# taz.de -- Punktreffen auf Sylt: Gekommen, um zu bleiben | |
> Zum dritten Mal campieren Punks aus ganz Deutschland auf Sylt – für die | |
> einen ein Ärgernis, für andere eine Sehenswürdigkeit der Insel. | |
Bild: Irgendwo zwischen Demo und Urlaub: Punks denken über dauerhafte Sylt-Cam… | |
Sylt taz | Die sechsköpfige Gruppe fällt auf in der Fußgängerzone von | |
Westerland: schwarze Kleidung, zerrissene Hosen, Shirts mit Aufdrucken. Die | |
Sechs schlendern vorbei an Lokalen, in denen Urlauber:innen vor | |
Eisbechern oder Biergläsern sitzen, an Läden mit bunter Kleidung und lassen | |
sich schließlich vor der Auslage eines Juweliers nieder. „Guck, Punks“, | |
sagt ein Vater zu seinem Sohn. Es klingt wie „guck, Möwen“. Als sei der | |
Vater froh, einen Tagesordnungspunkt des Reise-Erwartungs-Katalogs | |
abgearbeitet zu haben. | |
[1][Im dritten Jahr] in Folge campieren Punks aus ganz Deutschlands auf | |
Sylt. 2022, im Sommer des Neun-Euro-Tickets, kamen sie spontan als Reaktion | |
auf die Befürchtungen, unerwünschte Gäste könnten die Insel überschwemmen. | |
Damals entstanden wilde Camps mitten in der Stadt. Die rund 100 Angereisten | |
errichteten Zelte vor dem Rathaus. Eine Telefonzelle wurde zum Klo | |
umfunktioniert, ein Brunnen zur Badeanstalt. Im zweiten Jahr standen die | |
Zelte außerhalb des Ortskerns auf einer Wiese voller Maulwurfslöcher. Im | |
dritten Jahr hat das Organisationsteam frühzeitig die Festwiese im Ortsteil | |
Tinnum beantragt, einen guten Spaziergang vom Westerländer Bahnhof | |
entfernt. | |
Die Punks vor dem Juweliergeschäft in der Fußgängerzone halten Stöcke hoch, | |
an denen Konservendosen baumeln. Ein paar Münzen liegen schon drin. Aktiv | |
um Geld bitten dürften sie nicht, sagt einer von ihnen. Die | |
Spendenbereitschaft sei „mal so, mal so“. Einige Leute würden sie bepöbel… | |
„verpisst euch“, habe einer mal gesagt. Andere fänden die Aktion aber gut. | |
„Mal so, mal so“ – das sagt auch eine Kassiererin im Supermarkt, der der | |
Festwiese am nächsten liegt, über die Camp-Bewohner:innen. Die kommen | |
täglich in den Laden, oft mit Einkaufswagen voller Leergut, dessen Erlös | |
gleich wieder in Essen und Getränke umgesetzt wird. | |
Auf der mit Gras bewachsenen Festwiese selbst stehen Dutzende Zelte, | |
dazwischen einige Konstruktionen aus Planen. Darunter verstecken sich die | |
Gemeinschaftsbereiche, die Küche, das Vorratslager, die Bühne. Jenseits | |
eines asphaltierten Wegs reihen sich mehrere Dixi-Klos auf. | |
## Mit der Zeit kommt die Routine | |
Marvin Bederke, einer der Sprecher des Camps, sitzt auf einer Decke im | |
Gras, zusammen mit einigen Mitgliedern des Organisationsteams. Im Vorjahr | |
nahmen fast alle Camp-Bewohner:innen an diesen Plenums-Runden teil. Aber | |
das habe viele genervt und sei auch nicht sehr effektiv gewesen, berichtet | |
Bederke, daher tagen nun kleinere Gruppen. Der 24-Jährige war mit dem | |
gleichaltrigen Jonas Hötger bereits im Vorjahr als Hauptorganisator dabei, | |
hat also bereits Routine. | |
Dinge, die damals zu Problemen führten, vermeiden sie: So wird es zum | |
Beispiel keine spontane Verlängerung des Camps über den August hinaus | |
geben, weil im Vorjahr viele Bewohner:innen kurz vor dem Ende abfuhren | |
und eine kleine Gruppe allein mit dem Rückbau dastand. | |
