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# taz.de -- Prosa von Social-Media-Robotern: Der Bot in meiner Timeline
> Bots sind Twitter-Accounts, bei denen ein Programm die 140 Zeichen
> generiert. Einige kommen äußerst kreativ und politisch daher, andere
> nicht.
Bild: Auch Facebook arbeitet mit Bots. Hier geht es aber nicht um automatisiert…
„Die klassische Fliegerjacke liegt im Trend. Sie sagt: Wir sind
emporgeflogen, so hoch wir können, und jetzt, wie Satan, fallen wir“
([1][@KimKierkegaard]).
Was soll das denn heißen? Ganz einfach: Diesen Tweet, der da in der
Timeline auftaucht, hat kein normaler User verfasst, sondern ein Bot.
Das sind Accounts, bei denen kein Mensch hinter der Tastatur sitzt, sondern
ein Programm automatisch die 140 Zeichen generiert. @KimKierkegaard, der
Tweets von Kim Kardashian mit Aussagen des dänischen Philosophen Søren
Kierkegaard kombiniert, hat mittlerweile ganze 210.000 Follower – das ist
in etwa die Hälfte der Follower, die auch Jan Böhmermann hat. So mancher
Bot dürfte damit auf Twitter relevanter sein als die meisten menschlichen
Nutzer_innen.
Twitter-User begegnen solchen Bots schon jetzt täglich auf der Plattform.
Verbirgt sich hinter einem Account ein Mensch oder eine Maschine? Das ist
manchmal gar nicht so leicht zu sagen. Twitter selbst schätzt den Anteil
der Bots an den 310 Millionen aktiven Nutzer_innen mittlerweile auf rund 5
Prozent.
Auch die taz nutzt einen solchen Bot, der Beiträge zur Flüchtlingsdebatte
automatisch retweetet, also erneut veröffentlicht. Das erspart Arbeit und
ist praktisch. Daneben gibt es aber immer mehr Bots, die keinen
offensichtlichen Nutzen haben. Eine unsinnige Spielerei, könnte man denken.
Dahinter steckt aber vielmehr die Frage, wie Medien funktionieren und
genutzt werden.
## News aus der Zukunft
Einen dieser Bots betreibt der Berliner Autor und Künstler Gregor
Weichbrodt. Sein [2][@futur_news] setzt Schlagzeilen aus der „Tagesschau“
ins Futur und verfremdet schwarz-weiße Bilder der
Nachrichtensprecher_innen. Wenn Jan Hofer und Co dann verkünden: „Die
Bundesregierung wird den Wechsel an der Spitze des
Bundesnachrichtendienstes bestätigen“, wird die „Tagesschau“ zur seltsam
beklemmenden Nachricht aus der Zukunft.
Weichbrodt ist fasziniert von der stets neutralen Haltung der
Nachrichtensprecher_innen. „Aus einer anderen Perspektive kippt diese
reduzierte Vortragsweise ins Rohe, zum Beispiel wenn über einen
Terroranschlag berichtet wird, der Ton aber derselbe ist, als ginge es um
die Börse“, sagt Weichbrodt. „Ich wünsche mir manchmal, die Nachrichten m…
derselben Zurückhaltung aufnehmen zu können, mit der Jan Hofer sie
verkündet.“
Die Idee hinter @futur_news war konzeptionell: „Wenn die Nachrichten
darüber berichten würden, was passieren wird, anstatt, was bereits passiert
ist, entsteht gefühlter Handlungsspielraum.“ Ob das angesichts der
täglichen Nachrichtenflut positiv ist oder noch mehr überfordert, da ist er
sich selbst nicht ganz sicher.
So wie @futur_news greifen viele Bots alltägliche Tweets und
Nachrichtenelemente auf und verwerten sie neu. Sie remixen, verfremden und
stellen sie in einen neuen Kontext. Dabei filtert das Programm nicht,
sondern ahmt die Mediensprache lediglich nach, ganz wertfrei.
## Sensationalismus und Objektivität
Auch der Programmierer und Internetkünstler Darius Kazemi verfährt gern
nach diesem Muster. Er hat mittlerweile über 30 Twitter-Bots erstellt.
