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# taz.de -- Pressefreiheit bei der „Querdenken“-Demo: Bedroht, bespuckt und…
> Am vergangenen Samstag in Leipzig ging es gewalttätig zu – vor allem
> Journalist:innen waren betroffen. Wir lassen einige zu Wort kommen.
Bild: Wachsende Gewalt: Einige Journalist:innen schützten sich auf der Demo pr…
Am Samstag kamen Zehntausende zu einer Demo gegen Coronamaßnahmen in der
Leipziger Innenstadt. Darunter Rechtsextremist:innen, Rechte und Hooligans.
Im Zuge der Demo kam es zu Angriffen auf Polizei, Presse und
Gegendemonstrant:innen. Verdi spricht am Dienstag von 43 Übergriffen auf
Journalist:innen. Sarah Ulrich und Andrea Röpke waren am Samstag vor Ort,
wurden selbst von Rechten umzingelt und haben Übergriffe auf Kolleg:innen
beobachten können. Auch auf zahlreichen Videoaufnahmen ist zu sehen, wie
Reporter:innen beleidigt, bedroht und angegriffen werden.
## Arndt Ginzel, freier Reporter, ZDF „frontal21“
Am Ende des Tages, als die Demonstration schon aufgelöst war, „feierten“
einige Coronaleugner noch in der Leipziger Innenstadt. Wir wollten vor Ort
drehen, doch kaum waren wir angekommen, wurde mein Kameramann von einem der
„Feiernden“ angebrüllt. Weitere Demonstranten kamen hinzu, wir wurden von
ihnen umringt, mein Kamermann angespuckt. Das ist ja gerade in Coronazeiten
wirklich heftig, wenn es nicht sogar unter Körperverletzung fällt.
Letztlich konnten wir nur mit Hilfe von einem zufällig anwesenden
Security-Mann aus der Situation geholt werden, weil sich der Kreis aus
Demonstranten um uns herum immer weiter vergrößerte.
Den ganzen Tag während der Demonstration wurden wir schon beschimpft. Ein
Mann kam beispielsweise auf uns zu und pöbelte uns an: „Ihr GEZ-Huren“ oder
„Merkel-Huren“, bis hin zu „Volksverrätern“, die ganze Bandbreite. Das…
eine ganze Weile, dann dachte ich, er dreht ab. Aber dann drohte er mit
einem komischen Ausdruck, nämlich dass wir „hops“ genommen werden.
Es verging an diesem Tag kaum eine Minute ohne solche Drohungen. Hinzu
kommt, dass wir auch physisch bedroht wurden. Extrem war die eine
Situation, in der die Demonstranten versucht hatten, eine Polizeikette zu
durchbrechen. Dabei wurden die Polizei und auch wir Journalisten mit
Leuchtgeschossen und Flaschen beworfen.
## Silvio Duwe, freier Reporter
Am Sonntag, also am Tag nach der großen Demonstration, war ich vormittags
am Völkerschlachtdenkmal bei der „Coronainfo-Tour“ von den sogenanten
Querdenkern Samuel Eckert und Bodo Schiffmann. Etwa 300 Leute standen dort
eng an eng, fast alle ohne Masken. Außer mir habe ich zunächst keine
weiteren Kameraleute erkennen können. Ich versuchte durch die Menge zu
kommen und nach vorne zu filmen. Nach einer Drohung eines Teilnehmers zog
ich mich an den Rand der Veranstaltung zurück. Zu diesem Zeitpunkt war noch
keine Polizei vor Ort. Nach etwa 40 Minuten erschien das erste Polizeiauto.
Mehr Demonstrierende kamen auf mich zu, beschimpften mich. Eine Ordnerin
drückte ihre Hand gegen meine Kamera. Ein anderer rückte zeitgleich
rückwärts drückend gegen mich vor. Daraufhin behaupteten die Ordnerinnen,
ich hätte sie geschubst. Ich rief die Beamten um Hilfe. Sie schauten sich
meine Papiere an und ließen mich weiterarbeiten.
Als ich wieder filmte, stellten sich die Ordner direkt vor mich. Viele
Stimmen gingen durcheinander, eine Ordnerin behauptete, ich hätte sie
weggeschubst. Ich fragte: „Warum lassen Sie die freie Presse nicht einfach
ihre Arbeit machen?“ Höhnendes Gelächter.
Obwohl genug Platz war, drückte sich eine Frau nah an mir vorbei und schob
mich weg. Die Anwesenden schrien: „Sie haben die Frau angegriffen!“ Die
Polizei griff ein und nahm mich mit. Ich wurde erkennungsdienstlich
behandelt, weil ich eine Körperverletzung begangen haben soll. Aber wie?
Ich hatte die Kamera in der Hand und war ganz alleine.