Insgesamt ist Bederke mit dem Verlauf der Aktion zufrieden: Die Zahl der | |
Teilnehmenden sei mit rund 180 Personen in der Spitze höher als im Vorjahr, | |
und der neue Platz mit Wasser- und Stromanschluss erlaube, größere Aktionen | |
wie Konzerte zu machen. „Wir werden professioneller“, sagt der angehende | |
Jura-Student aus Frankfurt. Das liege auch daran, dass das | |
Organisationsteam ganzjährig weiter getagt und das nächste Camp geplant | |
hat, teils online, teils bei Treffen, „mit Tagesordnung und | |
Kleingruppenarbeit, sehr produktiv“. | |
Ihn ärgert die Haltung einiger Sylter:innen dem Camp gegenüber: „Auf | |
Social Media werden wir beschimpft, weil wir keine Kurtaxe bezahlen und | |
angeblich auf anderer Leute Kosten Urlaub machen. Aber wir bezahlen | |
natürlich.“ Nur eben keine Kurtaxe: Die Stadtwerke rechnen Wasser und | |
Stromverbrauch ab, die Müllabfuhr stellt einen Container – „richtig teuer�… | |
sagt Bederke. | |
## Eigenes Geld und Crowdfunding | |
Mehrere Tausend Euro kostet das Camp, das Geld bringen die Beteiligten | |
durch eigene Mittel oder Spenden per Crowdfunding auf, Motto: „Lieber | |
reiche Punks als [2][reiche Nazis] auf Sylt.“ Es gebe durchaus | |
Unterstützung, auch von Insulaner:innen, die die politischen Ziele der | |
Aktion gut fänden, sagt der Organisator. Die Punks protestieren gegen die | |
hohen Immobilienpreise auf der Insel und gegen den Versuch, die Insel gegen | |
unerwünschte Gruppen abzuschirmen. | |
Und die Kurtaxe? „Wie kann man Eintritt für eine Insel nehmen?“, fragt | |
Bederke, der sich vorstellen kann, eines Tages juristisch dagegen | |
vorzugehen. Im Vorjahr erhielten die Organisatoren die Auflage, Meldebögen | |
an die Camper:innen zu verteilen, um dann Kurtaxe einziehen zu können. | |
Die Punks weigerten sich, schließlich hat der Kreis Nordfriesland die | |
Aktion als Dauer-Demonstration anerkannt. „Die Teilnehmenden einer Demo zu | |
erfassen, geht gar nicht“, sagt Bederke. „In diesem Jahr hat die Gemeinde | |
es gar nicht versucht.“ Generell sei der Kontakt zu den Behörden gut. Wie | |
aufs Stichwort rollt ein Polizeiwagen langsam vorbei. Marvin Bederke schaut | |
nicht einmal auf – solche Fahrtenfinden mehrmals täglich statt. | |
Aus Sicht der Polizei ist die Lage „überwiegend friedlich“, sagte der | |
Sprecher der Polizeidirektion in Flensburg den lokalen Sylter Nachrichten. | |
Einsätze „im mittleren zweistelligen Bereich“ habe es wegen „Ruhestörun… | |
und aggressivem Betteln“ gegeben. Florian Korte, Sprecher der Gemeinde | |
Sylt, sprach gegenüber der Lokalzeitung von „einem gewissen Unmut in Teilen | |
der Bevölkerung“ über die dritte Auflage des Punkertreffens. Das bestätigt | |
eine Sylterin, die auf dem Platz vor dem Rathaus Unicef-Postkarten | |
verkauft. Bisher seien die Punks zwar „recht friedlich“, aber die | |
Schnorrer-Grüppchen in der Fußgängerzone fände sie dennoch nicht gut. | |
## Die Probleme der Insel | |
Am Rathaus hatte die Gemeinde im Vorjahr beleuchtete Figuren aus Draht | |
aufstellen lassen, damit dort keine Zelte gebaut werden konnten – eine | |
Aktion, über die die ganze Insel lachte. Die Figuren sind verschwunden, | |
aber die Probleme der Insel sind dieselben geblieben: Immer noch fehlt ein | |
Radwegekonzept. Der Kreis will gegen illegale Ferienwohnungen vorgehen, das | |
