Brief anlässlich eines Militärjubiläums. Zuvor hatte er angekündigt, dass | |
| Idlib sein nächstes Ziel sein werde. Staatsmedien sprachen schon von der | |
| „Mutter aller Schlachten“. | |
| Eine Großoffensive auf die Provinz könnte katastrophale Folgen haben. Zwar | |
| ist Idlib ländlich geprägt, aber es leben in der Provinzen nach | |
| UN-Schätzungen immerhin 2,9 Millionen Menschen. Hunderttausende würden die | |
| Flucht ergreifen, darunter viele Binnenvertriebene, die in Idlib Zuflucht | |
| gesucht haben oder dorthin geschafft wurden. Seit Jahren karren die grünen | |
| Busse des Regimes Oppositionelle und ihre Familien dort hin. Evakuierung | |
| nennt die Regierung die Zwangsumsiedlung. | |
| Auch Tausende Kämpfer verschiedener Anti-Assad-Milizen harren in Idlib aus, | |
| darunter viele radikale Islamisten. Die Dschihadisten von Hai’at Tahrir | |
| al-Scham herrschen über weite Teile der Provinz. Sie dürften wild | |
| entschlossen sein, sich Assad in den Weg zu stellen. | |
| Sollte das Regime die Lage eskalieren, warnt UNICEF, wären auch | |
| Hunderttausende Kinder in Idlib gefährdet. „Viele der Kinder wurden | |
| gezwungen zu fliehen, einige bis zu sieben Mal“, schrieb das UN-Hilfswerk | |
| [4][in einem Statement]. „Die meisten leben nun in überfüllten Lagern und | |
| Unterkünften in ländlichen Gebieten.“ Bis zu 350.000 Kinder könnten das | |
| Dach über dem Kopf verlieren. Insgesamt sollen rund eine Million Kinder in | |
| Idlib leben. | |
| ## Wird Ankara eine Idlib-Offensive billigen? | |
| Doch wäre eine Großoffensive auf Idlib nicht nur eine humanitäre | |
| Katastrophe, sondern auch ein politischer Drahtseilakt. Nördlich von Idlib | |
| hält die Türkei einen mehr als 100 Kilometer breiten Streifen besetzt. In | |
| Idlib selbst soll sie nach Absprachen mit Iran und Russland für Ruhe sorgen | |
| und hat zu diesem Zweck zwölf Beobachtungsposten mitsamt Soldaten und | |
| Panzern errichtet. Schnell könnte aus einem Angriff auf Idlib ein | |
| kriegerischer Akt gegen die Türkei werden. | |
| Assad müsste also fein säuberlich um die türkischen Truppen herumbomben | |
| oder aber einen Deal mit den Türken finden, dass sie sich aus Idlib | |
| zurückziehen. Und Russland hat einer Großoffensive kein grünes Licht | |
| gegeben. Moskau würde seine Beziehungen zur Türkei aufs Spiel setzen, | |
| sollte es eine Großoffensive billigen oder womöglich sogar aus der Luft | |
| unterstützen. | |
| „Jedwede Großoffensive gegen Idlib ist aus russischer Sicht vom Tisch“, | |
| schreibt Alexey Khlebnikov in einer [5][Analyse] für das Beiruter Carnegie | |
| Middle East Center, „andernfalls würde sich eine weitere Flüchtlingswelle | |
| in Richtung der türkischen Grenze in Bewegung setzen.“ Denn wohin sollten | |
| die Menschen fliehen, wenn nicht nach Norden? Zuerst in die türkische | |
| Besatzungszone, dann in die Türkei selbst, dann in die EU. | |
| ## Kontrolle heißt Macht | |
| Das will die Türkei vermeiden. Für sie bedeutet die Präsenz in Nordsyrien | |
| vor allem Verhandlungsmasse. Wie auch immer der Krieg ausgeht, Präsident | |
| Erdoğan wird in künftigen Verhandlungen ein mächtiges Wort mitzureden | |
| haben. Angela Merkel hat sich am Freitag bereits offen für den Vorschlag | |
| Erdoğans ausgesprochen, ein Treffen mit den Präsidenten Frankreichs, | |
| Russlands und der Türkei zum weiteren Vorgehen in Syrien zu vereinbaren. | |
