| # taz.de -- Pressefreiheit in Bulgarien: „Ich würde Sie feuern“ | |
| > In Bulgarien üben Politik und Oligarchen Druck auf Journalisten aus. Auf | |
| > der Liste von Reporter ohne Grenzen ist das Land Schlusslicht der EU. | |
| Bild: Vor dem Regierungssitz in Sofia protestieren Journalisten gegen Einflussn… | |
| SOFIA taz | Noch hat Irina Nedeva ihren Optimismus nicht verloren. Die | |
| Radiojournalistin ist Vorsitzende der Vereinigung europäischer Journalisten | |
| in Bulgarien (AEJ-Bulgaria). Anfang Oktober organisierte die AEJ Proteste | |
| vor dem Sitz der Regierung in Sofia. Erfolgreich, wie die 49-Jährige | |
| findet. Denn immerhin: „Dieses Mal ist es uns gelungen, die Journalisten zu | |
| vereinigen.“ Auch die gesellschaftlichen Reaktionen aus seien positiv | |
| gewesen. | |
| Auslöser für die Unmutsbekundungen der Medienmacher waren verbale Ausfälle | |
| zweier Politiker gegenüber dem TV-Journalisten Viktor Nikolaev. Dieser | |
| hatte sich in seiner Morgenshow „Hallo Bulgarien“ im Privatsender Nova-TV | |
| erdreistet, dem Abgeordneten Anton Todorov von der Regierungspartei GERB in | |
| Zusammenhang mit einem geplanten Ankauf von Kampfjets für die Armee | |
| unbequeme Fragen zu stellen. „Sie benutzen starke Worte. Das kann Sie Ihr | |
| Brot kosten“, beschied Toderov dem Moderator. Und: „Wenn ich Chef von | |
| Nova-TV wäre, würde ich Sie feuern.“ | |
| Auch der zweite Gast an diesem Morgen wurde übergriffig. Auf | |
| Korruptionsvorwürfe an die Adresse der Regierung angesprochen, drohte | |
| Valeri Simeonov dem Journalisten, er werde ein „Viktor-Gate“ organisieren. | |
| Simeonov ist Vize-Premier und Mitglied der rechtspopulistischen | |
| „Vereinigten Patrioten“, die ebenfalls in der Regierung sitzen. | |
| Während Todorov mittlerweile sein Parlamentsmandat niederlegen musste, | |
| zieht Simeonov weiter vom Leder. Medien, die über seinen Auftritt bei Nova | |
| berichteten, warf er vor, schmutzige Lügen zu verbreiten, und sprach von | |
| einer Stigmatisierung im Stile Stalins. Jetzt will Simeonov auch noch die | |
| Gerichte mit dem Fall befassen. | |
| ## Platz 109 von 180 | |
| Diese Art der versuchten Einflussnahme auf die Berichterstattung endet | |
| vielfach in einer Selbstzensur der Journalisten und ist in Bulgarien keine | |
| Ausnahme. Für eine aktuelle Studie von AEJ mit dem Titel „Das große | |
| Comeback des politischen Drucks“ wurden insgesamt 200 Journalisten befragt. | |
| Auf die Frage, ob einer ihrer Kollegen schon einmal unter Druck gesetzt | |
| worden sei, antworteten knapp 70 Prozent mit Ja. 75 Prozent sind der | |
| Meinung, dass dieser Druck von Politikern ausgehe. | |
| Doch es ist nicht nur dieses mangelnde Demokratieverständnis, das die | |
| Medienfreiheit in Bulgarien gefährdet. Die Nichtregierungsorganisation | |
| Reporter ohne Grenzen (ROG) führt den Balkanstaat auf ihrer diesjährigen | |
| Rangliste der Pressefreiheit auf [1][Platz 109 von 180]. Damit ist | |
| Bulgarien Schlusslicht in der EU. | |
| „Der Medienpluralismus in Bulgarien ist eine Illusion“, sagt Irina Nedeva. | |
| Vielfach wisse man überhaupt nicht, wem ein Medium gehöre. „Viele Zeitungen | |
| werden regelrecht als Waffe benutzt, so wie eine Keule, um eine | |
