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# taz.de -- Pressefreiheit in der EU: Virtuelle Verlautbarungen
> In der Coronapandemie ist die Berichterstattung über die EU massiv
> eingeschränkt. Korrespondenten vermissen den direkten Kontakt zu ihren
> Quellen.
Bild: Lieber im Gespräch untereinander: EZB-Chefin Lagarde mit Kommissionsvize…
Von außen betrachtet ist alles wie immer: EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen präsentiert stolz den neuen europäischen Impfpass und stellt
sich den Fragen der Presse. [1][Außenminister Heiko Maas] wirbt für neue
Sanktionen gegen Russland und China; die Bilder aus dem Ratsgebäude in
Brüssel gehen um die Welt. Auch Zeitungen sind voll mit Nachrichten von der
Europäischen Union.
Doch für die mehr als tausend in Brüssel akkreditierten Journalisten ist
nichts mehr, wie es war. Seit einem Jahr – dem Beginn der Coronapandemie –
werden sie von allen wichtigen Ereignissen in der „Brüsseler Blase“
ausgesperrt. Nur Fernsehteams und Radioreporter dürfen noch gelegentlich
vor Ort sein. Bei Ankunft und Abfahrt der EU-Politiker können sie eilig
Fragen stellen – das war’s.
Für die große Mehrheit der EU-Korrespondenten gibt es nur noch das
Homeoffice. Sie sind vom direkten Zugang zu ihren Quellen abgeschnitten und
können – anders als in Berlin – nicht einmal mehr physisch an
Pressekonferenzen teilnehmen. Selbst das tägliche „Midday Briefing“,
normalerweise der wichtigste Nachrichtenbasar in der EU-Kommission, findet
nur noch virtuell statt, im Internet.
„Vor einem Jahr hat die EU-Kommission ihre Türen für Journalisten
geschlossen“, klagt Dorota Bawolek von der International Press Association
API. „Das ist ein Jahr ohne das ‚Ciao, come stai‘ der italienischen
Reporter im Presseraum. Ein Jahr ohne die Analysen der polnischen und
ungarischen Kollegen über das, was ihre Regierungen schon wieder ausgeheckt
haben. Ein Jahr ohne die Fragen der Franzosen, die die Pressesprecher ins
Schwitzen bringen.“
## Traum der Politikvermarkter
Vor allem aber ist es ein Jahr ohne echte Interviews und Recherchen. Fast
alle Beiträge, die aus Brüssel kommen, beruhen auf schriftlichen Zitaten,
offiziellen Verlautbarungen und hübsch zurechtgeschnittenen Videos. Nichts
mehr ist live im Sinne von lebendig, das meiste folgt dem Duktus der
Spindoktoren und PR-Profis. Es ist der Traum der Politikvermarkter – und
ein Alptraum für Reporter und die „vierte Gewalt“, also die kritische
Öffentlichkeit. Schuld daran ist angeblich die belgische Regierung, die
besonders strikte Hygienemaßnahmen angeordnet hat. Doch das ist nur die
halbe Wahrheit. Wenn Premierminister Alexander De Croo etwas zu sagen hat,
gibt er eine „echte“ Pressekonferenz, mit leibhaftigen Journalisten.
[2][Wenn von der Leyen etwas verkünden möchte], tritt sie hingegen nur noch
auf die virtuelle Bühne. Die Regeln der EU-Kommission sind viel strikter
als die der Regierung.
Immerhin stellen sich von der Leyen und ihre Kommissare noch Fragen der
Journalisten. Bei vielen Ministern ist dies nicht mehr der Fall. Was sie in
ihren virtuellen Ministerräten diskutieren, bekommt niemand mit, oft nicht
einmal die Pressesprecher. Und wenn sie doch einmal in Brüssel sind,
schotten sie sich ab. Das gilt auch für Außenminister Maas – direkten
Kontakt hat er fast nur noch mit TV-Reportern, vorzugsweise von ARD und
ZDF.
Zwar gibt es immer mal wieder Proteste. „Wir sprechen die Probleme
regelmäßig an und fordern mehr Offenheit“, sagt API-Präsidentin Katalin
Halmai, die viele in Brüssel akkreditierte Journalisten vertritt. Doch die
EU-Kommission winkt ebenso ab wie der Rat. „Für die Minister ist das eine
sehr komfortable Lage“, sagt die Korrespondentin aus Ungarn. „Sie mögen es
nicht, wenn die Journalisten vor Ort sind und kritische Fragen stellen.“
Selbst der Hinweis auf das Europaparlament, wo Journalisten weiter
willkommen sind, hilft kaum. Jede EU-Institution hat ihre eigenen Regeln.
Und viele Europaabgeordnete arbeiten längst nicht mehr in Brüssel. Sie
verfolgen das Geschehen im Homeoffice, genau wie die Journalisten. Auch das
erschwert Kontrolle. Die Pandemie ist die Stunde der Exekutive – in Brüssel
mehr noch als in Berlin. Dass dabei auch die freie Berichterstattung über
wichtige Europathemen wie die Coronapandemie und die verhagelte
Impfstrategie eingeschränkt wird, ist mehr als ein bedauerlicher
Kollateralschaden.
25 Mar 2021
## LINKS
[1] /Heiko-Maas-Marshallplan-fuer-die-USA/!5738810
[2] /Corona-und-EU/!5749305
## AUTOREN
Eric Bonse
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Pressefreiheit in Europa
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Schwerpunkt Coronavirus
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Heiko Maas
Schwerpunkt Coronavirus
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