Ähnlich wie @futur_news spielt sein beliebter [3][@TwoHeadlines] mit dem
Wesen der Nachrichtenwelt. Er fügt ganz einfach zwei unterschiedliche
Überschriften von Google News zusammen. Das Ergebnis sind dann
Cut-up-Gebilde wie „Die Stadt Baltimore wird Ubers erstes weibliches
Vorstandsmitglied“ (@TwoHeadlines).
„Das ist vielleicht mein lustigster Bot“, schreibt Kazemi auf seiner
Webseite. Er bedient sich ganz einfach der Sprache der Nachrichtenwelt
inklusive Sensationalismus und vermeintlicher Objektivität und legt damit
die Wirkungsweise von Medien frei. Die User fragen sich: Was glauben und
was nicht? Und stellen damit selbst die Wahrheitshoheit der Medien infrage.
Ähnliches geschieht auch mit der eigenen Timeline. „Twitter ist immer voll
mit Leuten, die Unmengen an wichtigen und weniger wichtigen Dingen posten“,
sagt Weichbrodt. Zu oft werden diese Tweets dann zu ernst genommen. „Wenn
dann zwischendurch ein Bot in der Timeline auftaucht und einem irgendeinen
Quatsch unterjubelt, wird das ausgehebelt.“
Dieser Mechanismus funktioniert auch auf einer persönlichen Ebene. Einige
der Bots nehmen Tweets anderer Nutzer_innen und stellen damit die
seltsamsten Dinge an. Der Bot [4][@ProfJocular] von Darius Kazemi etwa
stellt ihnen willkürliche Witzkategorien wie „Gefängniszellen-Witz“ voran…
auch wenn der Tweet eigentlich ernst gemeint ist. Wenn das mal nicht die
Twitter-User verärgert, die sich selbst und ihr Social-Media-Profil
ansonsten so ernst nehmen!
## Jede Menge Müll
Im März zeigte der von Microsoft mit künstlicher Intelligenz ausgestattete
Chatbot „Tay“ aber, wie die Aneignung anderer Tweets auch ausarten kann.
Auf Twitter sollte Tay eigentlich von anderen Nutzer_innen lernen, wie
junge Menschen kommunizieren. „Je mehr ihr mit ihr sprecht, desto klüger
wird sie“, versprach Microsoft.
Tatsächlich lernte Tay vor allem, Hitler-Vergleiche zu ziehen, den
Holocaust zu leugnen und Feministinnen zu beschimpfen. Schon nach wenigen
Stunden musste das Experiment abgebrochen werden und Tay „schlafen“, das
heißt offline gehen. Aus Sicht der Entwickler_innen ist das Projekt
gescheitert. Tatsächlich entlarvte der Bot das Kommunikationsverhalten
vieler Twitter-Nutzer_innen.
Die riesige Resonanz auf Tay zeigt, warum sich gerade Twitter als Plattform
für Medienkritik dieser Art eignet: Es ist ein Massenmedium, in das jede_r
individuell eingreifen kann. „Damit erreicht man relativ einfach viele
Leute“, so Weichbrodt. Die Twitter-Bots funktionieren als Medienkritiker
auch deshalb so gut, weil sie eben Teil dieser Medien sind. Indem sie ihre
eigenen Produktionsbedingungen reflektieren, reflektieren sie auch die
Mechanismen hinter Nachrichten und Twitter.
Während Twitter-Bots in Deutschland noch ein neues Phänomen sind, gibt es
im englischsprachigen Bereich schon eine ganze Community, die an immer
neuen Ideen arbeitet. Kunst ist das aber nicht unbedingt, findet
Weichbrodt. „Eine Maschine kann nie kreativ sein, sie kann nur simulieren,
aber das immer besser“, sagt er mit Verweis auf die Fortschritte bei der
künstlichen Intelligenz. „Das Unberechenbare macht für mich Kreativität
aus“. Bots aber führen lediglich stur aus, worauf sie programmiert wurden.
Hinter jedem Bot steckt noch immer ein_e Programmierer_in, die wahren
kreativen Köpfe.
Gregor Weichbrodt jedenfalls hat schon wieder neue Ideen. „Dass @futur_news
am Ende ein Bot geworden ist, war nicht geplant. Vielleicht mache ich
daraus noch etwas anderes.“
6 Jun 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%40KimKierkegaard&src=typd
[2] https://twitter.com/futur_news
[3] https://twitter.com/TwoHeadlines
[4] https://twitter.com/ProfJocular
## AUTOREN
Jana Lapper
## TAGS
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Wikipedia
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