| Schmierenkampagne gegen einzelne Politiker oder Geschäftsleute zu fahren“, | |
| sagt sie. Hinzu komme noch, dass bestimmte Medien, Politiker und Oligarchen | |
| in einer Art symbolischer Hochzeit miteinander verbandelt seien. Dabei sei | |
| dann auch immer Korruption im Spiel. | |
| Ein Beispiel für eine solche „symbolische Hochzeit“ ist Deljan Peevski. Der | |
| 37-jährige Oligarch sitzt für die Partei „Bewegung für Rechte und | |
| Freiheiten“ (DPS) im Parlament, die vor allem die Belange der türkischen | |
| Minderheit vertritt. Als Besitzer der „Neuen bulgarischen Mediengruppe“ ist | |
| er Eigentümer von zwei Fernsehsendern sowie von sechs Zeitungen. Er | |
| kontrolliert rund 80 Prozent des Printmarktes. | |
| ## Völlig intransparent | |
| Druck auf die Medien kann die Regierung auch durch die Verteilung von | |
| EU-Mitteln ausüben. Brüssel stellt den Mitgliedstaaten Gelder zur | |
| Verfügung, um beispielsweise über bestimmte EU-Programme aufzuklären. Der | |
| Staat werde angesichts finanzieller Instabilität und einer Stagnation auf | |
| dem Medienmarkt durch die Verteilung dieser Mittel zu einem der wichtigsten | |
| Inserenten, zitiert ein AEJ-Papier Nikoleta Daskalova von der Stiftung | |
| Medien und Demokratie. „Das erhöht den Einfluss von Ministerien und lokalen | |
| Behörden sowohl auf die nationalen als auch auf die regionalen Medien. | |
| Diese zeigen sich oft loyal gegenüber den Machthabern, indem sie ihre | |
| Kritik vermindern.“ | |
| Reporter ohne Grenzen zufolge sind die Zahlungen von EU-Geldern an | |
| bestimmte Medien komplett intransparent. Zwischen 2007 und 2012 habe die | |
| bulgarische Regierung umgerechnet 36,6 Millionen Euro für | |
| Kommunikationskampagnen in Sachen EU-Programme ausgegeben – ohne | |
| Einzelheiten zu nennen, wie die Gelder verwendet worden seien. Brüssel ist | |
| sich des Problems bewusst, hält sich aber zurück – eine Haltung, die Irina | |
| Nedeva kritisiert. „Die EU könnte mehr tun und sollte die Verteilung von | |
| Geldern zwischen den einzelnen Medienakteuren so nicht zulassen“, sagt | |
| sie. | |
| Ob der vornehmen Zurückhaltung der europäischen Partner haben jetzt mehrere | |
| bulgarische Journalistenorganisationen – darunter auch AEJ – die Initiative | |
| ergriffen. Anlass ist die sechsmonatige Ratspräsidentschaft, die Bulgarien | |
| am 1. Januar 2018 zum ersten Mal seit seinem EU-Beitritt vor zehn Jahren | |
| übernimmt. Der Vorschlag der Journalisten: qualitative und quantitative | |
| Kriterien festlegen, wie Medienpartner für EU-Kommunikationsbelange während | |
| der bulgarischen Ratspräsidentschaft ausgewählt werden. Ziel dabei ist | |
| auch, der Schaffung von politischen Abhängigkeiten entgegenzuwirken. | |
| ## Ein allgemeiner Trend | |
| Ob es diesen Katalog geben wird – und ob Regierung und lokale Behörden sich | |
| dann auch daran halten werden –, wird sich zeigen. Dennoch will Irina | |
| Nedeva kein gänzlich schwarzes Bild malen. Medien zu kontrollieren und auch | |
| Journalisten je nach Belieben auszuwechseln sei ein allgemeiner Trend, sagt | |
| sie. Aber anders als in Ungarn und Polen bestehe in Bulgarien derzeit | |
| zumindest nicht die Gefahr, dass eine Regierung bei Wahlen eine | |
