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# taz.de -- Proteste in Moskau: Beim Flanieren festgenommen
> Widerstandsgeist und Hartnäckigkeit beunruhigen den Kreml. Schon auf
> kleinere Proteste reagiert Moskau mit massiver Gegenwehr.
Bild: Auf der Kundgebung wurde auch die Oppositionskandidatin Ljubow Sobol fest…
Moskau taz | Der Puschkin-Platz im Moskauer Zentrum war am
[1][Samstagnachmittag schon von Nationalgardisten in graublauen Tarnanzügen
in Beschlag] genommen worden. Die Opposition hatte zu einem „Spaziergang“
gegen den Ausschluss unerwünschter Kandidaten für das Moskauer
Stadtparlament am 8. September aufgerufen. Eine Demonstration war verboten
worden. Erst in der Woche zuvor hatten Sicherheitskräfte 1.400 Teilnehmer
bei einer nicht genehmigten Veranstaltung [2][festgesetzt].
Der innerstädtische Boulevard-Ring wurde von den Veranstaltern diesmal zu
einer Flaniermeile erklärt. Am Puschkin Platz empfing die Spaziergänger ein
Hinweis vom Band. Die Aktion sei nicht genehmigt. Wer sich hier eingefunden
hatte, war sich des Risikos bewusst.
Aufhorchen ließ jedoch der ungewöhnliche Zusatz, mit den jungen
Sicherheitskräften behutsam umzugehen. Unter den Wehrpflichtigen könnten
„auch Ihre Söhne sein“, erinnerte das Band. Das war neu. Kaum war der
Hinweis gesackt, da packten zwei dieser „Söhne“ den taz-Reporter bereits
und schleppten ihn zum „awtosak“, einem Gefangenentransporter. „Beschweren
kannst Du Dich später“, meinte die Nachwuchskraft. Ausweise und Papiere
interessierten nicht. Hinter dem Aufgegriffenen schloss sich die Käfigtür.
So etwas kann länger dauern. „Keine Zimperlichkeiten“ hatte die junge Kraft
gewarnt.
## Mehr als 800 Festnahmen
Moskau glich am Samstag einer Festung. Nationalgarde, Polizei und Truppen
des Innenministeriums beherrschten das Gebiet um den sieben Kilometer
langen Boulevard-Ring. In den Nebenstrassen hatte eine komplette
Streitmacht Position bezogen. Eindeutige Zahlen liegen nicht vor, die
Heerscharen dürften den Demonstranten nicht nachgestanden haben. Zumal
Flaneure und Protestteilnehmer sich nicht auseinanderhalten ließen.
Die Sicherheitskräfte nahmen nach Angaben des Bürgerrecht-Portals OvD-Info
insgesamt mehr als 800 Menschen fest. Sie griffen rücklings zu, so dass
sich niemand wehren konnte. Unter den Festgenommenen waren viele, die mit
dem Protest nichts zu tun hatten. Auch Fußballfans waren darunter, die das
Moskauer Lokalderby am Abend besuchen wollten. Im Vorfeld hatte die Polizei
versucht, das Spiel „wegen Doppelbelastung“ noch zu verschieben. Der
Verband weigerte sich jedoch.
Die Polizei hatte den Boulevard-Ring in der Innenstadt mit Gittern
abgesperrt. Der Spaziergang konnte jederzeit zu einem Spießrutenlauf
werden. Die Ordnungskräfte griffen willkürlich zu. Sie versinnbildlichten
damit den katastrophalen Zustand des russischen Rechtssystems. Die
Demonstranten blieben unterdessen friedlich, keiner ließ sich provozieren,
meinten Beobachter des OvD-Portals am Abend.
Die Atmosphäre war angespannt, bedrückender und ernster als sonst.
Gelegentlich hupten ein paar Autofahrer aus Solidarität mit den eher
jüngeren Protestlern. Behörden ermitteln unterdessen schon gegen einige
Inhaftierte wegen „Anstiftung zu Massenunruhen“. Bis zu 15 Jahren Haft kann
ein Urteil einbringen. Drakonische Strafen, die Unzufriedene abschrecken
sollen, auf eine Demo zu gehen. Ähnlich scharf reagierte die Staatsmaschine
auch schon bei den letzten Unruhen nach dem Wahlbetrug bei den Dumawahlen
2011/12.
## Der Kreml fürchtet Kontrollverlust
Mit Einschüchterung, Repression und Willkürjustiz gelang es damals, die
Proteste auszutrocknen. Sieben Jahre später ist eine andere Generation
herangewachsen. Sie stellt gerade unter Beweis, dass sie von ihren Rechten
nicht abrückt. Auch wenn sie dafür mit Knüppeln traktiert wird.
Widerstandsgeist und Hartnäckigkeit beunruhigen den Kreml. Würde er sonst
gegen Proteste vorgehen, an denen etwa 3500 Menschen insgesamt teilnahmen?
Moskau reagiert schon auf kleinere Proteste mit massiver Gegenwehr aus
panischer Angst vor Kontrollverlust. Ein paar tausend Demonstranten könnten
schnell zu 50000 anwachsen. Die sich dann nicht mehr lenken, so das Kalkül,
nicht mal mit einer noch umfangreicheren Streitmacht.
Vor dem Spaziergang war die Oppositionelle Ljubow Sobol aus dem
Mitarbeiterstab des Putin-Herausforderers und Antikorruptionskämpfers,
Alexei Nawalny, festgesetzt worden. Sobol wollte auch bei der Moskauer Wahl
antreten, wurde aber ausgeschlossen. Seit drei Wochen befindet sie sich im
Hungerstreik. Die Wanne mit den Gefangenen öffnete sich nach einer
Dreiviertelstunde. Für einige Journalisten mit den richtigen Papieren
schloss ein Vorgesetzter der Nationalgarde den Käfig wieder auf. Andere
hatten bereits Anwälte verständigt. Der Sommer ist kalt in Moskau, der
Herbst könnte heißer werden.
4 Aug 2019
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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