# taz.de -- Psychologe über Triggerwarnungen: „Anmaßend, weil fremdbestimme… | |
> Triggerwarnungen gehören heute zum medialen Alltag. Warum das niemandem | |
> hilft und Trigger nicht „retraumatisieren“, erklärt Psychologe Thomas | |
> Weber. | |
Bild: Der Begriff „Triggerwarnung“ wird zu inflationär verwendet, findet T… | |
taz: Herr Weber, in vielen Medien hat sich durchgesetzt, dass etwa vor | |
einer Dokumentation über häusliche Gewalt die Worte eingeblendet werden: | |
„Triggerwarnung: Dieser Inhalt thematisiert häusliche Gewalt und könnte Sie | |
retraumatisieren.“ Sie stehen diesen Warnungen kritisch gegenüber. Wieso? | |
Thomas Weber: Die Sache ist insofern problematisch, weil es keine schlichte | |
Inhaltswiedergabe ist, sondern eine konkrete Warnung. [1][Der Begriff | |
Triggerwarnung] wird heutzutage im Internet inflationär verwendet, das | |
Gleiche gilt für den Begriff „Retraumatisierung“. | |
Aber was ist daran problematisch, wenn eine betroffene Person vor einem | |
Inhalt gewarnt wird? | |
Es geht darum, wie ein Medium einen bestimmten Inhalt einer Person | |
überbringt. Wenn vor der Inhaltswarnung der Begriff „Trigger“ steht, | |
bestimme ich, was für Betroffene ein Trigger ist und was nicht. Das ist | |
anmaßend, weil fremdbestimmend. | |
Das heißt, die Vorabbenennung von sensiblen Themen ist in Ordnung, es soll | |
bloß nicht „Triggerwarnung“ heißen? | |
Eine Inhaltswiedergabe ist nett, es sind ja Hinweise, dass der zusehenden | |
Person verstörende Inhalte präsentiert werden. Wenn da drin steht, dass es | |
um Übergriffe oder Gewalt geht, reicht das für Opfer aus. Aber meistens | |
merken es Betroffene auch schon an einer Überschrift oder einem Teaser. | |
Denn die Verarbeitung von Trauma ist immer ein Zusammenspiel zwischen | |
zulassen und vermeiden, es ist wichtig, dass Betroffene die Kontrolle | |
darüber zurückbekommen. | |
Was ist schlecht an dem Wort „Trigger“? | |
Anstatt die Person zu schützen, löse ich mit dem Begriff der Triggerwarnung | |
eher Ängste aus. Es ist problematisch, dass ich als Nichtbetroffener | |
Elemente herausgreife und sie als eine mögliche Triggerwarnung benenne. | |
Denn was ein Trigger ist, muss die betroffene Person selbst entscheiden. | |
Wir sollten nicht von außen versuchen, den Trigger zu kontrollieren, | |
sondern müssen die Person in die Lage versetzen, dass sie das selbst | |
kontrollieren kann. Ein Trigger kann nämlich alles Mögliche sein. Ein | |
Mensch kann per se nicht komplett vor möglichen Triggern geschützt werden, | |
es sei denn, er verlässt das Haus nicht mehr und isoliert sich. Und das ist | |
nicht möglich. | |
Was können denn Trigger sein? | |
Das könnte ein Geruch, ein Geräusch oder in einer gewissen Situation die | |
Farbe eines Pullovers sein. Wenn eine Person Opfer sexualisierter Gewalt | |
wird, hat sie nicht mit der Thematik direkt ein Problem, sondern mit | |
einzelnen Elementen, die sie an die Tat erinnern. Das kann der Geruch von | |
Zigaretten sein oder von Alkohol, oder der Täter hatte besondere Augen, die | |
sich in die Amygdala (Teil des Gehirns; d. Red.) der Betroffenen | |
eingebrannt haben. Die Person kann durch die Straße gehen, an einer | |
Fußballkneipe vorbeikommen mit einem offenen Fenster, hört Männer grölen | |
und riecht den Geruch von Schweiß, Bier und Zigaretten. Diese Situation | |
könnte ein Trigger sein und etwas auslösen, das zu einer intrusiven | |
Überflutung führen kann. | |
Was passiert in so einem Fall? | |
Nach einer Traumatisierung besteht Tage, manchmal auch Monate oder | |
Jahrzehnte später eine latente Reizbarkeit in einem bestimmten Bereich des | |
Gehirns. Die Situation wird fragmentiert und im impliziten Gedächtnis | |
abgespeichert, sodass eine sehr leichte Erregbarkeit besteht. Wird die | |
Person dann durch einen entsprechenden Hinweisreiz „getriggert“, kommt es | |
zur Überflutung von Erinnerungsbildern, Gerüchen oder Geräuschen. Aber das | |
sind dann nicht einfach nur Erinnerungen, sondern die betroffene Person | |
fühlt sich in dem Moment wieder so, als wenn die Situation gerade passiert. | |
Fälschlicherweise wird diese Situation als „Retraumatisierung“ benannt, | |
dabei handelt es sich aber um eine Reaktualisierung der traumatischen | |
Situation. | |
Also sollen Medien bei ihrer Wortwahl präziser sein? | |
Ja, denn wenn Medien schreiben, dass Silvesterraketen bei | |
Kriegsgeflüchteten zur Retraumatisierung führen, ist das schlichtweg | |
falsch. Aber auch sonst müssen Medien aufpassen, dass sie Ereignisse nicht | |
zuspitzen oder überdramatisieren – sonst stumpfen wir ab und wichtige | |
Warnungen werden nicht mehr wahrgenommen. | |
Was meinen Sie konkret? | |
In Deutschland gibt es die Tendenz, dass wir immer in Katastrophen denken. | |
Angefangen im Jahr 2008 mit der Bankenkrise, dann 2015 mit den | |
Geflüchteten, und jetzt wieder, als würden wir diesen Winter alle erfrieren | |
und verhungern. Das trifft auf Menschen in der Ukraine oder an anderen | |
Orten der Welt zu, aber nicht in Deutschland. In vielen Medien aber gibt es | |
die [2][Tendenz zur Sensationsgier], im Oktober sprachen manche von einer | |
Kältepeitsche aus Sibirien, letztendlich war es ein Winterereignis. Dass es | |
den Klimawandel gibt und dass sich dadurch das Klima verändert, muss | |
berichtet werden, aber dann als sachliche Berichterstattung – sonst ist man | |
in einem permanenten alarmistischen Zustand, und man kann nicht mehr | |
differenzieren, was wirklich ein bedrohliches Ereignis ist und was nicht. | |
27 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Shoko Bethke | |
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