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# taz.de -- Prozessauftakt Bamf-Skandal: Großes Theater für Kleinkram
> Im Konzertsaal verhandelt das Bremer Landgericht über die Reste des
> Bamf-Skandals. Zwei Angeklagten werden 22 vage Taten zur Last gelegt.
Bild: Die ehemalige Leiterin (2.v.l.) der Bremer Außenstelle des BAMF im Geric…
BREMEN taz | Gerade einmal fünf Zuschauer*innen verteilen sich auf die
1.400 Plätze: Vor dem Landgericht Bremen hat am Donnerstag die
Hauptverhandlung im so genannten Bamf-Verfahren begonnen. Er soll den
[1][vermeintlichen Skandal um die Bremer Außenstelle] des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge aufklären. Sitzungsort ist, coronabedingt, „Die
Glocke“. Das ist das Bremer Konzerthaus, ein Meisterwerk
expressionistischer Architektur.
Auf dem Podest, wo sonst die Philharmoniker Gustav Mahlers Sinfonien 1 bis
10 aufführen, sitzen nun, den Rücken zum Publikum, die beiden Angeklagten
Ulrike B. und Irfan Ç. und ihre drei Verteidiger*innen. Im Hintergrund – wo
die Kesselpauke steht – hat die Große Strafkammer Platz genommen. Und
verhandelt nun Kleinigkeiten.
„Vergehen“ heißt es selbst in der Anklage [2][der Staatsanwaltschaft
Bremen] und nicht etwa Verbrechen. „Wir sitzen hier wegen Vorwürfen“, fasst
die Vorsitzende Richterin Maike Wilkens zusammen, „die in den
Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts fallen.“
Das ist der Stoff, mit dem das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel
zwischen April und September 2018 fast 20 Druckseiten befüllt und wohl auch
eine ausländerfeindliche Stimmung geschürt hatte. Polizei und
Staatsanwaltschaft Bremen ermittelten, unterstützt von Leuten aus der
Nürnberger Bamf-Zentrale, wegen des Verdachts auf insgesamt 16.000
Straftaten. Ulrike B., seit deren Gründung Leiterin der Bamf-Außenstelle,
hätte massenhaft falsche Asylbescheide erstellt, hieß es damals.
## Spiegel-Leser wissen immer noch nix
Zusammen mit Irfan Ç., Asylrechtsanwalt in Hildesheim und Angehöriger der
jesidischen Gemeinde, hätte sie die Dienststelle, die als ihr Lebenswerk
gelten kann, zu einem Schlupfloch gemacht. Bis heute hat das Magazin seine
Printleser*innen nicht darüber informiert, dass sich von den damals
erhobenen Vorwürfen nichts hat substanziieren lassen.
Denn auch Bremens größter Ermittlungsgruppe seit Bestehen des Bundeslandes
war es nur gelungen, 121 Vorwürfe zusammenzuschreiben. Den größten Teil
davon hatte dann die Strafkammer nach einem Jahr Prüfung der Anklageschrift
für Quatsch befunden: Zur Verhandlung zugelassen hat sie gerade mal 22
Punkte.
So ist übrig geblieben, dass Ulrike B. im elektronischen Bamf-System
„Maris“ eine Datei in einen Ordner geschoben hat, in dem für erledigt
befundene Vorgänge abgelegt werden. Als Vertuschungsversuch von was auch
immer wertet das die Staatsanwaltschaft.
Die Angeklagte hätte zudem – warum ist unklar – Bescheide unter dem
persönlichen Account eines ihrer Untergebenen erstellt. Das wird aber nur
behauptet. Wie es bewiesen werden soll, ist nicht klar: Einschlägige
Zeug*innen scheint es nicht zu geben.
## Ein Stempel passt auf alles
Und dann hat Ulrike B. noch mehrfach per Mail Informationen weitergeleitet:
standardisierte Fragebögen, die im Asylverfahren zum Einsatz kommen, und
interne Länderberichte, die nicht, wie Info-Broschüren, zum
Publikationsprogramm des Bamf gehören. Sie tragen einen VS-NFDG-Stempel.
Das Kürzel steht für „Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch“.
Darin will die Anklagebehörde den Verrat von Dienstgeheimnissen erkannt
haben. Richterin Wilkens deutete an, in dieser Frage die staatsanwaltliche
Einschätzung teilen zu können. Die Verteidigerin Lea Voigt warnte hingegen
davor, den Stempel als Indiz überzubewerten. „Damit kann ich alles
stempeln“, sagte sie.
„Etwas als Amtsgeheimnis zu klassifizieren, liegt im rechtsstaatlichen
Verfahren nicht in der Entscheidung der Behörde“, erinnerte sie an den
Transparenz-Grundsatz. Verteidiger Johannes Eisenberg verwies auf
einschlägige Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Das hatte 2015
analoge und identisch klassifizierte Bamf-Dokumente, deren Einsicht dem
Verein Pro Asyl verwehrt worden war, [3][als nichtgeheim eingestuft.]
Daraus, dass sie offenlege, wie sie bestimmte Normen auslegt, „erwächst
einer rechtsstaatlichen Verwaltung kein Nachteil“, heißt es in dem
Beschluss. Die Frage ist nur, ob das Bamf eine solche sein will.
Bei Irfan Ç. glauben die Vertreter*innen der Anklagebehörde zwar noch
an eine Haftstrafe, aber wie sie zu der Einschätzung kommen, bleibt unklar.
Der Vorwurf, er habe Menschen geholfen, sich unerlaubt in Deutschland
aufzuhalten, dürfte sich nach der Auftaktsitzung erledigt haben.
## Beihilfe zu erlaubtem Aufenthalt
Ç.s Anwalt Henning Sonnenberg wies darauf hin, dass die fraglichen Personen
nach Aktenlage alle mindestens über eine Aufenthaltsgestattung verfügten.
„Es ist also unmöglich anzunehmnen, dass mein Mandant Beihilfe zu einem
nicht vorhandenen unerlaubten Aufenthalt geleistet hätte.“ Die Vorsitzende
signalisierte Verständnis für dieses Argument.
Die Staatsanwaltschaft behauptet ferner, Ç. habe Menschen aus den
GUS-Staaten angestiftet, sich als Irakis auszugeben. Dabei stützt sie sich
auf eine soziolinguistische Einschätzung des Bamf – also eine Analyse von
Sprache und Dialekt der Migrant*innen.
Allerdings haben diese gültige irakische Pässe, wie Sonnenberg betonte.
Auch Wilkens formulierte Zweifel daran, dass die Staatsbürgerschaft
wirklich vorgetäuscht sei: „Diese Menschen halten sich für Iraker“, so die
Richterin. Wozu sie Irfan Ç. dann angestiftet haben soll, ist unklar.
15 Apr 2021
## LINKS
[1] /Anklage-im-Bamf-Skandal/!5624571
[2] /Gericht-missbilligt-Justizbehoerde/!5591146
[3] https://www.bverwg.de/301115B20F7.15.0
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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