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# taz.de -- Pygmäen im Kongo: Wer schützt Kongos „erste Bürger“?
> Die Nachkommen der ursprünglichen Bewohner der Regenwälder werden im
> Kongo massiv diskriminiert. Jetzt soll ein Gesetz ihre Rechte
> garantieren.
Bild: Abendstimmung im Pygmäen-Dorf Ikoko-I-Mpenge im kongolesischen Regenwald
Brüssel taz | Kaum eine Minderheit in der Demokratischen Republik Kongo
gilt als so schutzlos wie die der „Pygmäen“, die sogenannten Ureinwohner
der zentralafrikanischen Regenwälder. Zuletzt bewies dies ein [1][Massaker]
an 46 von ihnen in der Gemeinde Abembi in der nordostkongolesischen Provinz
Ituri am 13. Januar – ein Verbrechen, das der Leiter des
zivilgesellschaftlichen Dachverbandes von Ituri als „Akt des Völkermordes“
bezeichnet hat.
Verbände der autochthonen Völker des Kongo verlangen bislang vergeblich die
Entlassung der in der Region stationierten Militärverantwortlichen. Patrick
Saidi Hemedi, Koordinator des NGO-Dachverbandes DGPA (Dynamik der Gruppen
der autochthonen Völker), mutmaßt, dass andere Volksgruppen sich das von
„Pygmäen“ genutzte Land mit Gewalt aneignen wollen.
600.000 bis 700.000 Menschen – weniger als 1 Prozent der Bevölkerung –
gehören laut Weltbank zu Kongos „ersten Bürgern“, wie Exdiktator Mobutu
Sese Seko die „Pygmäen“ bezeichnete. Aber nur rund 40.000 pflegen immer
noch das traditionelle Leben der Jäger und Sammler in den Urwäldern. Die
anderen leben in Dörfern und Städten, meist [2][ganz unten in der
Gesellschaft].
Die koloniale Bezeichnung „Pygmäen“ lehnen die meisten ihrer Vertreter als
diskriminierend ab und bevorzugen „autochthone Völker“ – was wiederum
andere Kongolesen befremdet, da es suggeriert, dass die anderen Fremde
seien. „Batwa“ heißen sie in den meisten Landesteilen, „Bambuti“ in It…
„Baka“ in Bandundu oder auch „Cwa“ in Kasai.
## Kein Recht auf Grundbesitz
Früher wurden „Pygmäen“ von anderen Volksgruppen als minderwertig
angesehen, und bis heute werden sie im Kongo rechtlich diskriminiert.
Anders als anderen Bevölkerungsgruppen wird ihnen kein traditionelles
Eigentumsrecht an dem von ihnen bebauten Land zugestanden, und auch ihre
eigenen traditionellen Autoritäten werden nicht anerkannt.
Laut Cyprien Mushonga, Anwalt in Bukavu in der ostkongolesischen Provinz
Süd-Kivu, gelten von „Pygmäen“ bestellte Felder als herrenlos. So konnte …
Jahr 2006 in Süd-Kivu das Naturreservat Itombwe ohne Konsultation der auf
dem Gebiet lebenden Batwa entstehen – sie wurden ausgewiesen, wie bereits
in den 1980er Jahren bei der Schaffung des benachbarten Parks Kahuzi-Biéga.
Dort wurden 6.000 Waldbewohner in Lager außerhalb der Wälder gezwungen –
sie leben bis heute im Elend am Straßenrand, so die Waldschutzorganisation
Rainforest Foundation.
Bis heute werden Batwa, die in Kahuzi-Biéga Holzkohle sammeln oder jagen,
[3][von Parkwächtern verfolgt] und teils vor Gericht gestellt. Die
Organisation Survival International wirft den vom Ausland finanzierten
Parkwächtern in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und der
Demokratischen Republik Kongo „grünen Kolonialismus“ und „systematische�…
Menschenrechtsverletzungen vor.
## Hoffnung über neues Gesetz
Ende 2020 verabschiedete Kongos Parlament nach langen Beratungen ein
umfassendes [4][„Gesetz zur Förderung und zum Schutz der autochthonen
Pygmäenvölker“], das deren Angehörigen das Landeigentumsrecht zuerkennt. Es
erkennt ihre Kultur und „die „unbeschränkte Nutzung des Bodens“ an und
garantiert ihnen kostenlosen Zugang zu Bildungs- und Gesundheitswesen sowie
zur Justiz auf Staatskosten. Vorbild ist ein gleichnamiges Gesetz im
benachbarten Kongo-Brazzaville aus dem Jahr 2011.
