# taz.de -- Protestcamp gegen Abschiebungen: Trommeln gegen Terminal 5 | |
> Das Camp gegen Abschiebungen am BER ist ein voller Erfolg. Zum Abschluss | |
> fordern 700 Menschen auf einer Demonstration ein Ende aller | |
> Grenzkontrollen. | |
Bild: Es war laut auf der Demo gegen Abschiebungen | |
BERLIN taz | Ein Redner wird besonders deutlich: „Diese verdammte | |
Abschiebung bricht deine Seele“, sagt er. Denn: „Viele Betroffene fallen | |
nach so einer traumatisierenden Erfahrung in die Perspektivlosigkeit.“ Mit | |
einer lautstarken Demo protestierten am Montagnachmittag in Schönefeld rund | |
700 Menschen gegen die Gewalt in einem System von Grenzkontrollen und | |
[1][Abschiebungen.] „Denkt ihr denn wirklich, wir kommen alle nach Sachsen | |
oder Mecklenburg-Vorpommern, wenn Grenzkontrollen wegfallen?“, sagt der | |
Mann, der wie alle Redner*innen selbst Geflüchteter oder von Rassismus | |
Betroffener ist – und erntet dafür lautes Gelächter. | |
Die Demo ist da gerade an einem besonderen Grundstück angekommen. Hier, in | |
Sichtweite des Flughafens BER, soll ein privater Investor im Auftrag | |
Brandenburgs [2][ein Abschiebezentrum bauen.] Offiziell heißt das geplante | |
Gebäude „Einreise- und Ausreisezentrum“. Die Initiative „Abschiebezentrum | |
BER verhindern“ hatte seit Donnerstag mit einem [3][Protestcamp dagegen | |
mobil gemacht]. | |
An drei weiteren Stationen weisen Redner*innen auf schon bestehende | |
Abschiebestrukturen hin: am jetzigen Ausreisegewahrsam auf dem Gelände des | |
BER und am Rückführungsgebäude, aus dem heraus derzeit die Abschiebungen | |
abgewickelt werden. Schließlich am Terminal 5 des BER, von dem aus zwar | |
keine regulären Flüge mehr starten, wohl aber die Chartermaschinen für | |
sogenannte Sammelabschiebungen. | |
„Wir alle hier haben ein gemeinsames Ziel: Abschiebungen zu beenden und | |
Grenzen abzuschaffen“, sagt Fawzi Al-Dubhani aus dem Jemen, der in | |
Biesenthal im Barnim lebt. Er betont, dass diese Forderungen nicht utopisch | |
seien. „Für bestimmte Leute ist das ja schon Wirklichkeit: Regierungen | |
ermöglichen grenzenlose Bewegungsfreiheit all denen, bei denen es ihnen | |
nützlich scheint.“ So würde auch die Bundesrepublik etwa Ärzte aus dem | |
Jemen sogar ermutigen, nach Deutschland zu kommen. Vielen, vielen anderen | |
sei das nicht möglich. „Das ist für mich der Gipfel des Rassismus“, sagt | |
Al-Dubhani. | |
Es sei sehr schön für ihn gewesen zu erleben, wie Menschen aus so | |
verschiedenen Ländern in den vergangenen Tagen im Camp zusammengelebt | |
hätten, sagt Al-Dubhani. „Das war ein Zeichen auch an die Politiker*innen, | |
dass Zusammenleben möglich ist.“ Die ganzen Tage im Camp habe man die | |
Flugzeuge über den Köpfen gehört – während unten Menschen für ihre | |
Bewegungsfreiheit und für ihr Bleiberecht kämpfen würden, sagt ein weiterer | |
Redner. | |
## Workshops und Podiumsdiskussionen | |
Im Protestcamp selbst ist das Zusammenleben über die Tage zur Routine | |
geworden, alles wirkt gut eingespielt. Bei den sechs parallel ablaufenden | |
Workshops am Sonntag in den mittelgroßen Zelten dolmetschen Freiwillige, | |
genauso bei der Podiumsdiskussion, auf der Geflüchtete von ihren | |
