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# taz.de -- Radunfall in Berlin: Tot trotz Abbiege-Assistent
> Der BVG-Bus, unter dem am Sonntag eine Radfahrerin starb, hatte einen
> Abbiegeassistenten. Der ADFC fordert Systeme, die einen Nothalt
> herbeiführen.
Bild: Das verbogene Fahrrad der Toten an der Unfallstelle in Johannisthal
Berlin taz | „Jeden verdammten Tag stirbt einer von uns …“ Die
Fahrrad-Community in den sozialen Medien ist nach dem Unfalltod einer
Radfahrerin in Johannisthal erschüttert. Es wird darüber spekuliert, was
genau sich am Sonntagmittag an der Ecke Groß-Berliner Damm und
Pilotenstraße zugetragen hat und wer die Hauptschuld an dem tragischen
Vorgang trägt. Einig sind sich alle aber darüber, dass in Berlin die
Sicherheit Radfahrender bis auf Weiteres nicht gewährleistet ist. Für den
Montagnachmittag haben der ADFC und Changing Cities e. V. zu einer
Mahnwache am Unfallort aufgerufen.
Die Polizei will sich vor Abschluss der Ermittlungen nicht über Details des
Unfallhergangs äußern. In einer dürren Pressemitteilung hatte sie am
Sonntag festgehalten, der Fahrer eines BVG-Busses der Linie 265 habe die
Radfahrerin beim Rechtsabbiegen in die Pilotenstraße „offenbar übersehen“.
Die 35-Jährige Rennradfahrerin fuhr auf dem Radweg des Groß-Berliner Damms
geradeaus in Richtung Segelfliegerdamm, eine Ampel gibt es an der
Straßenkreuzung nicht. „Die Frau geriet mit ihrem Fahrrad unter das
Fahrzeug und wurde überrollt“, heißt es seitens der Polizei, „sie starb
noch an der Unfallstelle.“ Der Busfahrer sei mit einem Schock ins
Krankenhaus gebracht worden.
Tatsache ist: Der moderne Citaro-Bus der BVG, mit 12 Metern Länge eines der
kürzeren Modelle, ist ab Werk mit dem Abbiegeassistenz-System „Sideguard
Assist“ ausgestattet, das laut Hersteller Mercedes „den Fahrer dabei
unterstützt, kritische Situationen beim Abbiegen rechtzeitig zu erkennen“,
und so „die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer gerade in Städten
erheblich erhöht“. Beim Modell eCitaro werden laut Beschreibung FahrerInnen
zuerst mit einer gelben LED über bewegliche Objekte in der seitlichen
Überwachungszone „informiert“. Sollte sich der Bus auf Kollisionskurs
befinden, blinke eine rote LED-Leuchte „mit hoher Leuchtkraft und danach
permanent“. Hinzu komme eine „Vibrationswarnung am Fahrersitz“. Beim dies…
betriebenen Citaro schaltet sich zumindest eine Kamera ein.
Ob der Fahrer den Abbiege-Assistenten ignoriert hat, das System
möglicherweise nicht funktionierte oder andere Gründe für die fatale
Fehlentscheidung verantwortlich waren, wird so schnell nicht feststehen.
Einige der Diskutierenden auf Twitter und Facebook äußern allerdings jetzt
schon scharfe Kritik an Busfahrenden – die nähmen wenig Rücksicht, würden
gegenüber Menschen auf dem Rad unverschämt, telefonierten gar beim Fahren.
„Bei der BVG wundert mich gar nichts mehr“, schreibt ein
Diskussionsteilnehmer. Belegt werden diese Vorwürfe nicht.