macht vielen Insulaner:innen Sorgen. Und dann ist da noch der | |
[3][Streit um den Bürgermeister] der Gemeinde Sylt, diesem Kunstgebilde aus | |
sieben Dörfern, darunter Westerland, Tinnum und Keitum. Gegen den | |
parteilosen Nikolas Häckel läuft ein Abwahlverfahren, im September soll es | |
eine Neuwahl geben. | |
Häckel ist seit Monaten krankgeschrieben. Er habe sich „bei meinem Einsatz | |
für die Gemeinde zu sehr vernachlässigt“, nun arbeite er sich aus einem | |
Burn-out heraus, schreibt er auf seiner Homepage. Sein Anwalt hält es für | |
einen Skandal, einen Kranken aus dem Amt zu drängen. Doch eine Reihe von | |
Inselgemeinden verweist darauf, dass Häckel seine Aufgaben nicht erledigt | |
habe: „Wir und unsere Bürger bezahlen für Leistungen, die wir nicht oder | |
nur unzureichend erhalten“, heißt es in einer Mitteilung der kleineren | |
Sylter Orte, die vom Westerländer Rathaus mitverwaltet werden. Weil dort | |
die Arbeit stocke, „kommt der Wohnungsbau für Insulaner nur schleppend | |
voran, unsere Straßen können nicht erneuert werden, der Ausbau der Radwege | |
stagniert, und in Hörnum verfällt der Hafen zunehmend. Eine Wohnanlage für | |
Senioren konnte nicht umgesetzt werden“. | |
Zudem, so berichtet der NDR, werde Häckel unter der Hand das schlechte | |
Krisenmanagement im Umgang mit dem ersten Punker-Camp vor drei Jahren | |
angelastet. | |
Egal, wer künftig die Verwaltung der Inselhauptstadt leitet, er oder sie | |
wird sich weiterhin mit den Punks auseinandersetzen müssen. Denn sie sind | |
gekommen, um zu bleiben. Camp-Sprecher Marvin Bederke und die anderen des | |
Kern-Teams wollen einen Verein gründen, der die [4][„Aktion Sylt“] | |
dauerhaft trägt. Geplant sind weitere Sommer-Camps und vielleicht eines | |
Tages ein ganzjähriger Treffpunkt – Punks forever auf der Insel der Schönen | |
und Reichen. | |
25 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-auf-Sylt/!5949361 | |
[2] /Lamour-toujours/!6026486 | |
[3] /Sylts-Buergermeister-in-Bedraengnis/!6010739 | |
[4] https://aktion-sylt.de/ | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
wochentaz | |
Sylt | |
Punks | |
Tourismus | |
Sylt | |
Harz | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Sylt | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tod nach Abwahl: Sylts Ex-Bürgermeister Häckel ist gestorben | |
Vor wenigen Wochen musste Nikolas Häckel den Sessel im Sylter Rathaus nach | |
seiner Abwahl räumen. Nun ist er im einstweiligen Ruhestand verstorben. | |
Bilanz nach „Rainbow Gathering“ im Harz: Kacke statt Liebe | |
Die Behörden sind nach dem illegalen Hippie-Camp sauer. Und üben ein | |
bisschen Selbstkritik dafür, dass sie die Arbeit der Presse behindert | |
haben. | |
Rechte Reiche im rassistischen Video: Kündigung nach Hitlergruß auf Sylt | |
Partygäste filmen sich auf Sylt mit ausländerfeindlichen Parolen. Zwei der | |
mutmaßlichen Sänger:innen verlieren nun ihre Jobs. Die Polizei | |
ermittelt. | |
Sylts Bürgermeister in Bedrängnis: Abwahl wegen Burnout? | |
Sylts Bürgermeister Nikolas Häckel ist seit Februar wegen Burnout | |
krankgeschrieben. Nun sägt der Hauptausschuss der Gemeinde an seinem Stuhl. | |
Protest auf Sylt: Punk ist zurück | |
Ein Camp am Rande von Westerland will im zweiten Sommer in Folge | |
politischen Protest auf die Insel bringen. Aber die Punks sind nicht | |
willkommen. |