Erfahrungen und Kämpfen berichten. Thematisch geht es um Polizeigewalt, | |
Aufenthaltsrecht, Möglichkeiten des Widerstands und Erfahrungsberichte aus | |
anderen Ländern. | |
Im Essensbereich spült eine Gruppe Freiwilliger das Geschirr, wieder andere | |
schnibbeln Gemüse für die nächste Mahlzeit und kochen Kaffee und Tee. Auch | |
bei den Komposttoiletten, die auch nach tagelanger Nutzung nicht stinken, | |
sind ständig Helfer*innen damit beschäftigt, alles sauber zu halten und | |
Seife oder Strohschnipsel nachzufüllen. | |
Viele der Teilnehmer*innen loben die Stimmung im Camp – und das gute | |
Essen der Soli-Küche. „Es war ein kleiner Raum der Utopie in der teils ja | |
sehr abschreckenden Realität“, sagt die 22-jährige Mia Däßler. Sie | |
engagiert sich in Leipzig bei der Refugee Law Clinic, einer Initiative von | |
Jura-Student*innen, die über Asylrecht und juristische Vorgehen aufklärt. | |
„Ein Ort, um zu lernen und um Kontakte zu knüpfen, es war respektvoll, | |
jede*r hat nach seinen Kapazitäten beigetragen“, sagt sie. | |
## Viel mehr Teilnehmende als erwartet | |
Auch für die Veranstalter*innen war das Protestcamp ein voller Erfolg. | |
„Wir haben rund 2.000 Menschen gezählt, die über das Wochenende im Camp | |
waren“, berichtet Amy Amoakuh von der Initiative Abschiebezentrum | |
verhindern. „Das sind sehr viel mehr, als wir erwartet hatten.“ Im Vorfeld | |
hatte die Initiative von 500 Personen gesprochen. „Es zeigt, dass viele ein | |
großes Bedürfnis haben, sich zu informieren, und dass es viele gibt, die | |
sich gegen das Abschiebezentrum und unwürdige Abschiebepraxis stellen“, | |
sagt sie. | |
Im Folgenden will die Initiative weiter über die mutmaßlich unsaubere | |
Vergabe an den privaten Investor informieren, über dessen Person und den | |
Profit mit Abschiebungen, den er mutmaßlich machen werde: Schließlich soll | |
er das Abschiebezentrum im Auftrag Brandenburgs bauen und es dann dem Land | |
gegen Entgelt zur Verfügung stellen. „Wir sehen in der öffentlichen | |
Diskussion bisher noch nicht die Empörung, die dieses Thema verdient. Da | |
bleiben wir dran“, kündigt Amy Amoakuh an. | |
Auch inhaltlich habe das Protestcamp die Erwartungen der Initiative | |
übertroffen. „Unser Ziel war, dass sich die Organisationen untereinander | |
vernetzen können und dass wir den Widerstand gegen das Abschiebezentrum | |
organisieren können“, sagt Amoakuh. „Wir wollten über Abschiebepraxis | |
aufklären und empowern.“ All das sei gelungen. „Und zusätzlich haben wir | |
viel Freude erlebt: Die Offenheit und Akzeptanz im Camp, das war ein | |
Mikrokosmos und ein Blick darauf, in welcher Gesellschaft wir leben | |
wollen.“ | |
In dem großen Interesse zeige sich auch die Ablehnung der derzeitigen | |
Diskussion um verschärfte Asylgesetze bis hin zu einem ausgehöhlten Recht | |
auf Asyl auf Bundes- und EU-Ebene, was bis vor wenigen Jahren nur von ganz | |
rechtsaußen gefordert worden seie. „Das Camp war nur der Anfang“, sagt | |
Amoakuh. „Unser Protest geht weiter, bis wir ein Ende des Bauvorhabens | |
sehen, und bis wir Bleiberecht, Bewegungsfreiheit und Bildungsperspektiven | |
für alle erreicht haben.“ | |
6 Jun 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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