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# taz.de -- Proteste in Georgien: Gesicht zeigen für Europa
> Zehntausende demonstrieren in Georgien für einen EU-Kurs ihres Landes.
> Der Frust sitzt tief, weil es nicht Beitrittskandidat wird.
Bild: Demonstranten am Montag in Tiflis
Berlin taz | Der laute Ruf dürfte bis Brüssel zu hören gewesen sein: In der
georgischen Hauptstadt Tiflis sind am Montag abend Zehntausende auf die
Straße gegangen, um ihre Unterstützung für einen Pro-EU-Kurs der
Südkaukasusrepublik kund zu tun. Das Motto der Veranstaltung lautete „Nach
Hause, nach Europa!“.
Viele schwenkten EU-Flaggen. Auf Plakaten und Schildern waren Slogans zu
lesen, wie „ Kein Krieg, kein Putin, keine Oligarchen, kein Iwanischwili!“
oder „Europa = freie Medien!“ Es war die mit Abstand größte Kundgebung se…
Jahren. Auch in anderen Städten, wie Kutaisi und Batumi, fanden
Demonstrationen statt.
Die Proteste sind eine direkte Reaktion auf eine Entscheidung der
EU-Kommission vom vergangenen Freitag. Diese hatte, anders als im Fall der
Ukraine und der Republik Moldau, auf das Ersuchen Georgiens vom vergangenen
März negativ reagiert und sich dagegen ausgesprochen, dem Land [1][den
Status eines EU-Beitrittskandidaten] zu geben.
Sollte Georgien jedoch entsprechende Reformen durchführen, werde die
Kommission einen entsprechenden Antrag erneut prüfen, heißt es in einer
entsprechenden Empfehlung. Dazu gehören unter anderem umfassende Reformen
des Justizwesen, der Respekt von Minderheitenrechten, eine
De-Oligarchisierung sowie Garantien für Medien, in einer freien und
sicheren Umgebung arbeiten zu können.
## Blutiger Jahrestag
Organisiert worden waren die Kundgebungen von der liberalen Gruppe
„Schande“ (Sirtskhvilia). Deren Vertreter sagten bei einem Auftritt während
der Demonstration, das Haupthindernis für Georgien auf seinem Weg in die
Europäische Union sei Bidzina Iwanischwili. Der milliardenschwere Oligarch
ist der Gründer der derzeitigen Regierungspartei „Georgischer Traum“, ab
2012 war er Ministerpräsident, gab sein Amt jedoch bereits im darauf
folgenden Jahr ab. Trotz seines „Rückzuges“ zieht er in der Politik nach
wie vor die Strippen.
Viele der Protestierenden dürften sich an diesem Montag wohl auch an den
20. Juli 2019 erinnert haben. An diesem Tag hatte der russische Abgeordnete
Sergei Gawrilow anlässlich der Eröffnung eines Internationalen Orthodoxen
Forums auf dem Platz des georgischen Parlamentspräsidenten Platz genommen.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten
Schon am Abend hatten sich tausende wütende Demonstranten vor dem Parlament
eingefunden, einige versuchten das Gebäude zu stürmen. [2][Die Polizei ging
mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die Menge vor]. Zwei
Menschen verloren ein Auge, mehr als 200 wurden verletzt. Die Ersetzung des
Mehrheits- durch das Verhältniswahlrecht wurde alsbald zu einer zentralen
Forderung der Opposition.
Obwohl Iwanischwili anfangs zugestimmt hatte, brach er wenige Monate später
sein Versprechen. Auch die EU, die sich in dieser Angelegenheit um eine
Vermittlung zwischen Regierung und Opposition bemüht hatte, würde düpiert –
was zu heftiger Kritik aus Brüssel führte. Seit dieser Zeit befindet sich
die Südkaukasusrepublik in einer politischen Dauerkrise. Regierung und
Opposition – vor allem die Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ (ENM) des
derzeit inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili – stehen sich in
unversöhnlicher Feindschaft gegenüber.
## Beim Namen nennen
So ist es nicht überraschend, dass die Regierungspartei „Georgischer Traum“
auch hinter den jüngsten Protesten wieder die ENM wittert. Die Kundgebung
trage eindeutig die Handschrift der ENM. Man müsse das Kind beim Namen
nennen. Doch die Menschen verstünden das. Wer glaube, siehinters Licht
führen zu können, irre sich, sagte der Bürgermeister von Tiflis, Kacha
Kaldaze.
Unterdessen hat die Bewegung „Schande“, in der sich
Nichtregierungsorganisationen, Medien, Oppositionskräfte, Studentengruppen
sowie Gewerkschaften zusammen geschlossen haben, angekündigt, der Regierung
eine Liste mit Forderungen zu übergeben. Sollten diese ignoriert werden,
will „Schande“ eine landesweite Kampagne starten und zu zivilem Ungehorsam
aufrufen.
Schon am kommenden Freitag soll es in Georgien erneut Kundgebungen der
EU-Befürworter geben. An diesem Tag entscheiden die Staats- und
Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten auf ihrem Gipfel über den
Kandidatenstatus für die Ukraine, Moldau und Georgien. Im Falle Georgiens
dürfte es keine positiven Überraschungen geben.
21 Jun 2022
## LINKS
[1] /EU-Kandidatenstatus-fuer-die-Ukraine/!5859266
[2] /Menschenrechtler-ueber-Proteste-in-Georgien/!5728474
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Georgien
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Protest
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