| Selbst eine langfristige Präsenz oder gar Annexion des türkisch besetzten | |
| Teils ist nicht undenkbar. Vieles deutet darauf hin, dass Ankara bereit | |
| ist, das Annexionsszenario zumindest als Druckmittel einzusetzen. | |
| Vor den Behörden in der Zone weht die türkische Flagge; die Regierung in | |
| Ankara lässt Straßen reparieren, und die türkische Post hat Filialen in | |
| Nordsyrien eröffnet. Ab Herbst sollen Schulkinder auch Türkisch lernen. | |
| Unlängst schwärmte ein Bezirksbürgermeister der Stadt Aazaz von den Türken. | |
| „Für Sicherheit in Aazaz ist gesorgt“, [6][sagte er] dem Syrien-Blogger | |
| Aymenn Jawad al-Tamimi, „an den Kreisverkehren sind Tag und Nacht | |
| Patrouillen unterwegs, die Schulen werden renoviert.“ | |
| Was die Menschen in der Region von diesem Szenario halten und ob das | |
| Nato-Land Türkei eine Annexion nach dem Vorbild der russischen | |
| Krim-Annexion international durchsetzen könnte, ist allerdings ungewiss. | |
| ## Kurden verhandeln mit Assad | |
| Druckmittel braucht die Türkei vor allem in Hinblick auf die Kurden, deren | |
| Status im künftigen Syrien offen ist. Seit Wochen verhandeln die | |
| kurdisch-dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), die mit | |
| US-Unterstützung den IS vertrieben hatten, mit der Regierung in Damaskus. | |
| Die Kurden könnten sich bereit zeigen, nicht-kurdische Städte wie Rakka an | |
| das Assad-Regime zurückzugeben – im Tausch gegen weitreichende | |
| Autonomierechte für die selbstverwalteten Gebiete in Nordsyrien. | |
| Es werde über „Selbstverwaltung“ gesprochen, [7][sagte İlham Ahmed], | |
| Ko-Vorsitzende des einflussreichen Syrisch-Demokratischen Rats, des | |
| politischen Arms der SDF, dem russischen Propagandasender Russia Today. Die | |
| Frage sei, „inwiefern diese Verwaltung Teil eines Regierungssystems in | |
| Syrien sein kann“. Selbst die Möglichkeit, die kurdisch dominierten | |
| SDF-Truppen zu einem späteren Zeitpunkt in die syrische Armee zu | |
| integrieren, schloss Ahmed nicht aus. | |
| Ein mächtiger Quasi-Staat der Kurden an der Grenze zur Türkei aber wäre der | |
| Alptraum Ankaras. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wird die | |
| türkische Regierung Damaskus drängen, diese nicht zu mächtig werden zu | |
| lassen. Wenn Assad die Kurden in Schach hält, so könnte der Deal aussehen, | |
| würde Ankara im Gegenzug das Land räumen. | |
| Was Syrien noch bevorsteht, darauf gab es am vergangenen Wochenende einen | |
| Vorgeschmack. Nach UN-Angaben wurden mindestens 134 Menschen getötet, als | |
| sich Aufständische im Nordwesten heftige Kämpfe mit Assads Truppen | |
| lieferten. Momentan sieht also alles danach aus, als würden Assad und seine | |
| Verbündeten zunächst versuchen, die Ränder Idlibs zurückzuerobern, ohne die | |
| Türkei mit einer Großoffensive zu verärgern. | |
| 18 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://foreignpolicy.com/2018/07/23/the-syrian-war-is-over-and-america-los… | |
| [2] /Treffen-in-Meseberg/!5528893 | |
| [3] /Krieg-in-Syrien/!5522071 | |
| [4] https://www.unicef.org/press-releases/unicef-fears-escalation-violence-idli… | |
| [5] http://carnegie-mec.org/diwan/76990 | |
| [6] http://www.aymennjawad.org/2018/08/interview-with-a-mukhtar-of-azaz | |
| [7] https://www.youtube.com/watch?v=kLlFP5Vrt2k&t= | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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