Patrick Saidi hofft, dass nun endlich auch die traditionellen heiligen
Stätten der Pygmäenvölker respektiert werden und die Diskriminierung im
Alltag endet.
„Pygmäenkinder können nicht in dieselben Schulen gehen wie die anderen,
Pygmäenfrauen dürfen nicht in dieselben Geburtsstationen“, sagt der
Abgeordnete Ruben Rachidi Bukanga, der das Schutzgesetz ins Parlament
einbrachte. Wenn sie doch in die Schule gehen, werden sie oft von anderen
Kindern malträtiert. Nur ein Fünftel der „Pygmäenkinder“ geht zur Schule,
80 Prozent der erwachsenen Männer und an die 100 Prozent der erwachsenen
Frauen der „Pygmäenvölker“ können nicht lesen und schreiben.
Rund ein Viertel aller „Pygmäenkinder“ stirbt vor dem 5. Geburtstag; von
Impfprogrammen sind sie meistens ausgeschlossen. Als Erwachsene werden sie
meist als Hilfsarbeiter ausgebeutet und wenig oder gar nicht bezahlt, so
eine Untersuchung der Weltbank. Wenn sie den Zugang zu ihren angestammten
Jagd- und Fischgebieten aus Naturschutzgründen verlieren, enden sie oft als
Bettler oder Wilderer.
## In Kriegen instrumentalisiert
In den bewaffneten Konflikten des Kongo seit der Unabhängigkeit wurden
„Pygmäen“ oft von Armeen und bewaffneten Gruppen missbraucht, berichtet
Kapupu Diwa, Präsident der Nationalen Liga der Verbände autochthoner
Pygmäen – als Ortskundige im Wald, als Fährtenleser, Lastenträger und
Jäger. Milizen schickten sie auch gern als Späher los, weil den Waldvölkern
oft zugeschrieben wird, sich unsichtbar oder unverwundbar machen zu können.
Dass Diktator Mobutu „Pygmäen“ in die Armee aufnahm und auch einen ins
Zentralkomitee seiner Einheitspartei MPR, geriet ihnen nicht zum Vorteil,
erinnert sich der Journalist Roger Mazanta Kindulu – ihre Gemeinschaften
wurden oft Opfer kollektiver Übergriffe, und wenn sie nicht kämpfen
wollten, wurden sie vertrieben.
2003 gab es in Ituri Vorwürfe von massivem [5][Kannibalismus an
Bambuti-Pygmäen] sowie von Vergewaltigungen: Geschlechtsverkehr mit einer
„Pygmäenfrau“ galt bei Kämpfern anderer Ethnien als Heilmittel gegen Aids
oder Rückenschmerzen.
Seit 2018 häufen sich Zusammenstöße zwischen vertriebenen „Pygmäen“ und
Wildhütern i[6][m Kahuzi-Biéga-Park], die regelmäßig deren Holzkohlesäcke
beschlagnahmen; Anfang Dezember gab es dabei vier Tote, darunter ein
Soldat.
Weiter südlich in der Provinz Tanganyika herrscht seit 2013 [7][Krieg
zwischen Milizen der Twa und der Luba], mit zeitweise über einer halben
Million Vertriebenen. Die Provinzregierung warf zuletzt einer Twa-Miliz
vor, sich des Goldes aus informellen Minen bemächtigen zu wollen. Und Mitte
Januar tötete eine Twa-Miliz in Kasai fünf Polizisten und verlangte eine
eigene Distriktverwaltung.
Jeder solche Vorfall ist ein Grund mehr für den kongolesischen Staat, sich
um seine „ersten Bürger“ zu kümmern. Zahlreiche Pygmäenvertreter strömt…
jubelnd zum Parlament in der Hauptstadt Kinshasa, als im Dezember das neue
Gesetz mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, und hoffen nun auf
Gleichberechtigung und volle Anerkennung.
Doch weiß auch jeder, dass die Verabschiedung eines Gesetzes im Kongo noch
lange nicht bedeutet, dass es auch angewendet wird. Und es muss auch erst
noch vom Präsidenten in Kraft gesetzt werden.
27 Jan 2021
## LINKS
[1] /Massaker-an-Pygmaeen-im-Kongo/!5744641
[2] /!1583913/
[3] /Naturschutz-contra-Menschenrechte/!5666561
[4] http://peuplesautochtones.cd/events/loi-portant-principes-fondamentaux-rela…
[5] /!823825/
[6] /Militaerischer-Naturschutz-in-Kongo/!5727376
[7] /Krieg-im-Kongo/!5441270
## AUTOREN
François Misser
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