## Stephanie Heide, Fotojournalistin
Etwa drei Meter von uns entfernt stand eine Polizeikette mit Blick in
unsere Richtung. Neben uns standen der Rechtsextreme Martin S., dessen
Freundin und Ingo Zimmermann, Ex-Landesvorsitzende von Die Rechte
Sachsen-Anhalt. Erst drohte uns Zimmermann und sagte etwas von „Wegmachen“.
Kurz darauf stellte sich S.’ Freundin direkt vor mich, natürlich ohne
Maske, und drückte mich an die Wand. Ich habe sie weggestoßen. S. hat mich
dann geschlagen, sodass mir die Maske aus dem Gesicht geflogen ist. Ein
Kollege von mir ging dazwischen. Dann kam die Polizei, hielt meinen
Kollegen kurz fest. Für die Rechtsextremen interessierten sie sich nicht.
Währenddessen begannen die Demonstrierenden durch den Park auszubrechen.
Unmittelbar nach dem Angriff zog die Polizeikette vor uns ab.
## Christoph Hedtke, freier Journalist
Kurz nachdem wir den Schillerpark betreten hatten und aus etwa 25 Metern
Entfernung das erste Foto von der Bühne machten, näherte sich eine Person
zügig und forderte uns aggressiv auf, uns zu „verpissen“, denn das sei
Privatgelände. Sie griffen mehrfach in die Kamera. Wir widersprachen.
Daraufhin pfiff die Person und es kamen von mehreren Seiten insgesamt zehn
weitere Personen zügig auf uns zu, die uns bedrängten. Durch das Pfeifen
und unsere Rufe wurden weitere Journalist:innen in der Nähe aufmerksam und
schirmten uns ab, sodass wir unterdessen den Park unbeschadet verlassen
konnten. Ein Weiterarbeiten an dieser Stelle war erst mal nicht möglich.
Unter den Drohenden waren mindestens vier Personen mit Ordnerbinde.
Später lief eine sechsköpfige Gruppe in Richtung Augustusplatz und trug
dabei drei große Deutschlandfahnen. Als ich sie fotografierte, ging ein
älterer Herr auf mich los und forderte mich auf, die Bilder zu löschen, ich
dürfe ihn nicht einfach so fotografieren. Er wurde handgreiflich, griff
mehrfach nach der Kamera und forderte mich immer wieder auf, die Bilder zu
löschen. Die mich begleitende Person ging dazwischen und hielt ihn von mir
weg.
Die unmittelbar danebenstehende Polizeieinheit griff nur zögerlich ein.
Anschließend wollten sie, dass ich meine Bilder herausgebe, um zu beweisen,
dass ich keine Porträtaufnahmen gemacht hatte. Ich erläuterte die mangelnde
Rechtsgrundlage und wies mich als Journalist aus. Die Polizist:innen
forderten dennoch das Vorzeigen der Bilder. Um die Situation aufzulösen,
musste ich nacheinander zwei Beamt:innen meinen Presseausweis und die
Bilder vorzeigen.
## Anonym
Von allen Seiten strömten Demo-Teilnehmer:innen in Richtung Bahnhof.
Zuvor hatte es eine Front von organisierten Nazi-Hooligans um die
Dortmunder Szene (Die Rechte) gegeben, die Pyrotechnik geworfen hatte. Es
waren auch NPD-Aktivisten vor Ort. Die Stimmung war aufgeheizt und die
Menge drängte von allen Seiten auf die Kreuzung vor dem Bahnhof, wir waren
umzingelt und konnten den Platz nicht verlassen. Vor Ort war auch Sven
Liebich im weißen Overall, ein Rechtsextremist, der schon lange im
Blood-&-Honour-Umfeld aktiv ist und jetzt als Blogger ein Publikum findet.
Liebich, auffällig mit Megafon und schwarz-weiß-roter Maske, ging mit den
Armen auf einen Fotojournalisten los und drängte ihn vor sich her. Er griff
ihm in die Kamera, der Journalist wollte zurückweichen. Liebich zog an
dessen Jacke, dann kamen weitere hinzu. Eine junge Frau zog ebenfalls an
der Jacke und hob ihr Knie. Irgendwer boxte auf ihn ein. Sie umringten den
Kollegen, der versuchte sich wegzuducken. Man sah, wie seine Brille zu
Boden fiel. Die Frau schlug ihm auf den Kopf. Mehrmals.
Zwei Männer, vermutlich Securities von Journalisten, halfen dem
Angegriffenen schließlich. Einer der Helfer wurde von den Polizeibeamten
mit voller Wucht zur Seite gestoßen. Die gingen dann auf die Rechten los.
Liebich hatte sich da schon etwas zurückgezogen. Maßnahmen gegen die
Angreifer hat es zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben.
Die Kollegin möchte anonym bleiben, ist der taz aber bekannt. Das
Beschriebene ist auf Videoaufnahmen zu sehen, die der taz vorliegen.
11 Nov 2020
## AUTOREN
Sarah Ulrich
Andrea Röpke
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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"Querdenken"-Bewegung
Rechtsextremismus
Rechte Gewalt
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