| Zweidrittelmehrheit erhalte, um dann die Verfassung entsprechend ändern zu | |
| können. Dazu sei die politische Landschaft zu zersplittert. | |
| Erwartet sie weitere Skandale wie jüngst bei Nova-TV? „Ja“, sagt Nedeva. | |
| „Aber viel wird davon abhängen, inwieweit wir Journalisten es zulassen, | |
| dass Politiker uns die Regeln diktieren.“ Immerhin würden immer mehr | |
| Journalisten realisieren, dass sie auf Distanz zu den Machthabern gehen | |
| müssten. „Und das ist wirklich ein positives Zeichen“, sagt Nedeva. | |
| Die bulgarische Wochenzeitung [2][Kapital] beteiligt sich am | |
| Journalistenaustausch „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts, bei dem | |
| Journalisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern für jeweils | |
| drei Wochen ihren Arbeitsplatz wechseln. Barbara Oertel von der Berliner | |
| Tageszeitung/taz ist im November zu Gast bei Kapital. Im Gegenzug arbeitet | |
| Svetoslav Todorov im November vier Wochen lang bei der taz in Berlin. | |
| Weitere Informationen finden Sie unter: [3][www.goethe.de/nahaufnahme] | |
| 21 Nov 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Presse/Downloads/R… | |
| [2] http://www.capital.bg/ | |
| [3] https://www.goethe.de/de/uun/ver/na2.html?wt_sc=nahaufnahme | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| Reporter ohne Grenzen | |
| Bulgarien | |
| Oligarchen | |
| Journalismus | |
| Bulgarien | |
| Reporter ohne Grenzen | |
| Bulgarien | |
| Pressefreiheit in der Türkei | |
| Malta | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| taz.gazete | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Korruption in Bulgarien: Teure Hütten zum Schnäppchenpreis | |
| Durch den Erwerb von Appartements gerät die Regierungspartei GEBR weiter | |
| unter Druck. Fraktionschef Tzwetanow legt sein Mandat nieder. | |
| Pressefreiheit weltweit: 65 Medienschaffende ermordet | |
| Der NGO „Reporter ohne Grenzen“ zufolge sind in 2017 weltweit mehrere | |
| Dutzend Medienmitarbeiter getötet worden. Mehr als 300 befinden sich | |
| derzeit in Haft. | |
| Debatte EU-Osterweiterung: Radwege und Rassismus | |
| Seit zehn Jahren ist Bulgarien Mitglied der EU. Es gab viele Hoffnungen. | |
| Doch es ist noch immer das ärmste und korrupteste Mitgliedsland der EU. | |
| Berichten über die Türkei: Arbeit unter Repressionen | |
| Über kaum ein Land berichten deutsche Medien derzeit so viel wie über die | |
| Türkei. Doch die Berichterstattung ist schwierig geworden. | |
| Getötete Journalistin auf Malta betrauert: „Mörder dürfen Ziel nicht errei… | |
| Zur Trauerfeier für die Journalistin Daphne Caruana Galizia fordern | |
| internationale ChefredakteurInnen mehr Unabhängigkeit für die Presse. | |
| Drohung gegen Journalist in der Ukraine: Wo kommt das ganze Geld wohl her? | |
| Ein ukrainischer Journalist schreibt über den Reichtum eines hohen Richters | |
| und dessen Exfrau – und wird danach verfolgt. | |
| Prozess gegen Zeitungen: „Sollen wir Journalismus von den Staatsanwälten ler… | |
| Am Dienstag standen in Istanbul gleich zwei Zeitungen vor Gericht: Zwei | |
| Mitarbeiter von Özgür Gündem wurden freigelassen, vier von Cumhuriyet | |
| müssen in Haft bleiben. |