| # taz.de -- Prozess gegen Zeitungen: „Sollen wir Journalismus von den Staatsa… | |
| > Am Dienstag standen in Istanbul gleich zwei Zeitungen vor Gericht: Zwei | |
| > Mitarbeiter von Özgür Gündem wurden freigelassen, vier von Cumhuriyet | |
| > müssen in Haft bleiben. | |
| Bild: Auch Günter Wallraff gehört zu den Beobachtern des Prozesses gegen Özg… | |
| Am Dienstag fanden im Justizpalast von Çağlayan gleich zwei | |
| Gerichtsverfahren gegen die Presse statt: Mitarbeiter der kurdischen | |
| Zeitung Özgür Gündem und der linksliberalen Cumhuriyet verteidigten sich | |
| gegen Terrorvorwürfe. | |
| Im Prozess gegen die Mitarbeiter von Özgür Gündem wurden İnan Kızılkaya u… | |
| Kemal Sancılı nach 440 bzw. 301 Tagen im Gefängnis freigelassen. Damit sind | |
| alle der insgesamt neun Angeklagten in diesem Prozess vorerst wieder in | |
| Freiheit. Beim Cumhuriyet-Prozess entschied das Gericht, die Haft von | |
| Journalist Ahmet Şık, Chefredakteur Murat Sabuncu, Vorstand Akın Atalay und | |
| Buchhalter Emre İper fortzusetzen. | |
| ## Lange Geschichte der Repression | |
| Die 1992 gegründete Zeitung Özgür Gündem hat eine lange Geschichte der | |
| Repression hinter sich. 1994 wurde sie zum ersten Mal geschlossen. Aufgrund | |
| des ständigen Drucks und der Gerichtsverfahren gegen sie erschien sie bis | |
| 2011 immer wieder unter verschiedenen Namen. Die letzte große | |
| Repressionsmaßnahme traf Özgür Gündem am 16. August 2016, kurz nach dem | |
| versuchten Putsch in der Türkei. Neun Redaktionsmitglieder, Manager und | |
| Autoren wurden damals verhaftet. | |
| Auch die prominenten Schriftstellerinnen Aslı Erdoğan und Necmiye Alpay, | |
| die für die Zeitung geschrieben hatten, sowie die Menschenrechtsaktivisten | |
| Ragıp Zarakolu und Eren Keskin wurden in diesem Prozess angeklagt. Der | |
| Vorwurf an die Redaktion von Özgür Gündem lautet: „Bedrohung der Einheit | |
| des türkischen Staates und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation.“ In | |
| seiner Verteidigung sagte der an diesem Tag freigelassene Kızılkaya: „Das | |
| Schlimmste ist nicht meine Inhaftierung, sondern dass meine Zeitung | |
| geschlossen wurde.“ | |
| Kızılkayas Anwalt Özcan Kılıç sagte nach der Freilassung seines Mandanten: | |
| „Mein Mandant wurde wegen seiner journalistischen Arbeit verhaftet, nicht, | |
| weil er irgendwelche Verbindungen zu terroristischen Organisationen hätte. | |
| Es geht um Pressefreiheit.“ | |
| Vorwurf der Verfassungsfeindschaft gegen Cumhuriyet | |
| Beim vierten Verhandlungstag im Prozess gegen Mitarbeiter der | |
| linksliberalen Tageszeitung Cumhuriyet – zugleich der Jahrestag der | |
| Polizeioperation auf die Zeitung – verteidigten sich im selben Gericht in | |
| Çağlayan die inhaftierten Angeklagten: der Journalist Ahmet Şık, der | |
| Chefredakteur Murat Sabuncu, der Vorstand Akın Atalay und der Buchhalter | |
| Emre İper. | |
| Die Staatsanwaltschaft forderte die Fortsetzung der Haft jener vier | |
| Angeklagten. Insgesamt 17 Mitarbeitern der Zeitung wird vorgeworfen, | |
| „Straftaten im Namen einer Terrororganisation und gegen die | |
| verfassungsrechtliche Grundordnung“ begangen zu haben. | |
| Als neue Beweismittel nahm die Anklage an diesem Verhandlungstag Aussagen | |
| von Doğan Satmış, eines ehemaligen Cumhuriyet-Autoren, auf. Satmış äußer… | |
| sich kürzlich zu einem Artikel der Cumhuriyet über mutmaßliche | |
| Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien, für den der | |
| damalige Chefredakteur Can Dündar ins Visier der Ermittler kam. Außerdem | |
| fanden Whatsapp-Protokolle zwischen dem Cumhuriyet-Autoren Aydın Engin und | |
| dem vor 13 Tagen festgenommenen und im Menschenrechtsbereich aktiven | |
| Geschäftsmann Osman Kavala Eingang in die Anklage. | |
| ## Zeit der Trennung | |
| Der Journalist Ahmet Şık, der seit 305 Tagen verhaftet ist, sagte: „Sie | |
| suchen in unseren Artikeln nach einer Terrororganisation. Diese | |
| Organisation befindet sich in diesem Gebäude, in der Gestalt von Richtern | |
| und Staatsanwälten.“ Murat Sabuncu, Chefredakteur von Cumhuriyet, der an | |
| diesem Verhandlungstag auf den Tag genau ein Jahr in Haft ist, stellte dem | |
| Gericht eine Frage: „Sollen wir unseren Beruf von den Staatsanwälten | |
| lernen?“ | |
| Seine Rede beendete Sabuncu in Anlehnung an Sokrates' Verteidigung: „Die | |
| Zeit der Trennung ist gekommen. Ich gehe in meine Zelle nach Silivri und | |
| ihr geht eure Leben weiterführen. Was davon besser ist, wird die Geschichte | |
| zeigen.“ | |
| Duygun Yarsuvat, Anwalt der Angeklagten, erinnerte daran, dass der | |
| Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Menschenrechtskommissar des | |
| Europäischen Rates, Nils Muiznieks, im Beschwerdeverfahren türkischer | |
| Journalisten als Nebenkläger zugelassen hat. Yarsuvat sagte dem Gericht: | |
| „Wenn wir ins Ausland gehen, werden wir ständig mit Fragen über die Lage in | |
| der Türkei konfrontiert. Wir wissen nicht, was wir antworten sollen. Lasst | |
| diese Menschen frei, damit sich auch Ihr Gericht entspannen kann.“ | |
| ## Kolumnist Kadri Gürsel: „Ein toter Prozess“ | |
| Şık, Sabuncu, Atalay und İper kamen an diesem Verhandlungstag allerdings | |
| nicht frei. Cumhuriyet-Kolumnist Kadri Gürsel, ebenso in diesem Prozess | |
| angeklagt und am 25. September freigelassen, sagte der taz nach dem | |
| Zwischenurteil: „Dieser Prozess ist eigentlich schon tot. Sie versuchen ihn | |
| mit künstlicher Beatmung am Leben zu halten. Wir sind nun mit der Realität | |
| konfrontiert, dass unsere Freunde zwei weitere Monate im Gefängnis | |
| verbringen werden. Wir sind traurig. Aber ich glaube daran, dass auch sie | |
| in zwei Monaten freigelassen werden.“ | |
| Der Prozess gegen die Mitarbeiter von Cumhuriyet wird am 25. und 26. | |
| Dezember fortgesetzt, jener gegen Özgür Gündem am 6. März 2018. | |
| 31 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Dilek Şen | |
| Gülten Sari | |
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