## Wenige Unfälle mit ÖPNV-Bussen
Nikolas Linck, Sprecher des ADFC-Landesverbands, sagte gegenüber der taz,
es gebe gemessen an den zurückgelegten Kilometern und dem Stress der
FahrerInnen ausgesprochen wenige Unfälle mit ÖPNV-Bussen. „Dafür gebührt
der BVG grundsätzlich großes Lob.“ Die Position des Fahrradclubs sei jedoch
schon länger, dass Lkws und Busse mit einem Abbiegeassistenten ausgestattet
werden müssten, der noch vor einer Kollision – oder schlimmstenfalls direkt
danach – einen Nothalt einleitet.
Darüber hinaus gebe es auch an der Unfallstelle einiges zu verbessern, so
Linck: Der Hochbord-Radweg auf dem Groß-Berliner Damm, der schlecht
einsehbar hinter Bäumen verlaufe, werde zwar vor der Kreuzung noch an die
Straße verschwenkt – dieser Abschnitt sei aber zu kurz, um Radfahrende
rechtzeitig ins Sichtfeld Abbiegender zu rücken.
Auch hier äußern viele in den Sozialen Medien ihre Empörung – am Unfallort
habe man sich „nie wirklich um eine ausreichende Sicherung des Radverkehrs
gekümmert“. Das Mobilitätsgesetz, das Sicherheit im Radverkehr
gewährleisten soll, werde „ignoriert“, selbst „dringlichste Umsetzungen�…
würden verzögert. „Das konnte sich selbst in den wildesten Träumen niemand
ausdenken“, schreibt ein Nutzer.
Sophie Lattke vom Verein Changing Cities sagte, es mache „fassungslos und
wütend, was in Berlin geschieht“. Ihre Organisation fordere „Sicherheit auf
den Straßen für die 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, die nicht
mit dem Auto unterwegs sind. Jetzt!“ Und Changing-Cities-Sprecherin
Ragnhild Sørensen findet: „Die Untätigkeit der Unfallkommission ist
unerträglich.“
Am Montag um 17.30 Uhr wird der ADFC am Unfallort ein weißes „Geisterrad“
zur Mahnung aufstellen. Im Anschluss an die Mahnwache findet eine
Fahrraddemo zum Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in
der Invalidenstraße statt. Die tote Radfahrerin war neben einem
Motorradfahrer, einem Fußgänger und einer anderen Radfahrerin schon die
vierte Person, die bei einem Verkehrsunfall seit Jahresbeginn ums Leben
gekommen ist.
Update, 21. Januar: Das Sicherheitssystem des dieselbetriebenen
Citaro-Busses der BVG beinhaltet nicht, wie zuerst im Text beschrieben,
optische Warnhinweise oder einen Vibrationsalarm – diese Features sind nur
beim elektrischen eCitaro serienmäßig. Stattdessen wird bei Betätigen des
Blinkers durch den Busfahrenden eine Kamera aktiviert, die den Bereich
neben dem Fahrzeug filmt.
Laut Sprecherin Petra Nelken schätzt die BVG optische oder akustische
Warnsignale als wenig praktikabel ein, weil sie bei Abbiegevorgängen im
dichten Berliner Straßenverkehr praktisch ständig anschlagen würden. Ob ein
Radfahrer oder eine Fußgängerin sich auf Kollisisionkurs befinde oder
lediglich an der Ecke stehe und auf „Grün“ warte, könne ein solcher
Abbiegeassistent nicht einschätzen. Gegen die von AKtivistInnen und
Verbänden geforderten Nothaltsysteme gibt es noch größere Vorbehalte:
Notbremsungen seien für stehende Fahrgäste ein enormes Unfallrisiko, so
Nelken.
Der im Netz als „Polizeibeobachter“ auftretende Verkehrsaktivist Andreas
Schwiede bemängelt hingegen die Kameralösung als unzureichend: Die Person,
die einen Bus steuere, müsse in alle Richtungen schauen und könne nicht
ununterbrochen einen Monitor im Blick behalten.
20 Jan 2020
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Radverkehr
Mobilitätsgesetz
Verkehrsunfälle
ÖPNV
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
BVG
Mobilitätsgesetz
Schwerpunkt Radfahren in Berlin
Abbiegeassistent
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